In der ersten Runde der Präsidentschaftswahl in Chile ist der rechtskonservative José Antonio Kast mit knapp 28 Prozent auf dem ersten Platz gelandet vor Gabriel Boric (rund 26 Prozent), dem Kandidaten eines linksradikalen Bündnisses. Der frühere Parlamentarier Kast war von allen Bewerbern der mit dem rechtesten Profil.
Während des Wahlkampfs lag der frühere Anführer von linken Massenprotesten Boric, der mit der Kommunistischen Partei ein Bündnis eingegangen ist, lange Zeit vorne. Erst in den letzten Wochen hat sich die Stimmung zugunsten von Kast gedreht, da die Wähler sich mehr Sorgen über Kriminalität und Immigration machen.
Auf den dritten Platz lagen fast gleichauf der Überraschungskandidat aus dem US-Exil Franco Parisi, der als Populist mit unklarem Profil beschrieben wird, und der rechtsliberale Kandidat Sebastián Sichel mit je rund 13 Prozent, dahinter mit 11,6 Prozent die gemäßigt linke Kandidatin Yasna Provoste Am 19. Dezember findet die Stichwahl statt.
Richtungsentscheidung
„Es war eine bessere Nacht für die Rechte als irgendjemand erwartet hat“, sagte der politische Analyst und Kolumnist Gonzalo Cordero der Nachrichtenagentur Reuters. „Die Wahrscheinlichkeit, daß Kast die Präsidentschaftswahl gewinnt, ist jetzt sehr hoch. Kast müßte sehr gravierende Fehler machen in den nächsten drei Wochen, um noch zu verlieren.“
Die Wahl war hochgradig polarisiert und gilt als Richtungsentscheidung in dem südamerikanischen Andenland, die für die ganze Region große Bedeutung besitzt. Linkskandidat Boric will das marktwirtschaftliche Modell Chiles, das noch aus der Pinochet-Zeit stammt, radikal ändern und verspricht sozialistische Reformen. 2019 hatten große Proteste von Studenten und linken Demonstranten das Land erschüttert, die zum Teil von der kommunistischen Partei organisiert waren. Sie fordern mehr Sozialstaat, Änderungen des privaten Rentensystems und höhere Steuern etwa für die Kupferproduzenten und andere Unternehmen.
Bei der Wahl zu einer Verfassungsgebenden Versammlung 2020 triumphierten linksradikale und unabhängige linke Parteien und Kandidaten sowie Vertreter von Indio-Gruppen. Die Versammlung soll eine neue Verfassung ausarbeiten; die alte stammt noch aus der Pinochet-Ära.
Unterstützer Bolsonaros
Bei der am Sonntag ebenfalls abgehaltenen Parlamentswahl konnten die verschiedenen linken Parteien nicht wie von ihnen erhofft eine deutliche Mehrheit erringen. Auch hier blieb der von manchen erwartete Linksrutsch aus.
Der Aufstieg von José Antonio Kast in Chile zum wahrscheinlichen nächsten Präsidenten als Nachfolger des glücklosen Sebastián Piñera kommt überraschend. Der Jurist und langjährige Parlamentsabgeordnete (2002 bis 2018) hatte sich von seiner früheren Partei, der rechtskonservativen UDI getrennt und 2019 seine eigene Republikanische Partei gegründet. Kast ist Sohn deutscher Einwanderer, die in den 1950er Jahren nach Chile kamen. Sein Vater war Wehrmachtssoldat.
Kast hat sich in der Vergangenheit positiv über die Pinchochet-Zeit geäußert. Er hat Jair Bolsonaro bei der Präsidentschaftswahl in Brasilien unterstützt. Kast gilt in gesellschaftsfragen als strikt konservativ, lehnt Abtreibung und Homo-Ehe ab, doch im Wahlkampf hat er es geschickt verstanden, mit locker gemachten TikTok-Videos auch jüngere Wähler anzusprechen. Viele bürgerliche Wähler bekamen zudem Angst vor einem möglichen Linksrutsch mit Boric.
Wenn Kast im Dezember das Rennen macht und Präsident würde, wäre das ein Rückschlag für die linken Bewegungen in Lateinamerika, die zuletzt Erfolge verzeichneten, etwa in Peru mit der Wahl von Pedro Castillo. In Kolumbien liegt ebenfalls ein hart-linker Kandidat in Umfragen vorne, in Brasilien bereitet sich Inácio Lula da Silva auf eine Rückkehr an die Macht vor. In Venezuela hält sich trotz der dramatischen Wirtschaftskrise das sozialistische Regime von Nicolás Maduro an der Macht. Chile ist das marktwirtschaftlich-konservative Gegenmodell in der Region zu den verbreiteten linkspopulistischen Bewegungen. (mvp)