Marek Król, Chefredakteur des sensationshungrigen polnischen Nachrichtenmagazins Wprost, hat einen journalistischen Paukenschlag gelandet, als er eine inzwischen weithin bekannte Fotomontage auf der Titelseite plazierte: Die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen (BdV), Erika Steinbach, in SS-Uniform reitend auf dem auf allen Vieren kriechenden Kanzler Gerhard Schröder. Dazu die Schlagzeile: „Die Deutschen schulden den Polen eine Billion Dollar für den Zweiten Weltkrieg“ und, direkt unter des Kanzlers Gesicht, die Aufschrift: „Das deutsche trojanische Pferd“. Wprost hat damit seine Auflage (185.000) um mehr als 50.000 Exemplare erhöht – für polnische Verhältnisse ein sensationelles Ergebnis. Worum es aber den Urhebern dieser Geschmacklosigkeit geht, zeigte sich in den Texten zur montierten Illustration: „Ein trojanisches Pferd trabt durch Europa – und es ist nicht das amerikanische trojanische Pferd aus Polen. Dieses Pferd wurde seit 50 Jahren in Deutschland gezüchtet und ist ein Klon der bekannten Generation, die den Zweiten Weltkrieg überlebt hat“, schrieb Chefredakteur Król offenbar in Anlehnung an Karl Marx. „Das Innenleben des trojanischen Pferdes ist ausgefüllt mit Leuten, die hauptsächlich aus dem früheren Ostpreußen und den tschechischen Sudeten hinausgeworfen wurden.“ Maliziös bemerkt der polnische Autor, die verjagten Deutschen aus Königsberg/Kaliningrad und Umgebung (also dem russischen Nordostpreußen) hätten „die Vertreibung nicht überlebt“. Deshalb seien sie „unsichtbar“. Dahinter aber stecke ein politisches Kalkül der Deutschen: „Mit Rußland legt man sich besser nicht an, sogar wenn es so geschwächt ist wie heute.“ Dann kommt der Wprost-Chef auf den Grund der ganzen Aufregung zu sprechen – das von der BdV-Präsidentin initiierte Zentrum gegen Vertreibungen. Über solche Bestrebungen könne man sich nur „wundern“. Król spricht dann ironisch über den „naiven polnischen Wunschtraum“, wie er in der Umarmung des seinerzeitigen polnischen Ministerpräsidenten Tadeusz Mazowiecki mit dem damaligen Kanzler Helmut Kohl oder angesichts Willy Brandts Kniefalls vor dem Denkmal des Aufstandes im Warschauer Ghetto zutage trat. Die Schlußfolgerung lautet: Die positiven Emotionen der Polen und polnisches Wunschdenken hätten ein derart „idealisiertes Bild“ vom „westlichen Nachbarn“ geschaffen, „daß die Initiative der Erika Steinbach in Polen einen Schock hervorrief“. Der deutsche Staat habe 50 Jahre lang die „Organisationen der Umsiedler gezüchtet“ – gemeint sind die Vertriebenverbände. „Glauben wir (Polen) im Ernst, daß man in den Klubs der Umsiedler Schach spielen oder Tanz- und Kochkurse organisieren würde?“ Król sieht keinen wesentlichen Unterschied zwischen Berliner Regierung und Opposition: „Die Initiative der Erika Steinbach ist die logische Konsequenz der Innenpolitik aller Kräfte in Deutschland – von der Linken bis zur Rechten.“ Jenes Europa, welches Erika Steinbach vorschwebe, „ist nichts anderes als die Wiederbelebung der schlimmsten Dämonen Europas aus dem 20. Jahrhundert“. „Die Deutschen, dieses herrliche Volk, sind oft dennoch nicht zu ertragen“, zitiert Król den polnischen Essayisten Stefan Bratkowski, der zur deutschen Frage ein Buch unter dem Titel „Erziehung zur Aggression“ veröffentlicht hat. Zum Schluß wechselt Król zum Finanziellen: Sollten die Polen, inspiriert durch Erika Steinbach, den Deutschen eine Rechnung für den Zweiten Weltkrieg präsentieren, dann würde es ihnen – dank der dann fließenden Einkünfte aus den Kriegsreparationen – möglich sein, „auf dem Niveau Spaniens, vielleicht sogar Italiens zu leben“. Neben vielen Vorschlägen, das Zentrum gegen Vertreibung einmal in Berlin, ein andermal in Breslau oder gar im Kosovo anzusiedeln, sei der „schönste Vorschlag“ jener, der besage, man solle es im Paradies errichten, „aus welchem, wie wir wissen, der liebe Gott Adam und Eva vertrieben hat“. Sollte aber das „Denkmal“ dennoch in Berlin aufgestellt werden, dann möge es ein Denkmal Alzheimers sein, der die Krankheit des Vergessens erforschte. Auch der ehemalige polnische Außenminister Wladyslaw Bartoszewski wird von Wprost genüßlich zitiert: „Wenn Frau Erika Steinbach und ihresgleichen irgendwelche Entschädigungen für das im Osten verlorene (deutsche) Eigentum fordern sollten, können wir ihr eine Rechnung präsentieren, welche mehrere Generationen von Deutschen bezahlen müßten.“ Womit man bei der sagenhaften „Billion“ Dollar angelangt wäre, die Wprost in seiner Schlagzeile erwähnt. „Wie wollen die Deutschen diese gigantische Summe bezahlen, ohne daß es zu einem Zusammenbruch ihrer Wirtschaft käme?“ fragt das polnische Magazin und konstatiert: „Das ist mehr als sechsmal so hoch wie unser Bruttosozialprodukt und mehr als die Hälfte des deutschen BSP.“ Was die Warschauer Zeitschrift nicht beachtet: Ein durch Reparationszahlungen hervorgerufener allgemeiner deutscher Bankrott würde unvermeidlich auch die Wirtschaft des übrigen Europa (und jene Polens) in den Abgrund reißen. Die Angelegenheit würde nach dem Motto enden: Operation gelungen – Patient tot. Daß es manchen polnischen Kreisen viel weniger um das „Zentrum gegen Vertreibungen“ als vielmehr um bares Geld geht, ergibt sich aus der Tatsache, daß Wprost zwei bekannte US-Anwälte, Edward Klein und Michael Hausfeld, eingeschaltet und sie nach den Chancen einer polnischen Klage gegen Deutschland befragt hat. Beide meinten, daß ein solcher Prozeß vor internationalen Gerichten geführt werden müsse, ein Zivilprozeß würde nicht ausreichen, denn es gehe „um die Ansprüche eines Staates gegen einen anderen Staat“. Eine Klage Polens, meinte Hausfeld, sei aber „nicht ohne Chancen“. Im August 1953 – nach dem Arbeiteraufstand vom 17. Juni – habe die Sowjetunion auf weitere Reparationen aus der DDR verzichtet. Anschließend tat die Regierung der Volksrepublik Polen ein gleiches. Im Kommuniqué war nicht von der DDR, sondern von „Deutschland“ die Rede. Jetzt liest man in Wprost: „Die Regierung der Volksrepublik Polen konnte nicht auf etwas verzichten, auf das sie de facto kein Anrecht hatte, das heißt auf eine Entschädigung durch Gesamtdeutschland.“ Daß das „Unternehmen Steinbach“ des Warschauer Magazins kein bloßes Zufallsprodukt einer journalistischen Laune war, zeigt sich in der Tatsache, daß die Redaktion zahlreiche polnische Völkerrechtler befragte. Einer von ihnen, Wladyslaw Czaplinski von der Polnischen Akademie der Wissenschaften, warnt im Zusammenhang mit den Potsdamer Beschlüssen und dem Reparationsverzicht des Jahres 1953, an denen Polen nicht als souveränes Subjekt beteiligt war, vor künftigen „territorialen Forderungen Deutschlands“. Die deutschen Politiker, so Jan Sandowski, Professor für internationales Recht in Posen, täten dies bereits – Frau Steinbach auf sehr direkte, CSU-Chef Edmund Stoiber dagegen auf „weitaus verschleiertere Weise“. Auch der in Oxford lehrende polnische Philosoph Leszek Kolakowski hat in die Debatte eingegriffen. Gegenüber der Gazeta Wyborcza, der größten Tageszeitung Polens, warnte er mit Blick auf künftige deutsche Forderungen gegenüber Polen: „Im Falle Deutschlands kann das, was heute unmöglich erscheint, morgen Wirklichkeit werden“. „Stoiber kündigt an, was Erika Steinbach seit langem fordert“, heißt es in Wprost – nämlich die Möglichkeit, von Polen und der Tschechei Entschädigungen zugunsten der deutschen Vertriebenen zu verlangen. Wprost bezeichnet – gestützt auf ein Buch des Historikers Richard Chesnoff – den Bund der Vertriebenen als „Botschaft des Dritten Reiches in der Bundesrepublik“. Wprost führt dann detailliert die Verluste an, die Polen im Zweiten Weltkrieg durch die Deutschen erlitten habe – wobei nicht gesagt wird, ob sich der Begriff „Polen“ auf das Territorium Vorkriegspolens oder auf das nach Westen verschobene, bis zur Oder-Neiße-Linie reichende Polen nach 1945 bezieht. Erika Steinbach hat inzwischen in Polen eine „Prominenz“ erreicht wie kein zweiter deutscher Politiker. Die 1943 in Westpreußen geborene CDU-Bundestagsabgeordneten wurde nicht nur allen Ernstes gefragt, ob sie als Säugling mit Seife gewaschen wurde, die aus den Knochen ermordeter Juden hergestellt worden ist. Überdies wurde sie per E-Post von einem polnischen Leser beschuldigt, Steinbachs Familie hätte bei Gdingen in Häusern gewohnt, deren polnische Einwohner verjagt und später erschossen worden seien. So tut sich abseits aller Schönfärberei eine tiefe Krise der polnisch-deutschen Beziehungen auf – eine Krise, die nicht schöngeredet werden sollte. Unter den Internet-Leserzuschriften fanden sich – neben zahlreichen von Haß und Abneigung erfüllten – allerdings auch einige von erfrischender Offenheit: „Wenn Polen den Deutschen eine Rechnung für den Zweiten Weltkrieg präsentiert, müßte es auch Großbritannien und dessen Verbündeten eine solche ausstellen – für den Anteil, den polnische Soldaten … an der Befreiung Europas hatten. Polen sollte auch Rußland eine Rechnung präsentieren – unter anderem soll Rußland dafür bezahlen, daß sein Rechtsvorgänger, die UdSSR, den Polen die Teilnahme am Marshallplan verboten hat“, forderte ein Leser im Wprost-Internetforum. Und zur Reparationsdebatte meinte ein Wprost-Leser: „Warum sollte ein junger Deutscher, der nichts mit dem Zweiten Weltkrieg zu tun hat, einem jungen Polen etwas zahlen, der gleichfalls den Krieg nur aus Büchern und Filmen kennt … Es ist an der Zeit, die Arbeit anzupacken … aber nicht zu erzählen, wie man wem etwas aus der Tasche ziehen kann.“ Foto: Präsidenten Rau und Kwasniewski auf Danziger Westerplatte: Nach Versöhnungsreden nun eine Krise der bilateralen Beziehungen
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