Er handelte zweckmäßig. Jaroslaw Kaczynski, Zwillingsbruder des Staatspräsidenten Lech Kaczynski und Chef der regierenden sozialkonservativen Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS), nahm vor zwei Wochen die bisweilen unsicheren Kantonisten der Regierung, die bäuerlich-linkspopulistische Partei Samoobrona („Selbstverteidigung“) und die rechtsnational-katholische „Liga Polnischer Familien“ (LPR), enger in die Pflicht und beendete damit das halbjährige Rätselraten um die Lebensfähigkeit der Minderheitsregierung von Kazimierz Marcinkiewicz. LPR übernimmt die Ressorts für nationale Erziehung sowie für Fischerei und Seewirtschaft, die Samoobrona – drittstärkste Kraft im Sejm – gar drei: Landwirtschaft, Bauwesen, Arbeit und Soziales. Mit den „Schmuddelkindern“ der Nachwende-Demokratie Auf den ersten Blick scheint Kaczynski ein beachtlicher Wurf gelungen: Das Gespenst der (zu) kurzen Amtszeit ist gebannt, sein Premier kann sich nun im Zweifelsfall auf 240 Stimmen im Parlament stützen, neun mehr als zur absoluten Mehrheit notwendig. Samoobrona und LPR sowie die LPR-abtrünnigen „Nationalen“ im Sejm, bisher lediglich per „Stabilisierungspakt“ zur Unterstützung des Regierungsprogramms verpflichtet, müssen nun ihre Tolerierung à la polonaise aufgeben. Nun will aber die Debatte über diese Regierungsumbildung schier kein Ende nehmen. Sie hat hauptsächlich damit zu tun, daß Kaczynski ausgerechnet die Schmuddelkinder der Nachwende-Demokratie ins Boot holte, obwohl theoretisch sowohl die wirtschaftsliberale „Bürgerplattform“ (PO) als auch die gemäßigt-konservative Volkspartei (PSL) zur Verfügung standen. Daß seine Wahl ohne äußere Not just auf jene fiel, die das politische „Establishment“ in Warschau (die Brüder Kaczynski bis vor kurzem eingeschlossen) als nicht salonfähig empfindet, verleiht dem ganzen eine besondere Note. Denn sowohl LPR als auch Samoobrona kommen nicht von der großen antikommunistischen Bewegung der siebziger und achtziger Jahre, sie sind keine Solidarnosc-Kinder und auch nicht ihren zivilbürgerlichen oder ethischen Grundsätzen verpflichtet. Mit ihrem katholisch verbrämten polnischen Nationalismus bzw. gewalttätigen Populismus orten sie sich eindeutig als Sprößlinge der frühen Neunziger. Kaczynskis Tabubruch ist demnach eindeutig: Mit der Kabinettsumbildung kappt er die Leine zur gemeinsamen, Solidarnosc-fundierten, antikommunistischen Vergangenheit (die ihn etwa mit der PO verbindet) und versucht einen ganz neuartigen Aufbruch in die „Vierte Republik“ mit Parteien, denen der autoritäre Gedanke nicht fernliegt. Die „Dritte Republik“ nämlich, die es von 1989 bis 2005 gegeben habe, gehöre eindeutig zertrümmert. Diese sei durch unendliche Kungeleien zwischen altersschwachen (Post-)Kommunisten und dem linksliberalen Solidarnosc-Flügel 1989 entstanden und habe schnurstracks in einen wilden „Enteignungskapitalismus“ geführt. Auch habe sie die Entstehung von Hunderten undurchschaubaren Privatvermögen begünstigt, bei der alte Geheimdienste, neue Machthaber und interessiertes Kapital in seltener Einigkeit Hand in Hand gearbeitet hätten. Dieser einträchtige Filz aus Alt und Neu habe das Tafelsilber an Industrie und Grund und Boden zu Spottpreisen ans Ausland verscherbelt und sich selbst dabei nach Kräften mitversorgt. Das nationale Interesse finde sich dabei unter den Teppich gekehrt und der Eintritt in die EU mit einem Preis erkauft, der an Hochverrat grenze. Diese Fundamentalkritik ist natürlich ein Fehdehandschuh, den Kaczynski seinen einstigen Solidarnosc-Weggefährten ins Gesicht wirft. In der Erbarmungslosigkeit des Urteils kann er sich der Unterstützung seiner Bündnispartner sicher sein. Diese werden auch nichts dagegen haben, den Staatsumbau so voranzutreiben, wie dies Kaczynski vorschwebt: weg von der laschen, zivilbürgerlichen Staatsverfaßtheit, die ihm seine linksliberalen Vorgänger vererbt haben, und hin zu einer Staatsform, die um nationale und christliche Werte konzentriert ist. Alle drei Bündnispartner – PiS, LPR und Samoobrona – verbindet nämlich auch die Überzeugung, daß ein auf Wertneutralität fixierter Staat sich freiwillig die Hände binden lasse, daß seine Handlungsfreiheit viel größer sei, wenn er eindeutig als Ergebnis einer konkreten Nationalgeschichte dasteht. Keine Probleme dürfte Kaczynski mit seinen Partnern in der Einschätzung der EU haben. Alle drei halten das Brüsseler Konstrukt für reichlich unmodern, auf jeden Fall überholungsbedürftig. Das enge Korsett, das seine Regierung als EU-Mitglied verpaßt bekommt, wird als Unfreiheit, die wenigen Entscheidungen, die sie selbst treffen darf, als Zumutung empfunden. „Jedes Land richtet sich nach seinen eigenen Überzeugungen“, hatte Lech Kaczynski schon im JF-Interview (34/05) angekündigt. Gegenüber den linksliberalen und postkommunistischen Vorgängern im Amt, die das Beitrittswerk gar mit Begeisterung betrieben hatten, gibt sich das nunmehrige Kabinett in puncto EU geradezu unterkühlt. Man traut ihr in Warschau nicht, und man traut ihr auch nicht viel zu. Warschau hält die EU für zu unbeweglich in außenpolitischen Dingen, für entscheidungsunwillig in Krisen (so etwa im Falle von Bosnien-Herzegowina und jüngst wieder Irak), zu (unguter) Letzt: für zu weich gegenüber Dritten (etwa gegenüber Rußland in der Frage der Ostsee-Gasleitung, JF 38/05). Geschätzt wird hingegen die US-Entschlossenheit, an die man sich auch in der Außenpolitik hält. Die Warschauer Regierung sieht dennoch nicht gerade rosigen Zeiten entgegen. Insbesondere drei Risiken zeichnen sich für die neue Koalition ab. Zum einen ist da die Gefahr einer selbstverschuldeten Isolation: Erst vor kurzem ist der EU-freundliche Außenminister Stefan Meller zurückgetreten, da er mit EU-Gegnern vom Schlage eines Andrzej Lepper (Samoobrona-Chef, JF 25/04) nicht an einem Tisch sitzen wollte. Die Suche nach einem Nachfolger gestaltet sich schwierig, mehrere Kandidaten haben angesichts der geballten Euroskepsis des jetzigen Kabinetts abgewinkt. Gesteigert wird diese Gefahr dadurch, daß Polen zur Zeit mit keinem europäischen Land besonders intensive Beziehungen unterhält: Die zu Rußland sind wegen der Gaspipeline gestört, die zu Deutschland (aus demselben Grund) sehr kühl, die zu Frankreich (wegen Differenzen über EU-Reform) gespannt. Die Ausrichtung der Außenpolitik an den fernen USA tut dazu ihr übriges. Spaltung in formelles und tatsächliches Machtzentrum Zum zweiten drängen die Koalitionspartner gefährlich nach innenpolitischer Abrechnung mit kommunistischen und linksliberalen Vorgängern. Der Sprengstoff ist bereits im Begriff der allseits verfilzten, ja „mafiösen“ Dritten Republik angelegt und läßt eine Reihe von aufwendigen und spektakulären Untersuchungen und Gerichtsprozessen erwarten, die ja politisch motiviert sein dürften und den inneren Frieden gefährden könnten. Rechnet man noch die Leichtigkeit hinzu, mit der die Samoobrona sich über Rechtsnormen hinwegsetzt, und stellt man sich vor, wie etwa eine national-christlich motivierte Staatsanwaltschaft zu Werke geht, erkennt man unschwer, daß Kaczynski gegenüber seinen Koalitionären bald schon als Bremser und Beschwichtiger auftreten muß. Zum dritten schließlich gibt es da eine bedrohliche Spaltung in ein formelles und ein tatsächliches Machtzentrum. Premier Marcinkiewicz ist ein Regierungschef von Jaroslaw Kaczynskis Gnaden, ein Mann ohne Hausmacht, der einem Kabinett vorsteht, welches er selbst weder montiert hat noch führt. Die eigentliche Macht liegt bei seinem PiS-Parteichef, der formell nicht einmal Regierungsmitglied ist, wohl aber den besten Draht zum Bruder, Präsident Lech Kaczynski, hat. Im Zweifelsfalle gehört die Loyalität der kleinen Koalitionspartner nicht dem Regierungs-, sondern dem PiS-Parteichef, der ihnen zu ihren Ministerposten verholfen hat. Bei der ausgeprägten Neigung des PiS-Vorsitzenden Jaroslaw Kaczynski zu einem persönlichen Regiment sind Kabinettskrisen gar als Dauerzustand denkbar, der nur übertüncht werden kann über einen einflußlosen Strohmann, den man auf den Premierposten setzt – und bei Bedarf auswechselt. Foto: PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski (l.), Präsident Lech Kaczynski: Weg von der laschen, zivilbürgerlichen Staatsverfaßtheit Polens
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