Da steht er – herausgetreten aus der Fassade eines großen Geschäftshauses am Anger in Erfurt – seit etwa zwei Jahren in imposanter Kürassieruniform, überlebensgroß, stockwerkhoch über dem Eingang. Die vorübergehenden und verweilenden Passanten können sich unter dieser hünenhaften Gestalt beschützt und geborgen fühlen. Eine Vereinigung geschichtsbewußter Erfurter Bürger hat es wahrhaftig fertiggebracht, den „Urpreußen und Reichsgründer“ Otto von Bismarck wieder da zu plazieren, wo bis 1945 das Haus „Anger 33“ mit einem Standbild des Gründers des Deutschen Reiches von 1871 herausragte. Hintergrund dieser Bismarckschen Erinnerungsstätte ist sein Wirken und Auftreten als preußischer Abgeordneter des Volkshauses der Erfurter Unionsversammlung. Vom 20. März bis zum 29. April 1850 tagte dieses Unionsparlament in Erfurt deswegen, weil König Friedrich-Wilhelm IV. eine preußisch-kleindeutsche Lösung der deutschen Frage anstrebte. Triebfeder dieser erneuten Einigungsbestrebung war der Leiter der auswärtigen Politik Preußens, Josef Maria von Radowitz, der meinte, den gesamtdeutschen Schwung der Frankfurter Nationalversammlung von 1848 zu nutzen, um wenigstens einen Teil Deutschlands unter Preußens Führung zu einigen. Dieses Erfurter Unionsparlament tagte in der durch Martin Luther berühmt gewordenen Augustinerkirche. Jedoch hatte Österreich schon 1849 anläßlich des Dreikönigsbündnisses zwischen Preußen, Sachsen und Hannover klargemacht, daß es keine Union der deutschen Länder unter Preußens Führung dulden werde. Wegen Österreichs Distanz zu dem „Erfurter Unternehmen“ hatten auch Bayern, Württemberg, Holstein, Luxemburg und Liechtenstein von vorneherein keine Abgeordneten ins Unionsparlament entsandt. So kam, was kommen mußte: Österreich, unterstützt vom russischen Zaren, verursachte die Auflösung eines Parlaments, das nur sechs Wochen getagt hatte. Zwar schreibt Bismarck in seinen Gedanken und Erinnerungen, er habe in Erfurt als Unionsabgeordneter sich „die diplomatischen Sporen verdient“. Mit dem offiziellen Ansinnen Preußens als Führer einer deutschen Union, die den Deutschen Bund ablösen sollte, konnte und wollte er sich 1850 noch nicht anfreunden. Vielmehr war Bismarck froh, daß dieses Parlament bald wieder aufgelöst wurde. Seiner Auffassung nach war Preußen noch zu sehr Manövriermasse anderer deutscher Staaten – allen voran Österreichs. Die so notwendige Dominanz Preußens im gemeinsamen deutschen Chor war für Bismarck noch nicht ausgeprägt genug. Die Entwicklung gab ihm recht. Auf der mährischen Festung Ölmitz konnte der österreichische Staatskanzler Schwarzenberg unter dem Hinweis der russischen Unterstützung dem preußischen Regierungschef Manteuffel, Nachfolger des abgelösten Radowitz, am 29. November 1850 mit einer sogenannten „Punktation“ den Verzicht auf alle Unionspläne und den Fortbestand des Deutschen Bundes regelrecht aufzwingen. So manche Geschichtsinterpreten der damaligen Zeit sehen hier die Ursache dafür, den deutschen Dualismus 1866 in Königsgrätz notgedrungen gewaltsam zu entscheiden. Die Erfurter Bismarck-Verehrer haben dem Reichsgründer in einer Zeit großer historischer Orientierungslosigkeit ein Denkmal gesetzt. Er könnte im neuen Jahrhundert das im 20. Jahrhundert zunehmend mißachtete politische Prinzip des Ausgleichs anmahnen. Diese Ansicht teilt auch der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger, wenn er anläßlich des hundertsten Todestages dieses überragenden Politikers am 30. Juli 1998 feststellte: „Bismarck war nach meiner Ansicht der bedeutendste Staatsmann des 19. Jahrhunderts, weil er die Lösung für die Frage der deutschen Einheit und der europäischen Ordnung gefunden hat.“ Als Christ war Bismarck auch ein Mann des Friedens. Er hatte erkannt, daß das Ziel der Politik nur der Friede zwischen den Völkern sein kann. Er hat zwar Kriege geführt. Aber es war immer sein Gedanke, den Waffengang möglichst schnell zu beenden und zwar mit einem Frieden, der keine unheilbaren Wunden hinterläßt. Das beinhaltet, daß er wie wenige andere Politiker erkannt hat, daß ein dauerhafter Friede zwei wesentliche Vorbedingungen hat: Der Besiegte muß am Friedensweg beteiligt werden und damit für die Friedensordnung Verantwortung tragen. Ein echter Friede muß zweitens Grundsätze befolgen, die gleichermaßen auf Sieger wie auf Besiegte Anwendung finden. Foto: Bismarck-Statue in Erfurt: Ziel der Politik kann nur der Friede sein
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