Zum Jahreswechsel veröffentlichte der chinesische Staatsrat zum fünften Mal seit 1998 ein Weißbuch zur Landesverteidigung. Nach der inzwischen obligatorischen Formel, daß die „Wahrung des Friedens“ der „gemeinsame Wunsch aller Völker der Erde“ sowie „ein unwiderstehliche Entwicklung unserer Zeit“ sei, folgt die Feststellung, daß China eine „nationale Verteidigungspolitik“ verfolge, die ausschließlich „defensiv“ angelegt sei. Doch „Verteidigung“ ist ein schillernder Begriff. Was in diesem Weißbuch als „Gefahren für die Sicherheit Chinas“ angesprochen wird, läßt darauf schließen, daß hierunter vor allem Maßnahmen zur Wahrung chinesischer Interessen in Südostasien verstanden werden. Und es sind wohl weniger die Atomwaffentests Nordkoreas, die Peking als Bedrohung empfindet als vielmehr die wachsende Kooperation zwischen Tokio und Washington. Stachel im Fleisch bleibt aber vorerst Taiwan, dessen „radikale“ Unabhängigkeitsbestrebungen das Weißbuch geißelt. Deutliche Kritik wird in diesem Zusammenhang an den USA geübt, die sich zwar immer wieder zum „Ein-China-Prinzip“ bekennten, tatsächlich aber damit fortführen, Taiwan mit Waffen zu beliefern. Daß China militärtechnisch noch nicht für eine Konfrontation mit den USA gerüstet ist, ist den Verfassern des Weißbuchs bewußt. Deshalb lautet die Grundbotschaft, daß die Volksbefreiungsarmee (VBA) modernisiert werden müsse, und zwar vor allem in denjenigen Waffengattungen, denen bei offensiven Operationen eine zentrale Rolle zukommt, nämlich den See- und Luftstreitkräften. Bezeichnenderweise ist davon die Rede, daß die „Kampfkraft der Marine“ sukzessive zu erhöhen sei und deren „Fähigkeit für nukleare Gegenschläge“ verbessert werden solle. Noch deutlicher wird das Weißbuch im Hinblick auf die Luftwaffe, deren Aufgabenbereich von der rein „territorialen Luftverteidigung“ auf die Fähigkeit zu „offensiven Operationen“ erweitert werden soll. Abschuß eines Satelliten durch Langstreckenrakete Im gleichen Atemzug wird aber betont, daß mit diesen Vorhaben kein Rüstungswettlauf mit den USA angestoßen werden soll. Immerhin aber soll hier wohl eine militärische „Drohkulisse“ aufgebaut werden, die eine mögliche Intervention Washingtons zugunsten Taipehs verhindern könnte. Ein Rüstungswettlauf mit den USA steht im übrigen schon deshalb nicht zur Diskussion, weil der chinesische Militärhaushalt offiziell gerade einmal sechs Prozent des US-Verteidigungshaushalts ausmacht. US-Experten gehen allerdings davon aus, daß die tatsächlichen Zahlen etwa zwei- bis dreimal höher liegen. Selbst wenn dem so ist, nimmt sich der chinesische Verteidigungshaushalt neben dem der USA immer noch eher bescheiden aus. Unabdingbar scheint den Verfassern des Weißbuchs eine Modernisierung der VBA im Hinblick auf die Informationstechnik zu sein. Wissenschaft, Technik und Industrie sollen für die nationale Verteidigung fruchtbar gemacht werden. Ziel ist die Entwicklung und Produktion von Hochtechnologie-Waffen sowie Ausrüstung. Dafür sei der Durchbruch in einer Reihe von Schlüsseltechnologien notwendig, um den Prozeß der Modernisierung von Waffen und Ausrüstungen zu beschleunigen. Ein Vorgeschmack darauf, was das konkret bedeuten könnte, könnte der Ende Januar gemeldete Abschuß eines Satelliten durch eine chinesische Langstreckenrakete gewesen sein. China ist es damit als erster Nation gelungen, einen künstlichen Erdtrabanten gezielt abzuschießen. In den USA hat dieser Erfolg einige Unruhe ausgelöst, muß man doch davon ausgehen, daß in einem Konfliktfall auch US-Satelliten gefährdet sein könnten. Als weiteres mögliches Konfliktfeld werden im Weißbuch bestimmte Grenzprobleme identifiziert. Hier hat China vor allem jene Gebiete im Blick (die oft nichts anderes als kleine Inselgruppen sind), um die herum Energievorkommen vermutet werden. Besonders umstritten sind die Senkaku-Inseln im ostchinesischen Meer, die China von Japan mit Vehemenz zurückfordert.