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Großbritannien nach Europawahl und May-Rücktritt: In Erwartung eines Erdbebens

Großbritannien nach Europawahl und May-Rücktritt: In Erwartung eines Erdbebens

Großbritannien nach Europawahl und May-Rücktritt: In Erwartung eines Erdbebens

Brexit Gegner
Brexit Gegner
Demonstration von Brexit-Gegnern in London Foto: Ronald Gläser
Großbritannien nach Europawahl und May-Rücktritt
 

In Erwartung eines Erdbebens

Großbritannien ist auch nach dem Rücktritt von Theresa May gespalten. Die Anhänger des Brexit und diejenigen Briten, die am liebsten weiter EU-Mitglied bleiben würden, demonstrieren beide vor dem Parlament. <>Unser Autor Ronald Gläser hat sich an der Themse umgeschaut.<>
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England hat gewählt. Ausgerechnet in dem Land, das vor drei Jahren den Austritt aus der EU beschlossen hat, begann die EU-Wahl. Eigentlich hat dort niemand mit dieser Wahl gerechnet, aber dann scheiterte der Brexit, weil das Parlament das von der Regierung ausgehandelte Abkommen nicht beschließen wollte. Seitdem wird in London um den Austritt gerungen. Brexit-Gegner hoffen auf eine neue Abstimmung. Brexit-Befürworter fühlen sich betrogen. Beide Seiten demonstrieren vor dem britischen Parlament.

Dort wird lebhaft diskutiert: „Was hast du gegen den Islam?“ „Diese Gesellschaften sind rückständig, wenn beispielsweise Umfragen aus Pakistan besagen, daß eine Mehrheit dort gegen Schwule eingestellt ist.“ „Was für Umfragen?“ „Ich kann das nachschauen – der Punkt ist: In vielen Ländern genießen Schwule weniger Rechte.“

Farage könnte für politisches Erdbeben sorgen

Ein Brexit-Befürworter und ein Brexit-Gegner sind auf den Punkt gekommen: Letztlich geht es beim Streit um die EU um illegale Einwanderung und den Islam. Den sogenannten Brexiteers paßt die ganze Richtung nicht. Es sind spannende Tage in London. Theresa May hat ihren Rücktritt erklärt, nachdem sie mit einem neuerlichen Entwurf für ihr Austrittsabkommen endgültig gescheitert war. Die Premierministerin wollte damit zögernde Abgeordnete umstimmen, nachdem sie zuvor bereits drei Niederlagen im Parlament erfahren mußte.

In London war vom Wahlkampf auf den ersten Blick nicht viel zu spüren. Es gab keine Plakate, und es standen keine Wahlkämpfer am Straßenrand. Britische Wahlkämpfe folgen ihren eigenen Gesetzen. Die wichtigsten Instrumente sind Online-Kampagnen, in die viel Geld fließt, und Veranstaltungen der Kandidaten vor Ort. Einen solchen Termin hat Nigel Farage gerade in Bolton bei Manchester absolviert. Vor tausend Anhängern erklärte er auf der Bühne: „Das Establishment fürchtet uns nicht nur, die sind in Schockstarre.“

Seine neugegründete Brexit-Partei rannte in den letzten Umfragen vor der Wahl allen Mitbewerbern davon. Dreißig Prozent und mehr wurden für die neue Partei prognostiziert. Ein politisches Erdbeben. Unter den Zuhörern eines weiteren Farage-Auftritts an diesem Tag in Wakefield hat die Financial Times Tony Homewood ausgemacht, einen Funktionär der Tories, der bei dieser Wahl seiner Partei den Rücken kehrt.

Konservative vor historischer Pleite

Nicht der einzige seiner Art. Den Konservativen droht eine historische Pleite und ein Absinken auf unter zehn Prozent. Letztlich geht es um den Brexit. Die einen lehnen ihn vehement ab. Die anderen fühlen sich um ihren Sieg bei dem Referendum von 2016 betrogen. Im Gespräch mit normalen Briten ist das B-Wort ein Tabu – und doch drehen sich viele Gespräche darum.

Poller in London, um Anschläge zu verhindern Foto: Ronald Gläser

Zugespitzt haben die Briten 2016 gegen Angela Merkels Einwanderungspolitik abgestimmt, als sie den Ausstieg aus der EU wählten. In London ist der Anteil weißer Briten an der Gesamtbevölkerung schon vor Jahren unter die 50-Prozent-Marke gefallen. Das fällt Besuchern in der vorwiegend von Beschäftigten großer Banken und Touristen bevölkerten Innenstadt nicht so sehr auf – dafür in den Außenbezirken umso stärker.

Es ist viel uniformierte Polizei unterwegs. Bahnhöfe wie Victoria Station sind von riesigen Pollern umgeben. „Creating safer space for all“, steht auf den Geräten, die Lastwagen-Amokläufe wie jenen von Anis Amri stoppen sollen. Auch auf den Brücken wird Sicherheit großgeschrieben. Monster-Poller verhindern, daß Fahrzeuge auf den Fußgängerüberweg der Westminster-Bridge fahren können.

Poller gegen die Angst

Ein alter Mann mit Schild steht davor und fordert die Passanten auf, sich Jesus zuzuwenden. Die meisten Leute gehen achtlos an ihm vorbei. Ausländische Hütchenspieler auf der Brücke ziehen mehr Interesse auf sich: Passanten und Touristen bleiben stehen, lassen sich ein paar Pfund aus der Tasche ziehen.

Die Poller erfüllen ihren Zweck. Am 3. Juni 2017 fuhren auf der London Bridge drei Islamisten mit einem Lieferwagen drei Fußgänger auf der Brücke tot und schnitten danach fünf mit Messern die Kehlen durch. Die drei Terroristen wurden wenig später von der Polizei erschossen.

Die Angst vor der Wiederholung eines solchen Anschlags aber bleibt. Sie wird durch Poller gelindert. Die Furcht vor Messerattacken können die Poller jedoch nicht besänftigen. 2017 gab es 37.443 Messerattacken in England und Wales. Das entsprach einen Zuwachs von 21 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Remainer und Brexiteers demonstrieren

Weiter nach Westminster. Der Eingang des Parlaments wird von Bobbys bewacht, die Fußgänger zur Seite drängen. Wann immer ein Abgeordneter kommt oder das Parlament verläßt, wird das Tor für ihn geöffnet. Davor stehen zwei Gruppen: EU-Befürworter, die die Abgeordneten auffordern, den Brexit zu stoppen. Und Brexit-Befürworter auf der anderen Seite, die einen Austritt aus der EU verwirklicht sehen wollen.

Will, Pro-Brexit-Demonstrant Foto: Ronald Gläser

Bei den „Remainern“ steht Mary. Sie verweist darauf, daß bei der Webseite WhatUKthinks die Befürworter eines Verbleibs in der EU seit 2017 in der Mehrheit sind. „Die EU ist unsere Zukunft“, beteuert sie und fordert eine zweite Abstimmung.

Auf der anderen Seite die Brexit-Befürworter. Hier steht Will, ein Student aus Nord-London. Auch er ist bei den Tories wie jener Farage-Anhänger in Wakefield – er hadert mit „seiner“ inzwischen zurückgetretenen Premierministerin. „Sie kapituliert, obwohl sie nie einen Krieg geführt hat“, kritisiert er.

Die Altparteien verlieren

Dann zeigt Will auf die Brexit-Gegner und schimpft über ihre Politik der offenen Grenzen: „Diese Open-Border-Leute leben doch auch nicht in einem Haus ohne Türen.“ Und schon ist das Thema illegale Einwanderung wieder da. Ein junger Schwarzer tritt auf ihn zu und beginnt die eingangs geschilderte Diskussion über Einwanderung, Islam, Fundamentalismus.

Ein junge Nordirin gesellt sich dazu. Auch sie ist für den Verbleib des Königreichs in der EU, so wie der junge Schwarze. Beide fragen Will, wie er so einwanderungskritisch sein könne, wo er doch selbst von Einwanderern abstamme? Will: „Mein Vater war möglicherweise ein Problem, aber ich bin kein Problem. Die Hautfarbe von jemandem interessiert mich nicht.“

Jetzt tritt ein weiterer Londoner hinzu, ein Brexit-Freund. Er hält eine Zeitung hoch. „Wußten sie schon, daß British Steel pleite ist und 25.000 Jobs deswegen in Gefahr sind – alles wegen der EU“, sagt er und trägt kurz vor, was der Grund ist: Die EU versucht von britischen Firmen weiterhin die Gelder für CO2-Emissionen einzusacken, was das Unternehmen in den Ruin getrieben habe. Die Mainstreammedien verkauften den British-Steel-Niedergang hingegen als eine Art „Brexit-Opfer“. So tobt die Debatte vor dem Westminster-Palast zwischen Befürwortern und Gegnern des Brexits weiter. So viel ist klar: Am Sonntag wird die politische Landschaft in Großbritannien anders aussehen. Die Tories werden verlieren. Labour wird verlieren.

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Ronald Gläser ist stellvertretender Vorsitzender der AfD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus.

Demonstration von Brexit-Gegnern in London Foto: Ronald Gläser
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