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Therapie-Sitzung in Dresden

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Erhard Eppler (82) blickt seinem neuen Vorsitzenden tief in die Augen. Dann klopft er Sigmar Gabriel anerkennend auf die Schulter. „Junge, das hast du gut gemacht“, scheint der altgediente Genosse zu sagen, unmittelbar nachdem Gabriel seine Bewerbungsrede für das Amt des Parteivorsitzenden gehalten hatte. Die Ausführungen des 50 Jahre alten Ex-Bundesumweltministers hatten auch ihn überzeugt. Sieben Minuten Beifall und beeindruckende 94,2 Prozent kann Gabriel am Ende für sich verbuchen.

Dabei wirken die Sozialdemokraten zu Beginn ihres Parteitages am vergangenen Wochenende in der Messehalle von Dresden zunächst wie ein auf der Couch von Sigmund Freud liegender Dauerpatient. Verunsicherung, Zorn, Selbstzweifel und Ratlosigkeit sind in den Gesichtern vieler Delegierter abzulesen. Das ändert sich auch nicht während der Abschiedsrede von Parteichef Franz Müntefering. Der scheidende Vorsitzende beschönigt nichts. „Wir waren für viele die von gestern“, stellt er fest. Doch ansonsten hält sich seine Selbstkritik am Kurs der SPD in Grenzen. Der 69jährige beläßt es bei einem Aufruf zu Geschlossenheit, kritisiert den jüngsten Richtungsstreit unter den Genossen. „Laßt diese Art von Flügelei“, appelliert er. Mäßiger Muß-wohl-sein-Beifall für „Münte“.

Bei der anschließenden Aussprache geht es ähnlich lethargisch zu. 66 Redner haben sich zu Wort gemeldet. Fünf Minuten pro Beitrag sind vorgesehen. Fast alle brauchen mehr. Stunden vergehen, der Parteitag verkommt zur Therapie-Sitzung. „Die Schwarzen stellen überall die Vereinsvorsitzenden“, beklagt eine Delegierte und fordert mehr Engagement der Genossen in Vereinen. Ein anderer geht auf das „verheerende“ Ergebnis bei den Erstwählern ein. Mit seiner Brille, dem grauen Spitzbart und der Halbglatze erinnert er unfreiwillig ein wenig an Walter Ulbricht. Nur 17 Prozent der Jüngeren hätten SPD gewählt, kritisiert der Genosse.

Die SPD-Urgesteine Hans-Jochen Vogel und Erhard Eppler lassen die Selbstfindungsgespräche über sich ergehen, lauschen den Frustbekundungen der Basis. Andere SPD-Prominente stellen ihr Gehör auf Durchzug, tummeln sich im Foyer an den Ständen der Wirtschaftslobbyisten. Karl Lauterbach findet den neuen Mini-Laptop eines bekannten Computerherstellers sichtlich interessanter als die Selbstkritik-Arien im Plenum, Ulla Schmidt hält lieber ein Schwätzchen bei Kaffee und Kuchen, während Olaf Scholz mit Parteifreunden in der Presselounge herumflachst.

Dann spricht Gabriel. Und alles wird anders. Im Foyer ist es plötzlich leer, das Plenum bis auf den letzten Platz besetzt. Gabriel beginnt nachdenklich. Er spricht von der politischen Mitte: davon, daß diese Mitte zuletzt „im Sinne der Marktideologen“ interpretiert wurde und die SPD ihr nicht hinterherlaufen dürfe.

Vielmehr gelte es, von links aus die Deutungshoheit über die Mitte zu erringen. So habe es schon Willy Brandt gemacht. „Die Mitte war links, weil wir sie erobert hatten. Das müssen wir wieder machen“, fordert Gabriel, der CDU, CSU und FDP als „die politische Rechte in unserem Land“ bezeichnet.

Es sei die SPD gewesen, die bürgerliche Freiheit erkämpft und die Demokratie verteidigt habe, sagt Gabriel und erntet für diesen Satz tosenden Applaus.  Er will mit der SPD wieder in die Mitte der Gesellschaft – dahin, „wo es anstrengend ist“ und „wo es manchmal auch stinkt“. Er kritisiert die Bildungspolitik von Schwarz-Gelb, die lieber die Raumfahrt fördere, als in die Ausbildung der jungen Generation zu investieren. „Kein Geld für die Bildung, aber Geld für Peterchens Mondfahrt ausgeben“, attackiert er die christ-liberale Koalition.

Frenetischer Beifall. Der in Niedersachsen mit dem Spitznamen „Harzer Roller“ bekannt gewordene Gabriel kommt immer besser in Fahrt, drängt sich im Verlauf seiner Rede immer stärker als die Zugspitze der SPD auf. In Hannover von der Konkurrenz schon mal als Mops von Gerhard Schröder verspottet, verwandelt sich Gabriel in der Dresdner Messehalle in einen Pitbull-Terrier, der sich in den schon jetzt sichtbaren Schwachstellen der schwarz-gelben Koalition festbeißt. „Macht euch auf was gefaßt, wir kämpfen wieder“, bläst er zum Angriff und befreit die Genossen-Basis endgültig aus ihrer Lethargie. Die Partei brauche wieder Freude statt Gram. „Wer nicht lächeln kann, der soll keinen Laden aufmachen“, gibt Gabriel in seinem Schlußwort ein chinesisches Sprichwort zum besten.

Die Parteilinke Andrea Nahles muß da gerade nicht zugehört haben. Ihre Bewerbungsrede wirkt verbissen, lustlos. „Ich glaube, es ist gut, daß eine Frau Generalsekretärin wird. Basta und Testosteron hatten wir lange genug“, meint sie – und zeigt der Parteibasis, daß in ihr mehr Sekretärin als General steckt. Die Folge: Während Gabriel mit einem deutlichen Ergebnis von 94,2 Prozent zum neuen Parteivorsitzenden gewählt wird, erhält Nahles mit 69,6 Prozent einen klaren Dämpfer.

Foto: Sigmar Gabriel während seiner Rede: Runter von der Couch

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