PARIS. Fünf Monate vor den Europawahlen steht Frankreich ohne Regierung da. Premierministerin Élisabeth Borne und ihr Kabinett sind zurückgetreten. Wie es nun weitergehen soll, ist unklar. Präsident Emmanuel Macron konnte noch nicht sagen, wer die Nachfolge antreten soll.
Zerbrochen ist die Regierung über einen Streit in der Einwanderungspolitik. Aufgrund der Verabschiedung des Immigrationsgesetzes Mitte Dezember hatte zunächst Gesundheitsminister Aurélien Rousseau seinen Rücktritt erklärt. Nun wollten offenbar weitere Kabinettsmitglieder des linken Flügels von Macrons Partei „Renaissance“ (Wiedergeburt) die Regierung deswegen verlassen. Die 62jährige Premierministerin zog jetzt die Notbremse.
Die Gesetzesverschärfung hatte Macron nur mit Hilfe der oppositionellen Republikaner durchsetzen können. Schon seit den Parlamentswahlen vor anderthalb Jahren fehlt seiner Partei die Mehrheit in der Nationalversammlung. Hinzu kamen nun heftige Streitigkeiten: 20 Abgeordnete aus Macrons Reihen stimmten gegen die Novelle des Einwanderungsgesetzes, 17 enthielten sich. Insgesamt verfügt die Fraktion über 245 Sitze.
Macron vor schwerer Niederlage bei EU-Wahl
Premierministerin Borne war zuvor auch bei anderen Fragen immer wieder mit Versuchen gescheitert, Kompromisse und Mehrheiten für ihre Vorhaben zu finden. Das führte dazu, daß Macron seine Rentenreform, gegen die wochenlang hunderttausende Franzosen auf die Straßen gegangen waren, ohne Abstimmung im Parlament durchpeitschte.
Die Regierungskrise trifft den Präsidenten in einer Zeit, da in allen Umfragen der Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen vorn liegt. Für die Europawahl vom 6. bis 9. Juni sehen Meinungsforscher einen Erdrutsch voraus, bei dem der RN mit zehn Punkten Vorsprung vor der „Renaissance“ stärkste Kraft werden könnte. Die Le-Pen-Partei bildet im EU-Parlament unter anderem gemeinsam mit der AfD und der FPÖ die Fraktion „Identität und Demokratie“. (fh)