BERLIN. Das Urteil gegen die Linksextremistin Lina E. ist bei mehreren Tageszeitungen und Nachrichtenportalen auf teils scharfe Kritik gestoßen. Die junge Frau war vergangene Woche wegen brutalen Überfällen auf politische Gegner zu fünf Jahren und drei Monaten Haft verurteilt worden.
Für die taz hat die Entscheidung „ein Exempel statuiert“. Dabei sei linke Gewalt in erster Linie eine Reaktion auf eine angebliche rechte Bedrohung. So kommentierte taz-Redakteur Erik Peter am Freitag: „Antifa heißt für viele Menschen vor allem Sicherheit. Es ist das Motiv, angstfreie Räume zu schaffen, die man Antifaschist:innen, die Gewalt auch mit Gegengewalt begegnen, zugute halten muß.“
taz: Linksextremisten mußten tätig werden, weil der Staat versagt hat
Letztlich sei Deutschland auch ein Stück weit selbst schuld an den Angriffen der „Hammer-Bande“. „Der Staat hat all das lange geschehen lassen und zeigte sich außerstande, Menschen anderer Herkunft oder nicht rechter Gesinnung zu schützen“, verteidigte der Autor das Vorgehen der militanten Gruppe weiter. „Erst dieses Staatsversagen reißt die Lücke, in der sich Antifaschist:innen legitimiert sehen, selbst tätig zu werden.“
Die Urteile im Antifa-Ost-Prozess sollen Linke abschrecken. Dabei geht die größere Gefahr von Rechtsextremen aus. Warum Antifaschismus nötiger ist denn je. https://t.co/C2BbL1JzxZ
— taz (@tazgezwitscher) June 2, 2023
Allerdings seien radikale Linke heute geschwächt. Viele begnügten sich bereits damit, „linke Großstadtinseln“ zu verteidigen. „Den wenigen verbliebenen militanten Antifaschist:innen fehlt damit oftmals die Basis; ihre Aktionen können auch als Verzweiflungsakte gelesen werden“, gab Peter zu bedenken.
Der Verfolgungseifer gegen Linke sei groß. Bei Rechten würden Vorfälle hingegen oft nachlässig behandelt. Die Zeiten würden härter und Antifaschismus sei mittlerweile nötiger denn je.
Urteil gegen Lina E. sei „ungeheuerlich“
Das in „nd“ umbenannte Blatt Neues Deutschland, das sich als „sozialistische Tageszeitung“ versteht, prangerte in einem Artikel das Urteil noch deutlich schärfer an. „Es ist ungeheuerlich, daß der Senat um Richter Hans Schlüter-Staats ein so drastisches Urteil auf der Basis von Indizien, haltloser Aussagen militanter Neonazis und eines dubiosen Kronzeugen fällte, das nun den Antifaschist*innen mehrere Lebensjahre rauben wird“, hieß es dort.
Es handle sich um ein Gesinnungsurteil, das ein Exempel gegen militanten Antifaschismus statuieren solle. Dabei würden derzeit knapp 600 Rechtsextremisten mit Haftbefehl gesucht.
Frankfurter Rundschau spielt linke Bedrohung herunter
Die Frankfurter Rundschau leitete ihren Kommentar zum Urteil derweil mit den Worten ein: „Es ist unerträglich, wenn sich Neonazis in Deutschland ausbreiten.“ In Sachsen und Thüringen seien bereits ganze Stadtteile „Angstzonen“, aufgrund der angeblichen Übermacht von Rechtsextremisten.
Selbstjustiz sei zwar falsch und die Taten der linksextremen Gruppe müsse jeder Demokrat verurteilen, aber von einer „neuen RAF“ könne auch nicht die Rede sein. Schließlich gehe die größte Gefahr in diesem Land vom Rechtsextremismus aus. (zit)