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Die Angst vor der Leere

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Die Schloßanhänger in Berlin
wähnen sich kurz vor dem Sieg.
Im Januar könnte der Abriß des Palastes der Republik unmittelbar nach einem endgültigen Beschluß des Bundestags beginnen. Eine Mehrheit gilt als sicher, nachdem Anfang Dezember der Kulturausschuß mit den Stimmen von Union, SPD und FDP den Antrag von Grünen und PDS zurückgewiesen hat, ein Abrißmoratorium zu erlassen. Der erste Spatenstich für das rekonstruierte Schloß könnte 2008 erfolgen. Ob das aber realistisch ist? Man rechnet mit einem Finanzbedarf von fünf- bis achthundert Millionen Euro, sogar von 900 oder 1.200 Millionen ist die Rede. Nicht zuletzt hängen die Schätzungen davon ab, ob die Experten zum Lager der Schloß- oder der Palast-Anhänger gehören.

Berlin ist arm wie eine Kirchenmaus, also muß der Bund zahlen, wenn die öffentliche Hand die Nutzung des zentralen Stadtraums bestimmen will. Ein privater Großinvestor ist bisher ohnehin nicht in Sicht. Im Koalitionsvertrag bekennt die Regierung sich zum Beschluß über den Schloßneubau, den der Bundestag 2002 mit überwältigender Mehrheit getroffen hatte, macht die Realisierung aber von der Kassenlage abhängig. Für Spekulationen sorgt ein Brief, den kürzlich die Parlamentarische Staatsekretärin im Finanzministerium, Barbara Hendricks, an die Abrißgegner geschrieben hat. Sie plädiert dafür, den gegenwärtigen Zustand beizubehalten, solange kein überzeugendes Nutzungskonzept für den Schloßplatz vorliegt. Zugleich warnt sie vor "langfristigen Belastungen" der öffentlichen Haushalte. Für persönliche Profilierungssucht ist Hendricks nicht bekannt. Die Annahme liegt nahe, daß sie die Meinung ihres Ministers Peer Steinbrück wiedergibt.

Die Schauspielerin Sandra Bullock geht voran

Falls der Abriß stattfindet, wird sich auf dem Areal für lange Zeit wohl eine Grünfläche erstrecken, die rasch, den Berliner Sitten entsprechend, als Hundeauslauf und Liegewiese genutzt wird. Der Stadtraum wird an dieser Stelle noch mehr auseinanderbrechen als bisher. Diese Aussichten wohl haben entschiedene Schloßbefürworter wie den Publizisten Friedrich Dieckmann oder den Unternehmensberater Roland Berger bewogen, für eine Atempause beim Abriß einzutreten.

Wegen solcher Rauchzeichen glauben die Palast-Anhänger, daß für sie noch nicht aller Tage Abend ist. Ein "Bündnis für den Palast" hat der Grünenvorsitzenden Claudia Roth eine Liste mit 10.000 Unterschriften übergeben, die Roth an Bauminister Wolfgang Tiefensee (SPD) weiterzureichen versprach. Das Bündnis fordert "eine zukunftsorientierte, finanziell machbare und dem modernen Verständnis Berlins entsprechende Lösung der Schloßplatzbebauung". An der Spitze der Unterzeichner stehen Hollywood-Star Sandra Bullock – die hoffentlich nicht den Palast mit der Berliner Mauer verwechselt -, der Schauspieler Daniel Brühl, der Musikproduzent Tim Renner, PDS-Größen, Grünenpolitiker und zahlreiche Architekten. Doch was heißt "zukunftsorientiert", und was ist Berlins "modernes Selbstverständnis"? Ganz abgesehen davon, daß es nicht nur um Berlin als Kommune, sondern als Hauptstadt geht.

Weder die Stadt noch das Land nehmen wirklich Anteil an der Diskussion um ihren potentiell wichtigsten Platz. Den rührigen Schloß-Anhängern fehlt die Basis und vor allem die Jugend. Die zur Anschubfinanzierung gesammelten Spenden liegen im einstelligen Millionenbereich. Sicher, vergleichbarer privater Reichtum wie in Hamburg oder München ist in Berlin nicht vorhanden, doch das trifft auch auf Dresden zu. Dort wurde der finanzielle Mangel aber durch Begeisterung kompensiert, die auf Deutschland und sogar aufs Ausland übersprang und die Schatullen öffnete. Aber auch die Gegenseite kann ihren Protest zugunsten des "Volkspalastes" bloß simulieren. Beim ersten "StoppTag" im November, einer vom Palast-Bündnis veranstalteten Demonstration, kamen nur 1.000 Teilnehmer. Erwartet hatten die Organisatoren zehnmal mehr.

Alle Argumente sind ausgetauscht. Als stärkstes haben die Schloß-Anhänger auf ihrer Seite, daß bisher keine alternative Lösung präsentiert wurde, der man zutrauen könnte, die einstige Funktion des Schlosses im Stadtraum zu übernehmen. Benötigt wird ein Baukörper, von dem ausreichend Schwerkraft ausgeht, um die umliegenden Gebäude auf der Museumsinsel sowie Zeughaus, Oper, Dom, Kronprinzenpalais usw. zusammenzubinden und außerdem als Zielpunkt der Straße Unter den Linden zu fungieren. Weniger überzeugend sind die Nutzungskonzepte. Ein "Humboldtforum" soll Bibliotheken, wissenschaftliche Sammlungen und Museen aufnehmen. Ob eine Schloßfassade damit notwendig korrespondiert? Von einem Luxushotel ist die Rede, um privates Kapital zu aktivieren, doch gibt es in Berlin bereits ein Überangebot an Luxusherbergen, sie lassen sich kaum noch wirtschaftlich betreiben. Christoph Stölzl, ehemaliger Kultursenator und Museumsdirektor, möchte die Bestände aus dem Museum für Völkerkunde im abgelegenen Berlin-Dahlem in den Schloßbau holen und zieht die Parallele zum Pariser Louvre. Doch der Vergleich hinkt. Im Louvre ist das klassische Kulturerbe versammelt, angefangen vom Zweistromland über Ägypten, Griechenland, Rom bis in die jüngere europäische Vergangenheit. Die afrikanische oder Inka-Kunst besitzt keine vergleichbare Relevanz, und erst recht nicht ist einzusehen, warum dafür die alte Staatsmitte in Beschlag genommen und das preußische Königsschloß nachgebaut werden muß. Vorschläge wie die Überdachung des kulturhistorisch bedeutsamen Schlüterhofs, der vermietet werden und damit Geld hereinbringen könnte, sind ästhetisch widersinnig. Berlin verfügt schon zur Genüge über Atrien, Passagen, Glasdächer, transparente Gebäude-Ummantelungen. Die Innenhof-Überdachung des Schlüterschen Zeughauses würde zu einer stickig-unwirkliche Atmosphäre wie in einem Gewächshaus führen und das Erlebnis der Architektur mindern.

Für die Dresdner war die Wiederherstellung der Silhouette am Elbufer ein Vorhaben, das seinen Wert in sich selbst trug und mit ihrer Identität als Bürger der Stadt zu tun hatte. Ähnliches läßt sich über das Verhältnis der Berliner und der Deutschen zur Wiederherstellung der Stadt- und der preußisch-deutschen Staatsmitte nicht behaupten. Man kann den quälenden Entscheidungsprozeß auch als eine Geschichte über die Unfähigkeit von Stadt und Land lesen, die verlorene Mitte wiederzufinden und sechzig Jahre nach dem Krieg eine grundlegende Idee von sich zu kreieren.

Verdorben war die Debatte bereits mit dem Auszug der ersten und einzigen freigewählten DDR-Volkskammer aus dem Palast der Republik, kurz nachdem sie dort am 23. August 1990 den Beitritt zur Bundesrepublik beschlossen hatte. Anlaß war die aus heiterem Himmel publik gewordene Asbestbelastung, die nicht einen Tag länger den Aufenthalt im Haus erlaubte. Wäre das der Grund gewesen, hätte schlagartig in Ost und West die Hälfte der in den siebziger Jahren errichteten öffentlichen Bauten geschlossen werden müssen. In Teilen der DDR-Bevölkerung wurde der Auszug als Akt der Unterwerfung und Delegitimierung ihrer Vergangenheit durch die eigenen Abgeordneten empfunden. Mit Nostalgie hatte das nichts zu tun.

Der Historiker Stefan Wolle schrieb in seinem Buch "Die heile Welt der Diktatur" über die Funktion des Palastes: "Mit viel Aufwand wurde eine Insel der Glückseligkeit aufrechterhalten. Die Gesetze der sozialistischen Mangelwirtschaft schienen für einige hundert Quadratmeter außer Kraft gesetzt. Hier gab es saubere Toiletten, freundliche Kellner und die begehrten Sonderbriefmarken. Das Postamt hatte auch am Wochenende bis zehn Uhr abends geöffnet. Zwischen den Gemälden der bekanntesten Künstler, auf denen keineswegs nur realsozialistische Heldengestalten zu sehen waren, flanierten Familien und Liebespaare. Aus den überall installierten Lautsprechern tönten keine Arbeiterlieder, sondern die Songs ‚international bekannter Musikformationen‘. Wenn die Leute ‚Erichs Lampenladen­‘ sagten, meinten sie das ironisch, aber nicht feindselig. Für die Kinder gab es einen Eisbecher ‚Pittiplatsch‘, für Vater ein Wernesgrüner Bier und für Mama ein Stück Torte mit Schlagsahne – und dies alles zu zivilen Preisen. Im Untergeschoß vergnügte sich die ausgelassene Jugend beim Disco-Sound. (…) Zwischen dem Weinrestaurant am Spreeufer und dem Bistro im Obergeschoß war der Staat der kleinen Leute Realität geworden. Der ‚Palast‘ war die erträumte DDR."

Die Textpassage ist aus drei Gründen interessant. Zum einen gibt sie die Bedeutung des Hauses für den durchschnittlichen DDR-Bürger präzise wieder. Zweitens zeigt sie, daß der Glücksanspruch der "kleinen Leute" in Ost und West in der Substanz ganz ähnlich war. Drittens schlägt der Autor, obwohl selber Ex-DDR-Bürger, genau jenen herablassend-kränkenden Ton an, der viele Mitteldeutsche überhaupt erst zu Verteidigern "ihres" Palastes werden ließ. Einiges von dem Geist des Hauses und ein paar Bauelemente hätte man ruhig übernehmen und in eine Schloßbau-Planung integrieren können: DDR-Vergangenheit und deutsche Teilung wären nicht als belanglose Episoden, aber auch nicht als letztes Wort der deutschen Geschichte erschienen. Jetzt aber konnte die PDS die Schloß-Pläne als Kränkung der DDR-Bürger anprangern und ihr parteipolitisches Süppchen kochen.

Ost-West-Differenz ist nicht mehr entscheidend

Inzwischen ist die Ost-West-Differenz nicht mehr das Entscheidende. Wichtiger ist die Trennlinie zwischen Subkultur-Avantgardisten, die sich politisch links, und Traditionalisten, die sich eher rechts verorten. Die einen sehen den geretteten Palast als Produktions- und Umschlagort für alternative Kunst in die Stadtmitte. Die Ruine mit ihrem morbiden Charme galt zuletzt als "cooler" Ort in der Mitte der Metropole. Aber darf man die Gestaltung dieses Platzes flüchtigen Moden und Stimmungen unterwerfen?

Das Alternative ist alternativ nur in bezug auf ein Etabliertes. Wenn es in die Mitte rückt, ist es selber etabliert. Gerade das wird von Palast-Befürworter als zeitgemäßes Bekenntnis zum Chaotischen, Gebrochenen, Fragmentierten der modernen Großstadt und Gesellschaft interpretiert. Das entspricht der gesellschaftlichen Gemengelage in einer Stadt, die überproportional von Lebenskünstlern aller Art und Empfängern von Sozialtransfers bewohnt wird und sich darauf verläßt, daß irgendwer die Zeche zahlt. Aber darf das alles sein?

Kürzlich faßte Spiegel-online eine Umfrage bei internationalen Konzernen über ihre Meinung zu Berlin in dem Satz zusammen: "Berlin ist Pop!" Aber von Pop allein kann eine Dreieinhalb-Millionen-Stadt nicht leben. Man muß die Frage stellen, ob die ökonomische und soziale Malaise in der einst größten Industriestadt Europas durch den Versuch, sie zu ästhetisieren, nicht noch verschlimmert wird.

Wenn von Berlin in der Frage nichts weiter zu erwarten ist, bleiben der Bund und die Bundesländer als Ideengeber. Der Bund hat sich in der Tat, und das ist der rot-grünen Regierung zugute zu halten, in Berlin vielfach engagiert – und hat damit die Eifersucht der Länder geweckt. Gottfried Benn hatte in den 1950er Jahren über Deutschland als Land ohne Hauptstadt geschrieben: "Wir sehen jetzt drüben Provinzmetropolen mit Lokalgrößen (…) – es fehlt der Blick auf das Regulativ, und das war Berlin. Es fehlt der Blick auf etwas, an dem man Maß nehmen konnte, aus dem man sich Impulse holte, vor allem etwas, vor dem man sich genieren konnte. Jetzt zelebriert jeder seine Messe, Hamburg weiß nichts von München, Düsseldorf nichts von Stuttgart, sie brodeln vor sich hin. (…) Jetzt bleibt alles zu Hause und sucht sich eine Unterkunft und sonnt sich im Glanz der lokalen Kolumnen."

Wozu, mag man sich zwischen Hamburg und München fragen, soll ein Schloß in Berlin gut sein, außer dazu, den Rang der Landeshauptstädte zu mindern. Nur kann dieser Platz nicht ewig leer bleiben, dazu ist er zu wichtig. Wenn die Deutschen vor lauter Selbstzerknirschung nicht mehr in der Lage sind, ihn mit Architektur und Bedeutung zu füllen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis andere das tun werden. Wird seine Leere zum Platzhalter für eine Europa-Moschee? Das wäre eine bizarre Dialektik der deutsch-europäischen Geschichte.

Der "zwischengenutzte" Palast der Republik: Von "Erichs Lampenladen" zum Zentrum der Subkultur

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