Der Wetterbericht der Tagesschau am Vorabend hatte für den nördlichen und östlichen Teil Deutschlands „verbreitet Regen mit eingelagerten Gewittern“ vorhergesagt. Doch das schreckte uns nicht, wir wollten einfach nur in ein großes Abenteuer aufbrechen. Aus der bis dahin monatlich erscheinenden JUNGEN FREIHEIT sollte eine Wochenzeitung werden. Deshalb thronten Dieter Stein und ich an diesem 20. Juli 1993 gemeinsam im Fond eines 7,5-Tonners, den wir in der Freiburger Günterstalstraße eigenhändig mit dem bereits erschreckend umfangreichen Büromaterial beladen hatten.
Ein für die noch kleine Zeitung – die damals häufige Charakterisierung als „Blättchen“ brachte uns jedoch bereits auf die Palme – historischer Umzug stand bevor. Vom liebgewordenen, heimeligen Badnerland im äußersten Südwesten des wiedervereinigten Landes ins „preußische“ Potsdam. Also in den Dunstkreis der altneuen Hauptstadt Berlin, wo endlich wieder das politische und mediale Herz der Republik schlug. Wir gedachten mittenmang dabeizusein, wenn es um den ideellen Neuaufbau der „Berliner Republik“ ging, und wollten unserer JUNGEN FREIHEIT deutlich mehr öffentliche Aufmerksamkeit verschaffen, indem die Erscheinungsweise ab Januar 1994 vom bisherigen monatlichen auf einen wöchentlichen Turnus wechselte.
Zum „Sprung ins kalte Wasser“ wild entschlossen
Soviel war klar: Dieser Schritt bedeutete das Ende der Existenz der JF als amateurhaft organisiertes, noch ohne Personalausgaben und Zeilenhonorare auskommendes idealistisches Medienprojekt. Es standen enorme Kosten ins Haus, und wir waren in betriebswirtschaftlichen Dingen ahnungslos. Entsprechend gab es reichlich Bedenkenträger, die den Start als Wochenzeitung hinausschieben wollten. Doch wir waren wild entschlossen, den „Sprung ins kalte Wasser“ zu wagen. Rückblickend muß eine gehörige Portion jugendliche Unbekümmertheit, ja Naivität dabeigewesen sein, andernfalls wären wir vor den Herausforderungen wohl zurückgeschreckt.
So saßen die beiden übermütigen Zeitungspioniere, noch verschwitzt und erschöpft vom Schleppen der Aktenschränke, Computer und Ordner, in ihrem Transporter und hatten weder Lust noch Muße zur Reflexion. Statt dessen spornten die Erinnerungen an den „deutschen Herbst“ von 1989 an. Auch der Preußen-Mythos Potsdams spielte eine nicht geringe Rolle und wandelte sich erst im Laufe der folgenden Monate zu einem realitätsnahen Bild der dunkelroten Stadt.
Arbeiten rund um die Uhr
Enttäuschungen angesichts der allgegenwärtigen DDR-Hinterlassenschaften gab es in unserem neuen Domizil in Potsdam-Bornstedt noch so manche. Hinzu kamen finanzielle Sorgen und solche vor der gewaltbereiten Antifa-Szene. Doch wir hatten einfach keine Zeit, uns davon übermannen zu lassen. Zunächst galt es, den Wochenzeitungsstart Mitte Januar redaktionell vorzubereiten, es mußten Abläufe koordiniert und der winzige Stamm von Redakteuren vor Ort eingearbeitet werden. Auch fochten wir – zumindest einige von uns – einen verzweifelten Kampf gegen die ans Chaotische grenzende Büro-Unordnung.
Dieter Stein und ich arbeiteten in dieser Zeit fast rund um die Uhr, auch an den Wochenenden, übernachteten anfangs im Büro, aßen wenig und mußten ständig improvisieren. Laufend wurden Zeitvorgaben überschritten, die aus Mangel an Personal und Planung stets viel zu knapp bemessen waren. Immerhin bestand die Wochenzeitung JUNGE FREIHEIT 1994 bereits aus durchschnittlich 20 Seiten und wurde von den drei bis fünf Mitarbeitern aufwendig selbst redigiert.
Wenn wir uns was gönnten, war es eine Pizza am späten Dienstagabend, eigentlich war es meist schon mitten in der Nacht, sobald die aktuelle Nummer an die Druckerei raus war. Dann hieß es kurz innehalten und am nächsten Morgen endlich einmal ausschlafen, ehe es im Stakkato-Rhythmus weiterging.
Chronik der JF: Abenteuer Pressefreiheit
1986 Am 1. Juni erscheint die erste Ausgabe der vom damals 18jährigen Gymnasiasten Dieter Stein zusammen mit anderen Schülern und Studenten in Freiburg im Breisgau als Zweimonatszeitschrift ins Leben gerufenen JUNGEN FREIHEIT. Umfang: 8 Seiten. Die Auflage beträgt 400 Exemplare.
1987 Im Mai bezieht sich der Spiegel auf die „rechte Postille“ JF. Es ist die erste Erwähnung der Zeitung in den etablierten Medien.
1990 Die JF wagt den Sprung an die Kioske.
1992 Zum ersten Mal wird ein Büroraum angemietet. Erster Auftritt auf der Frankfurter Buchmesse.
1993 Am 20. Juli 1993 zieht die JF von Freiburg im Breisgau nach Berlin, vorübergehend von 1993 bis 1995 nach Potsdam.
1994 Am 21. Januar erscheint die erste Ausgabe der JF als Wochenzeitung. Im Dezember verüben Linksterroristen einen Brandanschlag auf die Druckerei der JF.
1996 Die JF startet im November unter www.jungefreiheit.de ihren Internetauftritt.
1999 Die JF boykottiert die Rechtschreibreform und bleibt bei der bewährten traditionellen Rechtschreibung.
2004 Im Dezember erhält Thorsten Hinz den erstmals verliehenen Gerhard-Löwenthal-Preis für Journalisten.
2005 Die JF siegt in Karlsruhe nach zehnjährigem Rechtsstreit: Das Bundesverfassungsgericht erklärt die Praxis des NRW-Verfassungsschutzes für verfassungswidrig. Die JF verschwindet aus dem Verfassungsschutzbericht.
2006 Der JF wird aus politischen Gründen die Teilnahme an der Leipziger Buchmesse verweigert. Daraufhin solidarisieren sich namhafte Vertreter aus Medien, Politik und Gesellschaft in einem „Appell für die Pressefreiheit“ mit der Zeitung. Die Messeleitung lenkt ein.
2008 JF-Online startet mit tagesaktueller Berichterstattung. Aufbau einer Facebook-Präsenz mit heute über 23.000 Freunden.
2009 Die JF ist bei Twitter präsent. Heute hat sie 2.900 „Follower“.
2010 Ab Oktober erscheint die JF mit neuer Optik und einem auf 24 Seiten erweiterten Umfang.
2012 Seit August gibt es eine JF-App.
2013 Die JF präsentiert sich Anfang Dezember mit einem neuen Internet-auftritt.
JF 04/14