In Polen sind Feministen in Aufruhr. Zahlreiche Abtreibungsbefürworter protestieren in Stadt und Land, um ihrer Empörung über eine Entscheidung des Verfassungsgerichts Luft zu machen. Das 15köpfige Gremium um die Vorsitzende Julia Przylebska hatte die Tötung von Ungeborenen aufgrund von Fehlbildungen am Donnerstag für verfassungswidrig erklärt. Auch mißgebildeten Kindern im Mutterleib stehe die staatlich garantierte Würde und somit Schutz zu, urteilten die Richter.
Daraufhin brachen in mehr als hundert polnischen Städten spontane und dezentrale Proteste los, die nun seit knapp einer Woche anhalten. Demonstranten blockierten in der Hauptstadt Warschau Straßen und Kreuzungen. Laut der Tageszeitung Gazeta Wyborcza skandierten die Demonstranten mit Verweis auf die Regierungspartei „Fickt die PiS“.
Unterstützung erhalten die Abtreibungsbefürworter laut der Nachrichtenagentur dpa unter anderem von Warschaus Oberbürgermeister Rafał Trzaskowski.
Polens Polizei muß Kirchen vor Demonstranten schützen
Die Empörung zeichnete sich auch im Parlament ab. Abgeordnete der Opposition blockierten am Dienstag das Rednerpult und zeigten Schilder mit Forderungen wie „Legale Abtreibungen!“. Der stellvertretende Parlamentsvorsitzende Ryszard Terlecki (PiS) hatte zuvor das Symbol der Abtreibungsgegner beanstandet, das sie auf ihren Corona-Schutzmasken trugen. Der rote, gezackte Blitz ähnle dem Zeichen der nationalsozialistischen Schutzstaffel, kritisierte er.
Auch Kirchen wurden in den vergangenen Tagen immer wieder zum Ziel von Attacken. „Einige der Demonstrationen werden von empörenden Aktionen gegen religiöse Kultstätten begleitet, wie das Eindringen in Kirchen während der Messen, die Entweihung religiöser Symbole, die Zerstörung von Kirchenfassaden oder die Beleidigung von Geistlichen und Teilnehmern der Heiligen Messe“, schilderte Polens Innenminister Mariusz Kamiński laut der Nachrichtenagentur PAP. Allein am Wochenende habe die Polizei 22 Störungen von Gottesdiensten und 79 Beschädigungen von Kirchenwänden verzeichnet.
In Posen, dem Sitz des Erzbischofs Stanisław Gądecki, waren mehrere Frauen mit Protesttransparenten in den Gottesdienst reingeplatzt und hatten diesen gestört. In Kattowitz protestierten Abtreibungsbefürworterinnen vor der örtlichen Kathedrale. Dort skandierten sie „Pro Choice“-Slogans. In Przeworsk sprühten Demonstranten den Schriftzug „Beschäftigt euch mit dem Körper Christi – Finger weg von Frauen“ an die Fassade einer Glaubensstätte.
Ab Mittwoch soll die polnische Militärpolizei helfen, die Proteste in den Griff zu bekommen. Ministerpräsident Mateusz Morawiecki hatte hierfür eine entsprechende Verordnung erlassen.
Frauenbewegung ruft zu Generalstreik auf
Die Frauenbewegung „Allpolnischer Frauenstreik“ hat unterdessen zu einem Streik aufgerufen. Leiterin Marta Lempart forderte einen vollumfänglichen Generalstreik. „Wir nehmen unbezahlten Urlaub. Wir schließen die Firma. Oder ganz einfach – wir gehen nicht zur Arbeit“, heißt es in einem Appell der Organisation.
Bereits 2016 waren Frauen in Polen auf die Straße gegangen, um für ein Recht auf die Tötung von Ungeborenen zu demonstrieren. Damals hatte die PiS auf ein Totalverbot von Abtreibungen abgezielt. Nachdem sich rund 200.000 Personen versammelt hatten, war sie wieder davon abgerückt.
In Polen darf das entstehende Leben im Mutterleib derzeit beendet werden, wenn das Wohl der Mutter in Gefahr ist, wenn das Ungeborene Fehlbildungen aufweist oder wenn die Schwangerschaft auf eine Vergewaltigung zurückzuführen ist.
Der nun für rechtswidrig erklärte Rechtfertigungsgrund einer Mißbildung des Kindes ist der Anlaß für fast alle Abtreibungen in Polen. Im vergangenen Jahr waren 1.074 der 1.110 Eingriffe darauf zurückzuführen.