FREIBURG. Der Freiburger Staatsrechtler Ralf Poscher hat vor einer „Kultur der Gesinnungsprüfung“ gewarnt. Hintergrund ist der „Radikalenerlaß“ für Kindertagesstätten und Tagesmütter in Mecklenburg-Vorpommern. Dort hatte Sozialministerin Manuela Schwesig (SPD) Anfang August verfügt, daß Betreiber von Kindertagesstätten ein Bekenntnis zur „grundgesetzlichen Werteordnung“ ablegen müssen.
Das Grundgesetz verlange aber von seinen Bürgern keine Identifikation mit der Verfassung, kritisierte Poscher in einem Beitrag für die Neue Juristische Wochenschrift.
Erlaß beruht auf verfassungsrechtlichen Mißverständnissen
Der Jurist warf dem Ministerium vor, mit dem Erlaß über das Ziel hinausgeschossen zu sein. Die Entscheidung, von Erziehern eine Gesinnungserklärung zu verlangen, beruhe auf verfassungsrechtlichen Mißverständnissen. Zum einen räume das Grundgesetz dem Staat ein solches Aufsichtsrecht nur für die Schule ein. Der Erlaß in Mecklenburg-Vorpommern gelte dagegen für alle Kindertagesstätten mit ihrem gesamten Aufgabenprofil, das bereits bei der Betreuung im Säuglingsalter einsetze.
Der Staat dürfe aber das Aufsichtsrecht, das er über die Schulen genieße, nicht auf andere gesellschaftliche Bereiche ausweiten. „Ebenso wenig wie der Staat der Presse oder den Religionsgemeinschaften vorschreiben kann, an welchen Werten sie sich zu orientieren haben, kann er dies für Betreuungseinrichtungen tun, die nicht unter die besondere Schulpflicht fallen“, mahnt der Jurist.
Jenseits der Schule sei es letztlich eine Entscheidung der Eltern, nicht des Staates, welche religiöse, weltanschauliche oder politische Ausrichtung die Betreuung ihrer Kinder haben solle. „Mit diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben ist die Vorraussetzung eines Gesinnungsbekenntnisses als Genehmigungsvorraussetzung für Kindertagesstätten und Tagespfleger nicht vereinbar.“
Gesinnungserklärungen für Spielzeugläden und Eisverkäufer
Zum anderen dürfe die Gesinnung der Erzieher laut Poscher auch nicht alleine ausschlaggebend sein. Vor allem nicht, solange kein Grund zur Besorgnis bestehe, „daß eine mit den Werten der Verfassung nicht übereinstimmende Gesinnung dazu führt, daß der Betroffenen die ihm übertragenen Aufgaben nicht im Einklang mit der Rechts- und Verfassungsordnung ausführt“.
Sollte dieser Grundsatz nicht gelten, stelle sich die Frage, auf wen die Gesinnungserklärungen noch ausgeweitet werden sollten: Auf „Sportvereine und Jugendtrainer, Kirchengruppen und Gruppenleiter, Kinderbuchhandlungen, Spielzeugläden und Eisverkäufer?“ Und letztlich dann auch auf die leiblichen Eltern. Schließlich hätten diese nach Ansicht des Staatsrechtlers doch den größten Einfluß auf ihre Kinder. (krk)