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Die Amerikaner haben doppelt unrecht

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Mit den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA verlor der Terrorismus endgültig den „tellurischen“ Charakter, den der deutsche Staatsrechtler Carl Schmitt als Merkmal des Partisanen erkannte. In seiner neuen, globalen Form ist der Terrorismus übernational und entterritorialisiert. Durch seine Entgrenzung, der wiederum die Entgrenzung der Mittel zu seiner Bekämpfung entspricht („Überall, wo es Partisanen gibt, muß man als Partisan vorgehen“, sagte schon Napoleon 1813), hat er die traditionellen Unterscheidungen des klassischen Krieges aufgebrochen: zwischen Zivilisten und Militär, Front und Hinterland, Kriegs- und Friedenszustand, aber auch zwischen Polizei und Armee sowie zwischen Innen- und Außenpolitik. Die Durchschlagkraft des Terrorismus rührt daher, daß er zugleich spektakulär und unvorhersehbar ist. Weil sie so spektakulär sind, werden seine Aktionen umgehend von den Medien auf der ganzen Welt übertragen. Dadurch erreichen sie ihr eigentliches Ziel, nämlich die Öffentlichkeit zu traumatisieren, Verhaltensweisen zu destabilisieren und die Regierungen unter Druck zu setzen. Weil sie so unvorhersehbar sind, lösen sie Ängste aus, die Wahnvorstellungen hervorbringen und sich zumal in der „Risikogesellschaft“ (Ulrich Beck) leicht vom Staatsapparat instrumentalisieren lassen. Trotz allem, was man hier und da liest, hat der Terrorismus seit dem 11. September kaum mehr Opfer gefordert als zuvor. Die klassischen Kriege töten nach wie vor weit mehr Menschen, und die Zahl der „unschuldigen Zivilisten“, die in den letzten Jahren bei amerikanischen Militäreinsätzen ums Leben gekommen sind, übersteigt jene der Terrorismusopfer um ein Vielfaches. Wirklich neu ist nicht der Terrorismus, sondern seine staatliche Instrumentalisierung. Diese Instrumentalisierung fällt um so leichter, als nichts an terroristischen Aktivitäten jemals eindeutig ist. Tagtäglich hört man von der Festnahme „Verdächtiger“, der Verhinderung „versuchter Anschläge“, der Entdeckung von „Netzwerken, die in Verbindung zur al-Qaida stehen könnten“. Die Zeitungen machen daraus Schlagzeilen. Danach verschwinden die Protagonisten all dieser Affären aus dem Blickfeld. Weder gibt es öffentliche Gerichtsverfahren gegen sie noch verifizierbare Informationen. Fünf Jahre nach den Anschlägen auf das World Trade Center kann immer noch niemand mit Sicherheit sagen, was an jenem Tag wirklich passiert ist. Die Grauzonen weiten sich aus, und zwischendurch gibt es voreilige Sensationsmeldungen, die Ängste schüren. Die Verlautbarungen zur „terroristischen Bedrohung“ erzielen dieselbe Wirkung wie der staatlich verordnete tägliche „Zwei-Minuten-Haß“ in George Orwells Roman „1984“: Die Angst vor dem Terrorismus terrorisiert ihrerseits. Unter dem Vorwand der Erfordernisse des Antiterrorkampfes suchen die Staaten eine neue Legitimität zu behaupten. Verängstigt, in Panik versetzt, wie sie sind, nehmen die Menschen ohne Murren sämtliche Einschränkungen ihrer Freiheiten hin, solange sie vorgeblich ihrer Sicherheit dienen. Der Terrorismus bleibt ein politisches Phänomen, das nicht auf „Fanatismus“ oder auf „Irrsinn“ zu reduzieren ist. Zu glauben, daß der – ohne jeden Zweifel notwendige – Kampf gegen den Terrorismus eine bloße Polizeiangelegenheit sei, ist ein schwerer Irrtum. Das einzige wirksame Mittel gegen den Terrorismus ist die Einsicht, daß er Konsequenz ungelöster politischer Probleme ist und daß sich diese Probleme nur auf politischem Weg lösen lassen. Die Amerikaner glauben stets, politische Probleme militärisch regeln zu können. Zudem glauben sie, Militärmacht messe sich an den technischen Möglichkeiten. Damit haben sie doppelt unrecht. Die Anschläge vom 11. September wurden mit lachhaften Mitteln ausgeführt, und weder in Palästina noch im Irak noch irgendwo sonst kann es militärische Lösungen für politische Probleme geben. Seit George W. Bush im Weißen Haus einzog, hat die Außenpolitik der USA ein Desaster nach dem anderen begangen. Die sunnitisch-fundamentalistischen Taliban kehren in Afghanistan an die Macht zurück, der Irak stürzt jeden Tag ein bißchen tiefer ins Chaos. Die israelische Offensive im Libanon endete in einem totalen Fiasko – ihr einziger Erfolg war, die Sympathie der Libanesen für die schiitische Hisbollah zu fördern und deren Anführer in der gesamten arabisch-islamischen Welt zu gesteigerter Popularität zu verhelfen. Doch die US-Amerikaner lassen sich nicht beirren. Die jüngste israelische Offensive, die wohl seit langem mit ihnen abgestimmt war, fügt sich in ihr Projekt eines „neuen Nahen Ostens“ ein. Nach der Zerstörung des Libanon bzw. seiner Umwandlung in einen christlichen Ministaat steht der Krieg gegen die Islamische Republik Iran auf dem Programm, nach deren Zerstückelung diejenige Jordaniens, womöglich gar Ägyptens und Saudi-Arabiens. Aus diesem Grund werden der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad und der Anführer der Hisbollah, Sayyed Hassan Nasrallah, genauso verteufelt wie einst Mohammed Mossadeq, Gamal Abdel Nasser, Muammar al-Ghaddafi, Ajatollah Khomeini, Jassir Arafat oder Saddam Hussein – kurz gesagt jeder, der sich den amerikanischen Plänen für den Nahen Osten widersetzte. Nach dem Fall des Sowjetsystems waren die Amerikaner auf der Suche nach einem Ersatz für den roten Teufel. Der Islamismus kam ihnen gerade recht, um für den Kommunismus einzuspringen. Schon dessen Rolle hatte darin bestanden, ihnen Schutzgelderpressung zu ermöglichen und ihre Verbündeten in Vasallen zu verwandeln. Derzeit läuft ganz Europa Gefahr, in dieser wahnwitzigen Flucht nach vorne mitgerissen zu werden. Frankreich hat bereits exemplarisch vorgeführt, wie man es nicht machen sollte, indem es die Leitung einer internationalen Truppe im Libanon übernahm, deren Mitglieder sich wenig später in Geiselhaft wiederfanden. Georg Hoffmann-Ostenhof hat tausendfach recht, wenn er im Wiener Wochenmagazin Profil schreibt: „Spätestens jetzt nach dem Libanon-Krieg wird es sonnenklar: Europa muß eine eigenständige Nahost-Politik entwickeln. Es genügt nicht, nur als Bremser gegenüber Washington zu wirken oder als Vermittler aufzutreten. Die Litanei von der Notwendigkeit einer gemeinsamen US-europäischen Strategie muß ein Ende finden. Es muß ein offener Bruch mit der amerikanischen Weltpolitik vollzogen werden. (…) Weltpolitisch muß Europa aus dem amerikanischen Schatten heraustreten und als ein echter Global Player auf der Bühne der Weltpolitik agieren.“ Momentan bleibt dies jedoch leider ein frommer Wunsch. Alain de Benoist , französischer Philosoph, ist Herausgeber von „Eléments“ sowie Chefredakteur von „Nouvelle Ecole“ und „Krisis“.

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