Vermutlich verabscheut nicht einmal die ungarische Opposition ihren Ministerpräsidenten Viktor Orbán so sehr, wie es die deutschen Medien tun. Diese sind in ihrer leidenschaftlichen Abneigung so verbunden, daß sie bereitwillig alles gegen den Fidesz-Chef ins Feld führen – ob zutreffend oder nicht. Vor allem seitdem das ungarische Parlament im Juni ein Kinderschutz-Gesetz beschlossen hat, das die Kleinsten vor Frühsexualisierung bewahren soll.
Das zeigt sich nun einmal mehr bei der deutschen Berichterstattung über das ungarische Hochfest zur Unterstützung sexueller Minderheiten: die jährliche „Budapest Pride“-Demonstration. Angeblich sind noch nie so viele Teilnehmer bei der Veranstaltung in der ungarischen Hauptstadt zusammengekommen wie am Sonnabend. Die Nachrichtenagentur AFP schätzt die Zahl auf rund 10.000, der Veranstalter spricht von 30.000 Menschen. Wie zu erwarten stieß das Spektakel aber nicht nur auf Gegenliebe.
FAZ framt Rechtsextreme als Fidesz-Treue
„In den vergangenen Jahren war die Veranstaltung immer wieder massiv von Rechtsextremisten gestört worden. In diesem Jahr wurden homophobe Beschimpfungen registriert, weitere Vorfälle gab es nicht. Die Polizei trennte die rund 200 Anhänger des rechtskonservativen Regierungschefs Viktor Orbán von den Teilnehmern der Parade“, berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung unter Berufung auf die AFP.
Doch mehrere Ungarn-Experten, so auch der Chefredakteur der Budapester Zeitung, Jan Mainka, verwiesen darauf, daß es sich keineswegs um Anhänger der Regierungspartei handelte, sondern um jene der Rechtsaußen-Partei Mi Hazánk.
#FAZ über Gegendemonstration bei der BP. Pride: „Die Polizei trennte die rund 200 Anhänger von #Orbán von den Teilnehmern der Parade.“
Realität: Es waren Rechtsextremisten, die der außerparl. Partei Mi Hazánk nahestehen. Vom #Fidesz war dort keine Spur.https://t.co/kb72BCICpZ pic.twitter.com/kQHAHu1tsy— Jan Mainka (@jan_mainka) July 25, 2021
Auch ein Blick auf Foto- und Videoaufnahmen der kleinen, lautstarken Gegendemonstration hinter der Polizeiabsperrung zeichnet ein anderes Bild. Dort wurden keine Flaggen des bürgerlich-zahmen Fidesz geschwenkt, dafür aber die der erwähnten Mi Hazánk, die sich 2018 nach einem Richtungsstreit von der ehemals rechten Jobbik abspaltete. Sie ist nicht im Parlament vertreten und liegt bei einer Wahlumfrage des ungarischen Meinungsforschungsinstituts Medián aus dem Juni bei drei Prozent.
Gegendemonstranten provozierten mit Hitler-Grüßen
Der Fidesz ist immer wieder Ziel lautstarker Kritik der Mi Hazánk. So wirft Letztere der Regierungspartei unter anderem vor, nichts gegen die „Zigeunerkriminalität“ in Ungarn zu unternehmen. Auch die Tatsache, daß die Gegendemonstranten Aufnäher mit der Zahl 88 trugen oder einzelne von ihnen mit Mittelfingern oder Hitlergrüßen provozierten, ließ FAZ und AFP nicht davor zurückschrecken, die krawallige Menge dem Fidesz anzulasten.
Statt 200 Personen soll es sich laut Beobachtern vor Ort zudem eher um rund 80 Menschen gehandelt haben. Selbst die stellvertretende Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang spricht von „einer kleinen, traurigen Truppe“.
Zehntausende auf der #BudapestPride gegen die Anti-LGBTIQ-Gesetze und für Selbstbestimmung und Menschenwürde, nur eine kleine traurige Truppe auf der rechten Gegendemonstration.
Orban ist nicht gleich Ungarn, lassen wir die Menschen, die hier für Demokratie kämpfen nicht allein. pic.twitter.com/lDrVskuoIO
— Ricarda Lang (@Ricarda_Lang) July 24, 2021
„Kleine fiese Fehler“ prägen Ungarn-Bild
Diese Ungenauigkeit in der Berichterstattung füllt nur wenige Zeilen, sie ist aber alles andere als belanglos. Wie der Chef des ungarischen Mathias Corvinus Collegiums, Bóris Kálnoky, auf Twitter richtig feststellte, sind es „immer diese kleinen fiesen ‘Fehler’ in deutschen Medienberichten zu Ungarn“. Und genau diese prägen das deutsche Ungarn-Bild.
Immer diese kleinen, aber fiesen „Fehler“ in deutschen Medienberichten zu Ungarn – Llebe @FAZ_NET und liebe @AFPde, es waren nicht 200 Orbán-Anhänger, sondern (eher 80) Anhänger der rechten Oppositionspartei „Mi Hazánk“. https://t.co/248yd1vHmT via @faznet
— Boris Kálnoky (@bkalnoky) July 25, 2021
Kaum anders war es bei den Medienberichten zum Anti-Pädophilie-Gesetz in dem ostmitteleuropäischen Land. Statt von Kinderschutz war plötzlich von einem „Anti-Homosexuellen-Gesetz“ die Rede. Daß es in dem Beschluß lediglich um Minderjährige geht, wurde oftmals ebenso ausgeklammert.