Es war eigentlich als Lob gemeint, doch die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) wollte sich das Etikett nicht anheften. Die Formulierung schmeckte ihr nicht, möglicherweise schreckte sie aber auch vor dem Laudator zurück. Schließlich handelte es sich dabei um den früheren Verfassungsschutz-Chef Hans-Georg Maaßen und der ist für viele Journalisten und Medien Persona non Grata, seit er ihre schönen Geschichten von angeblichen Hetzjagden auf Ausländer in Chemnitz durchkreuzte.
Genau jener Maaßen hatte am Dienstag einen Artikel der NZZ auf Twitter geteilt, der sich mit der Bevölkerungsentwicklung in deutschen Großstädten beschäftigte. Tenor: Die deutsche Mehrheitsgesellschaft sieht dort ihrem Ende entgegen, in absehbarer Zukunft stellen ausländischstämmige Einwohner die Mehrheit.
NZZ änderte Text
In der ursprünglich veröffentlichten Version war zuerst noch von „Ur-Deutschen“ und „Bio-Deutschen“ die Rede, die es gewöhnt seien, sich als Mehrheit einer Gesellschaft quasi auch als „Eigentümer des Landes“ zu fühlen und dessen Kurs bestimmen, nach einiger Zeit verschwanden die Formulierungen jedoch aus dem Text.
Statt dessen erschien die Anmerkung der Redaktion, der Text sei zunächst „versehentlich in unredigierter Fassung“ publiziert worden. Man bitte, dies zu entschuldigen. Ob Maaßen der nachträgliche Eingriff in den Artikel aufgefallen war oder nicht, ist unbekannt. Jedenfalls empfahl er in auf Twitter, versehen mit dem Zusatz: „Für mich ist die NZZ so etwas wie ‘Westfernsehen’.“
Für mich ist die NZZ so etwas wie „Westfernsehen“. (hgm) https://t.co/XAom2oKVbR
— Hans-Georg Maaßen (@HGMaassen) 9. Juli 2019
Es dauerte nicht lange, bis sich die ersten Empörungsrufe der üblichen Getroffenen und Betroffenen erhoben.
Ruprecht Polenz, der Twitter-Stegner der CDU, schrieb:
Ein früherer Präsident des Verfassungsschutzes vergleicht die deutschen Medien mit der SED-Einheitspresse. Bisher brüllten nur die völkisch-nationalistische #AfD und #Pegida „Lügenpresse“ . Die sog. „Werte“Union verliert völlig die Orientierung. @HGMaassen
— Ruprecht Polenz (@polenz_r) 9. Juli 2019
Auch der ehemalige Grünen-Abgeordnete Volker Beck nutzte die Gelegenheit, sich aus der Vergessenheit heraus wieder einmal in Erinnerung zu bringen:
Wir haben also nach Ihrer Ansicht, geschätzter Herr @HGMaassen, in Deutschland Zensur & staatlich gelenkte Medien wie in der DDR? Habe ich Sie richtig verstanden, dass damit die FDGO, die Sie als Verfassungsschutzpräsident schützen sollten, Ihrer Meinung bereits außer Kraft ist?
— Volker Beck (@Volker_Beck) 9. Juli 2019
Was ihm von Maaßen jedoch nur eine kurze Erwiderung einbrachte:
Wir haben zu viele Relotiusse.
— Hans-Georg Maaßen (@HGMaassen) 9. Juli 2019
Wie zu erwarten, schlug dem ehemaligen Verfassungsschutzchef auch lauter Widerspruch aus den Reihen der geschmähten Presse zurück:
Maaßen bezeichnet die freie deutsche Presse im Umkehrschluss als staatlich gesteuerte Propaganda. Kann man mal ernsthaft darüber nachdenken, diesen Mann aus dem Beamtenverhältnis zu entlassen. Er hasst das Grundgesetz offensichtlich. #Maaßen #Maassen https://t.co/IxajJXuCt8
— Carsten Zett (@cehzett) 9. Juli 2019
Bleibt die Frage: Wie weit kann die ungezügelte Wut auf Angela Merkel einen eigentlich vernünftigen Mann so treiben? #Maassen https://t.co/oWeQKOzy91
— Nikolaus Blome (@NikolausBlome) 10. Juli 2019
Meine Güte, die #NZZ haut einen unredigierten Text raus, ein Ex-„Verfassungsschützer“ verbreitet ihn lobhudelnd samt DDR-Vergleich, und der Führer der rechtsextremen Identitären retweetet das – man darf annehmen: zustimmend. Da haben sich drei gefunden! 😬 #Maassen pic.twitter.com/i1afvAi7Eh
— Stefan Schirmer (@st_schirmer) 9. Juli 2019
#Maaßen in der Rolle des Rechtspopulisten, neue Folge. Ich bin gespannt, welche Rolle er im Sommer in den Landtagswahlkämpfen im Osten einnimmt https://t.co/Z6sgatN7GD #sltw19 #ltwbb #ltwth
— Matthias Meisner (@MatthiasMeisner) 10. Juli 2019
Mit der wachsenden Empörung über Maaßen schien der NZZ dessen Lob zunehmen unangenehm zu werden. Statt sich entspannt zurückzulehnen und die kostenlose Werbung zu genießen, entschloß sich die Zeitung, mit einer „Notiz in eigener Sache“ via Twitter an die Öffentlichkeit zu gehen. Man sei kein Westfernsehen, lautsprecherte das Blatt die Selbstverständlichkeit. Der Vergleich sei unpassend und Geschichtsklitterung. Man distanziere sich von dieser Bezeichnung.
„Auch bei deutschen Medien arbeiten ausgezeichnete Journalisten und Journalistinnen“, liebdienerte die NZZ in Richtung der Kollegen.
Notiz in eigener Sache: Wir sind kein Westfernsehen. Dieser Vergleich ist unpassend und Geschichtsklitterung. Auch bei deutschen Medien arbeiten ausgezeichnete Journalisten und Journalistinnen. https://t.co/BMi1jTPFet
— Neue Zürcher Zeitung (@NZZ) 10. Juli 2019
Wir distanzieren uns von dieser Bezeichnung, wenngleich diese seit Monaten in den sozialen Netzwerken kursiert. Wir sind kein Westfernsehen. Dieser Vergleich ist unpassend und Geschichtsklitterung.
— Neue Zürcher Zeitung (@NZZ) 10. Juli 2019
Deren Dank ließ selbstverständlich nicht lange auf sich warten. In Form von kleinen Twitter-Herzchen regnete es Lob, das den Journalisten der NZZ sicher besser schmeckte.