Mäßig inszenierte Flüchtlingsdramen gehören zum täglichen Brot des öffentlich-rechtlichen Oeuvre. Die aktuelle ZDF-Miniserie „Liberame“ (Regie: Adolfo J. Kolmerer) erweitert diesen Kanon nun und bewegt sich dabei stilsicher zwischen Erziehungsfernsehen und drögem Gesinnungskitsch. Die unnötigerweise auf sechs Folgen ausgeblähte Handlung versucht im Verlauf der Serie reichlich konstruiert, ein moralisches Dilemma zu erschaffen, dessen Nachwehen das Leben der Hauptdarsteller gehörig auf den Kopf stellt. Worum geht es?
Die Serie spielt auf zwei Zeitebenen, die abwechselnd gezeigt werden und so peu a peu das Geschehen enthüllen. Da wären zum einen die Ereignisse auf dem Segelboot „Liberame“, zum anderen deren Auswirkungen, die Jahre später die Protagonisten im Hamburg der Gegenwart auf unangenehme Art und Weise einholen. Alles beginnt bei einem Mittelmeer-Segeltörn der oberen Mittelschicht, personifiziert durch den Normdeutschen Jan Garbe (Friedrich Mücke) samt Ehefrau Caro (Johanna Wokalek) und weiteren Freunden. Der Urlaub verläuft genretypisch langweilig-verklemmt, bis in unmittelbarer Nähe ein Flüchtlingsboot in Seenot gerät und eine verhängnisvolle Kette an Ereignissen auslöst.
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Das aufgrund eines Motorschadens dahindümpelnde Flüchtlingsboot beherbergt unter anderem auch Ismail (Mohamed Achour) und seine Familie, die in der Serie die Rolle der Opfer einnimmt. Die sichtlich gestreßten, aber dennoch hilfsbereiten Deutschen versuchen zunächst, den Motorschaden zu beheben, scheitern aber und entscheiden sich in Folge, den immobilen Kahn in das Schlepptau der „Liberame“ zu nehmen. Die Handlung entfaltet ihre Dramatik, als ein nächtlicher Sturm aufzieht. Am nächsten Morgen müssen die deutschen Urlauber feststellen, daß das Tau gerissen ist. Von Ismail und dem Flüchtlingsboot fehlt jede Spur.
Alltagsrassismus darf in „Liberame“ nicht fehlen
Zeitsprung. Jahre später begegnen sich Jan und Ismail in Hamburger wieder, der Syrer arbeitet nun als Taxifahrer. Schnell wird klar, daß die Katastrophe in der Sturmnacht nicht allein auf das Konto der Naturgewalten ging. Einer der deutschen Segler soll das Tau absichtlich durchtrennt haben. Der Verdacht erhärtet sich schnell und führt den Plot in ein Labyrinth aus Schuldzuweisung, Mißtrauen und moralischen Grundsatzfragen, wie Menschen in einer solcher Situation richtig zu handeln haben. Natürlich darf subtile Kritik am Alltagsrassismus der deutschen Gesellschaft nicht fehlen, um dem Mix die richtige Prise kritischer Selbstreflexion beizufügen.
Erstaunlich an der Serie ist vor allem, daß selbst ein aus Venezuela stammender Regisseur wie Kolmerer alle Klischees des deutschen Films in fast sklavischer Anpassung zu bedienen weiß. Die ganze Serie ist betont schwermütig, dröge und kommt in einer entsättigten Farbpalette daher, die so typisch für Produktionen öffentlich-rechtlicher Provenienz ist. Natürlich führen alle deutschen Paare dysfunktionale Beziehungen und betrügen einander, auch das ist leider ein überstrapazierter Tropus in Werken dieser Machart, da traditionelles Familienglück in Deutschland für das ZDF schlichtweg nicht existiert.
Dem gegenüber steht die fast schon zu harmonisch dargestellte Familie Ismails, die als besonders modern und aufgeklärt daherkommt. Während Ismails Frau Zahra (Kenda Hmeidan) im Krankenhaus Doppelschichten stemmt, steht Ismail nach seiner Taxischicht am Herd und schwingt den Kochlöffel. Jeder spricht bereits sehr gutes Deutsch, verfügt über ein aufgeklärt-reflektiertes Verhältnis zum Islam und geht einer geregelten Arbeit nach, auch Ismails jüngerer Bruder Bilal (Tariq Al-Saies), der in einem Friseursalon schafft. Probleme der Flüchtlingssituation in Deutschland blendet die Serie komplett aus und zeichnet stattdessen lehrbuchhaft das Bild des vorbildlich integrierten Migranten, ganz gleich, wie sehr dieses Wunschbild von der traurigen Realität ausbleibender Integrationserfolge in Deutschland abweicht.
Schauspieler mühen sich durchs Drehbuch
Die Handlung ist stets von einer großen Ernsthaftigkeit geprägt, so kentert das Flüchtlingsboot nach Durchtrennung des Taus und reißt mehrere Flüchtlinge, darunter Ismails jüngste Tochter, in den Tod. Was also durchaus dazu angetan wäre, eine wirklich spannende Geschichte über Schuld und Verantwortung zu erzählen, mündet in einer seichten Soap-Opera, die von unrealistischen Zufällen und Wendungen geprägt ist.
Die Schauspieler sind dabei nicht mal das größte Problem. Alle sind redlich bemüht, durch das unauthentische und oftmals hölzerne Drehbuch zu manövrieren, mit Ausnahme der ansonsten oft großartigen Johanna Wokalek, welche die ganze Serie mit einem einzigen Gesichtsausdruck bestreitet und damit den Gefühlszustand des Rezensenten beim Konsum der Serie spiegeln konnte. Immerhin.
Wenigstens fehlt unfreiwillige Komik
„Liberame“ bedient schlußendlich viele Klischees, die man von einem öffentlich-rechtlichen Flüchtlingsdrama erwarten darf und erinnert deshalb nicht von ungefähr an eine Rosamunde-Pilcher-Produktion für politisch interessierte Moralisten. Der Serie ist allerdings zu Gute zu halten, daß sie auf unfreiwillig komische Überzeichnung weitestgehend verzichtet.
Man denke hierbei etwa an einen lachhaften Film wie „Aufbruch ins Ungewisse“, in der eine deutsche Mittelschichtsfamilie aus einem rechtspopulistisch regierten Deutschland nach Afrika fliehen muß und damit – was für ein provokantes Gedankenexperiment – in die Rolle der Opfer schlüpft. Derlei Was-wäre-wenn-Klamauk kann die „Liberame“ zwar gekonnt umschiffen, was aber nicht ganz ausreicht, die Serie aus dem Wust deutschen Moralkinos hervortreten zu lassen.
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Die Folgen der Serie „Liberame“ sind in der ZDF-Mediathek abrufbar.