BERLIN. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat eine unklare Rechtslage für die Grenzöffnung von 2015 festgestellt. Bislang habe die Bundesregierung nicht erklärt, auf welcher rechtlichen Grundlage die Masseneinreise von Asylsuchenden ab dem 4. September erfolgt war, heißt es in einem Gutachten des Dienstes aus dem Mai, über das die Welt am Freitag zuerst berichtete.
Nach dem deutschen Asylgesetz hätte jedem Asylsuchenden die Einreise verweigert werden müssen, der über einen sicheren Drittstaat wie Österreich nach Deutschland gekommen war. Laut den Autoren gibt es jedoch zwei Möglichkeiten, um von dieser „Pflicht zur Einreiseverweigerung“ abzuweichen.
Erstens: Im Falle „einer unions- oder völkerrechtlich begründeten Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung von Asylverfahren“ nach der Dublin-III-Verordnung. Zweitens: Wenn eine entsprechende Anordnung des Bundesinnenministeriums „aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen“ vorliegt.
Bundesverfassungsgericht sieht Parlament in der Pflicht
Der Zeitung zufolge gab es eine solche Anordnung jedoch nicht. Und auch das Selbsteintrittsrecht, wonach Deutschland Flüchtlinge aufnehmen kann, die eigentlich in anderen Ländern bleiben müßten, sei nie geklärt worden. Unter Verweis auf die „Wesentlichkeitslehre“ und das „Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip“ sei der Bundestag dem Gutachten zufolge verpflichtet, „in grundlegenden normativen Bereichen … alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen“.
Ob die Massenaufnahme von Flüchtlingen eine „wesentliche“ Entscheidung war, stellten die zur strikten Neutralität verpflichteten Wissenschaftler nicht klar fest. Dafür verwiesen die Juristen auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Familiennachzug. Demnach obliege es „der Entscheidung der Legislative, ob und bei welchem Anteil Nichtdeutscher an der Gesamtbevölkerung die Zuwanderung von Ausländern ins Bundesgebiet begrenzt wird“. Damit hätte das Parlament zumindest im nachhinein entscheiden müssen.
AfD und FDP kündigen Untersuchungsausschuß an
Die Einschätzung des Wissenschaftlichen Dienstes ist nicht neu. Er folgt in seiner Argumentation dem ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier und dem früheren Verfassungsrichter Udo Di Fabio. Letzterer hatte für die bayerische Landesregierung ein Gutachten erstellt, mit Hilfe dessen Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) eine Verfassungsklage und dadurch eine Grenzschließung erzwingen wollte. Es blieb aber bei der Drohung.
Sowohl AfD als auch FDP hatten angekündigt, bei einem möglichen Einzug in den Bundestag einen Untersuchungsausschuß zur Flüchtlingspolitik Angela Merkels (CDU) einzuberufen. Dafür müssen 25 Prozent der Bundestagsabgeordneten einen Antrag stellen. (ls)