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Reportage aus der Ukraine: Ein bißchen Frieden in Donezk

Reportage aus der Ukraine: Ein bißchen Frieden in Donezk

Reportage aus der Ukraine: Ein bißchen Frieden in Donezk

Russischer und ukrainischer Offizier
Russischer und ukrainischer Offizier
Russischer und ukrainischer Offizier: Alles blieb friedlich
Reportage aus der Ukraine
 

Ein bißchen Frieden in Donezk

Seit Wochen sind etwa 50 ukrainische Soldaten auf dem Flughafen von Donezk eingekesselt. Am 6. Januar kam es zwischen Armee und prorussischen Aufständnischen zu einem denkwürdigen Treffen. Die Belagerer ließen einen Nachschubkonvoi für die ukrainischen Soldaten passieren. Die JUNGE FREIHEIT war dabei.
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Das Wetter zeigt Gnade, erste Sonnenstrahlen durchbrechen die dichte Wolkendecke über dem ostukrainischen Kriegsgebiet Donbass. In der scheinbar verträumten, in jedem Falle menschenleeren Winterlandschaft zwischen Donezk und Avdiivka hat sich am 6. Januar eine Traube aus Dutzenden Militärs entlang der Überlandstraße versammelt.

Es ist ein buntes Sammelsurium aus Kampf- und Schützenpanzern, Pkw und Uniformierten mit schweren Maschinengewehren sowie Panzerfäusten. Die Aufständischen der „Volksrepublik“ treffen auf ihre ukrainischen Gegner. In friedlicher Absicht. An diesem Tag feiern die orthodoxen Christen ihr Weihnachtsfest, gemäß dem alten Julianischen Kalender. Und die Feinde kommen sich einen Moment lang näher – unter der Aufsicht ranghoher Armee-Angehöriger der Russischen Föderation. Internationale Beobachter von OSZE oder UNO werden nicht benötigt.

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Der Flughafen wurde zum Brennpunkt

Separatist im Kampfwagen: Das Mißtrauen bleibt Foto: Billy Six
Separatist im Kampfwagen: Das Mißtrauen bleibt Foto: Billy Six

49 Soldaten will Kiew vom neuen Terminal des Donezker Flughafens abziehen – und durch 50 frische Kameraden ersetzen. Ein Soldat war getötet worden. Auch Nahrungsmittel und Munition werden benötigt. Die beengte Stellung am Nordwest-Zipfel der einst 1,1 Millionen Einwohner starken Industriestadt ist die letzte Position der ukrainischen Regierung in Donezk. Sie ist von politischer wie auch strategischer Bedeutung – vom Flughafenkontrollturm aus haben Scharfschützen vollen Überblick im Gelände.

Die Operation ist Bestandteil der Deeskalationsstrategie aus dem Abkommen von Minsk. Seit dem 9. Dezember gilt auch für Donezk ein Waffenstillstand. Bereits am 12. Dezember trafen Rebellenkommandeur „Motorola“, der russischer Staatsbürger ist, sowie der ukrainische Befehlshaber Kupol im Niemandsland aufeinander. Für die sich anschließende diskrete Operation ist neben russischen Reportern die JUNGE FREIHEIT als einziges westliches Medium anwesend.

Ukrainer und Russen auf gemeinsamer Mission

Separatist vor Autowrack: Das Ergebnis des Krieges Foto: Billy Six
Separatist vor Autowrack: Das Ergebnis des Krieges Foto: Billy Six

Der Konvoi aus Militärs und Journalisten sammelt sich am Hauptquartier des Rebellen-Geheimdienstes SBU. Die Militärgesandten Kanoynik (Ukraine) und Kozlov (Rußland) fahren im gemeinsamen Wagen vornweg. Kanoynik erklärt am Treffpunkt auf Nachfrage: „Wissen Sie, in allen zivilisierten Ländern, die sich im Krieg befunden haben, waren die Waffenruhen dafür da, die Verwundeten zu transportieren, die Körper Gefallener wegzuschaffen und so weiter. Es ist das gleiche hier. Das ist die menschliche Psychologie, und nicht jeder kann auf lange Zeit an diesem Ort weilen.“

Im übrigen seien beide Seiten Teil der „slawischen Völkerfamilie“. Für Mitte Januar sei ein Gefangenenaustausch geplant. Andrij Spiegel, „stellvertretender Chef der Militärpolizei“ im Rebellenstaat, ergänzt in einer für die „Volksmiliz“ unüblich geschliffenen Rede: „Auf diese Weise zeigen wir, daß auch wir an Frieden interessiert sind.

Wie jeder andere auch wollen wir eine friedliche Lösung dieser Angelegenheit und möchten niemanden töten.“ Die meisten der ukrainischen Soldaten seien gegen ihren Willen aus dem Berufsleben gerissen und eingezogen worden, so Spiegel. Dazu paßt allerdings nicht, daß die ukrainische Regierung bisher nur eine Teilmobilisierung von Reservisten angeordnet hat – und bei Besuchen in der Truppe ebenfalls zahlreiche Freiwillige zu finden sind.

Uniformen mit deutscher Flagge

Durchaus realistisch schätzt der in weißer Tarnkleidung erschienene Milizionär die Gründe dafür ein, daß sich die Armee auf Verhandlungen eingelassen hat: „Andere Wege (zur gewaltsam erzwungenen Versorgung) wären ihnen teuer zu stehen gekommen.“

Mit Verspätung treffen die vier erwarteten Lastwagen ein. Die ukrainischen Militärs, viele von ihnen mit Bändern in den blau-gelben Nationalfarben geschmückt, springen auf den Boden – und entleeren im knirschenden Schnee ihre Rucksäcke. Munition, die über ein Magazin hinausgehe, werde abgewiesen, heißt es. Zusätzliches als Schußwaffen sowieso. Soldat Vitali hat eine Uniform mit bundesdeutscher Flagge als Abzeichen. Seine Cousine wohne schließlich in Deutschland, gibt er zur Begründung an.

Von Lemberg aus erklärt Roman Havryshkiv, im vergangenen Jahr Mitorganisator des Maidan und Anhänger des „Rechten Sektors“, daß viele Uniformen der Truppe ohnehin nur aus privaten Sachspenden bestünden. Seine Regierung versage, Poroschenko sei zu schwach und nachgiebig – und das System chronisch korrupt. Jüngst mache ein Witz die Runde, so Roman: „Warum hat die Ukraine keine Atomwaffen? Weil die Freiwilligen sie noch nicht gekauft haben.“

„Granatwerfer, schwere Artillerie und Panzer“

Aufständische und Ukrainer treffen sich: Alles bleibt friedlich Foto: Billy Six
Aufständische und Ukrainer treffen sich: Alles bleibt friedlich Foto: Billy Six

Ob die Nachrücker tatsächlich nur der regulären Armee angehören oder möglicherweise einer der paramilitärischen Einheiten, kontrolliert die aufständische „Opolschenia“ nicht. Nach einer halben Stunde ist die Einsichtnahme gelaufen – ohne besondere Vorkommnisse. Die Fahrzeugschlange fährt auf das weitgehend verwüstete Flughafen-Gelände. Für wenige Stunden ist es hier ruhig. Doch Offizier Kanoynik erhebt schwere Vorwürfe gegen die Rebellen: „Gestern und heute ist die Zahl der Angriffe im Vergleich zu den Vortagen auf 50 gestiegen – zuvor waren es 10, 15, 20.

Am Anfang haben sie mit Kleinkalibern geschossen, heute benutzen sie Granatwerfer, schwere Artillerie und Panzer.“ Tatsächlich waren die Explosionen der letzten Wochen in der Regel Folge von Abschüssen aus der Stadt nach außen.

Ob die Überwindung des Hasses am Weihnachtstag in die Geschichte eingehen wird, bleibt abzuwarten. Anders als in den zunehmend brutalen Gemetzeln islamischer Kriegsparteien im Orient gibt es durchaus eine abendländische Tradition der Feindesliebe. Legendär wurde der ungeplante Weihnachtsfrieden in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs. Das war vor genau 100 Jahren.

Russischer und ukrainischer Offizier: Alles blieb friedlich
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