WARSCHAU. Nur noch die Hälfte der Polen glaubt, daß die deutsche Europapolitik zu einer besseren Zusammenarbeit auf dem Kontinent beiträgt. „Die Anzahl der positiven Beurteilungen ist seit 2015 rückläufig und nunmehr auf einem Tiefstand“, kommentierte Jacek Kucharczyk vom Institut für Öffentliche Angelegenheiten in Warschau die neuesten Ergebnisse des „Deutsch-Polnischen Barometers“.
Die Studien zum Verhältnis der beiden Länder werden von dem Warschauer Institut und der Konrad-Adenauer-Stiftung in Polen, ab 2020 auch in Kooperation mit dem Deutschen Polen-Institut und der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit, seit inzwischen 20 Jahren organisiert. In beiden Ländern wurden laut dem Deutschen Polen-Institut repräsentative Gruppen von jeweils 1.000 erwachsenen Einwohnern befragt.
Rund 20 Prozent der Polen glauben demnach, daß die deutsche Europapolitik für Spannungen sorge und ein Drittel ist der Ansicht, daß die Bundesrepublik ihre Interessen auf Kosten anderer Länder verfolge. Demgegenüber bewerte jeder zweite Pole die deutsche Europapolitik als positiv und gehe davon aus, daß sie zu einer besseren Zusammenarbeit in Europa beitrage.
Wirtschaftliche Interessen sorgten für gutes Verhältnis
Die deutsche Perspektive auf die Warschauer Europapolitik sei hingegen dreigeteilt. Jeweils ein Drittel bewerte sie als negativ, positiv oder könne beziehungsweise wolle sich nicht dazu äußern.
Insgesamt betrachteten die Bürger der benachbarten Staaten das Verhältnis zueinander jedoch positiv. So bezeichneten laut der Umfrage 57 Prozent der Deutschen und 65 Prozent der Polen die Beziehungen als „sehr gut“ oder „eher gut“. Dafür machten sie die gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen verantwortlich.
„Solche Einschätzungen freuen, denn die Zusammenarbeit im Bereich Handel und Investitionen entwickelt sich tatsächlich sehr gut. Aber wir sollten nicht vergessen, daß Wirtschaft und Politik miteinander verbunden sind und es sich lohnt, für eine gute Atmosphäre und konkrete gemeinsame Aktionen in beiden Sphären zu sorgen“, sagte die Co-Autorin der Studien, Agnieszka Łada, vom Deutschen Polen-Institut.
Karnevalswagen löst Unmut in Polen aus
Ein weiteres Ergebnis der Befragung ist demnach, daß sich Deutsche (65 Prozent) und Polen (64 Prozent) einig sind, ihre gegenseitigen Beziehungen auf Gegenwart und Zukunft zu konzentrieren. Der Blick sollte weniger auf die Vergangenheit gerichtet sein.
30 Jahre nach der Unterzeichnung des Vertrages über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit am 17. Juni 1991 zeigten die Umfrageergebnisse, daß beide Länder schon viel erreicht hätten. „Ein weiterer Prozeß des gegenseitigen Kennenlernens, der Gestaltung einer guten Nachbarschaft und freundschaftlichen Zusammenarbeit erfordert von Polen Vorschläge für eine konstruktive, auf die Zukunft gerichtete Kooperation“, betonte Łada.
„Auf deutscher Seite sollte es wiederum eine größere Sensibilität für die polnische Perspektive geben, ebenso wie ein größeres Interesse an den Ansichten auf der anderen Seite von Oder und Neiße.“
Im Februar hatte ein Düsseldorfer Karnevalswagen für diplomatische Verstimmung in Polen gesorgt. Warschau protestierte gegen den Wagen, der die Abtreibungspolitik in dem osteuropäischen Land thematisierte. Der Wagen mit der Beschriftung „Abtreibungsrecht“ zeigte einen Mann, der dem konservativen polnischen Politiker Jaroslaw Kaczynski (PiS) ähnelt und einer Frau mit einem Kreuz einen Pflock in die Brust schlug. (ag)