Kritiker werfen den öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten vor, den inhaltlichen Anspruch immer weiter Richtung RTL-Niveau abzusenken, statt sich im Wettbewerb mit den Privatsendern zu diversifizieren. Als Gegenbeweis nimmt die ARD nun mal wieder ihren Bildungsauftrag wahr und widmet sich mit einer ganzen Themenwoche ihrer „gesellschaftlichen Verantwortung“.
Vom 20. bis 26. April sind alle Kameras auf ein gesellschaftliches Problem gerichtet, das „der ganzen Nation auf den Nägeln brennt“ (Pressemitteilung): den demographischen Wandel, sprich der Überalterung der Deutschen. Daß uns dieser Wandel bevorsteht, ist zumindest mathematisch gewiß: Verlängert man gemäß der Bevölkerungsvorausrechnung des Statistischen Bundesamtes die bisherige Entwicklung linear in die Zukunft, verringert sich die Bevölkerung bis 2030 um etwa 7 Millionen auf 74,5 Millionen Menschen, davon sind zwölf Prozent über 65 Jahre alt. Da die Geburtenrate seit langem hartnäckig bei 1,3 Kindern pro Frau liegt, erwartet man in den kommenden Jahren keine Veränderung.
Wer jetzt aber meint, daß im Ersten vor allem Alternativen, Auswege und neue Weichenstellungen diskutiert werden sollen, liegt daneben. Die Programmgestalter haben das Gegenteil vor – WDR-Intendantin Monika Piel (57) hat sich mental schon im zukünftigen Rentnerparadies eingerichtet und erklärt gutgelaunt: „Wir möchten das Thema chancenorientiert und jenseits üblicher Katastrophen-Szenarien ausleuchten. Denn es gibt zahlreiche Beispiele dafür, wie die gesellschaftliche Veränderung innovativ und engagiert gestaltet werden kann.“ Hurra, wir vergreisen!
Auch der 60jährige ARD-Vorsitzende Fritz Raff läßt verlauten: „Allein die Tatsache, daß sich unsere durchschnittliche Lebenszeit enorm verlängert, ist ein großer Gewinn!“ Leider gilt das nicht für das Rentensystem. Trotzdem meint Raff weiter: „Dank des medizinischen Fortschritts und besserer Lebensbedingungen sind wir immer länger in der Lage, aktiv am Leben teilzuhaben. Wir sollten die tiefgreifenden Veränderungen nicht als Bedrohung, sondern auch als Chance und Bereicherung begreifen.“ Aktiv am Leben teilhaben? Für Rentner in Altersarmut ein zynischer Witz.
Doch davon lassen sich die gerontophilen Programmchefs nicht abhalten. Auf der Internetseite der ARD schreibt Monika Piel: „Wir wollen mit der Themenwoche kreative und zukunftsweisende Konzepte beitragen, wie der demographische Wandel gestaltet werden kann.“ Es geht also nicht mehr darum, den Wandel abzuwenden, sondern nur noch darum, ihn möglichst fröhlich zu feiern.
Vorbereitung auf die Oma-/Opa-Rolle
Und dafür müssen alle ran: Natürlich ARD-Sturmgeschütz Plasberg und Anne Will. Sogar Jörg Pilawa hat sein Quiz auf Alt getrimmt, und auch die kleinen Ki.Ka-Zuschauer werden schon mal auf die Oma-/Opa-Rolle vorbereitet.
Am meisten gespannt darf man auf das Politmagazin „Monitor“ sein, das „neue Ideen“ für den Lastenausgleich und gegen den Pflegenotstand präsentieren will. Nicht nötig: In der Vorstellung der Fernsehmacher sind wir 2050 doch scheinbar alle rüstige Jopie-Heesters-Typen, die vor Vitalität strotzen und Geld ausgeben.
Als besonderer Gag werden im Morgenmagazin der Themenwoche glücklich pensionierte Moderatoren präsentiert, zum Beispiel Wetterfee Karla Wege (77) oder Dieter Kürten (73). Der langjährige Moderator Max Schautzer (67), im Jahr 2004 auch oder gerade wegen seines fortgeschrittenen Alters von der ARD entlassen, wird wohl nicht dabei sein.
Es ist tragisch genug, daß eine Gesellschaft dem eigenen Aussterben zuschaut. Daß sie sich dabei noch eine Pappnase aufsetzt, ist entwürdigend. Andere Gedanken macht sich die Journalistin und Politologin Antje Schremp. Die Redakteurin der Zeitung Evangelisches Frankfurt schreibt: „Die Geburtenraten sind seit 30 Jahren in keinem westlichen Industrieland mehr bestandserhaltend. Allerdings nicht erst seit den 68ern, sondern seit der Industrialisierung, als die durchschnittliche Kinderzahl von fünf auf zwei rutschte.“
Die Schuld wird oft den „Emanzen“ zugeschoben. Tatsächlich ist die Hauptursache heute der Mangel an willigen Vätern. Die Hälfte der kinderlosen Frauen gibt als Grund an, keinen bereiten Partner zu finden. Angesichts des alleinigen Verantwortungsdrucks zweifeln viele Frauen an ihrer eigenen Mutter-Kompetenz und zögern die Familiengründung möglichst lange hinaus. Dabei bremst das Ideal der Zwei-Kind-Familie: In Finnland etwa ist die Zahl der kinderlosen Frauen genauso hoch wie hier, dennoch liegt die Geburtenrate dort im grünen Bereich – weil die übrigen nicht eins oder zwei, sondern drei, vier oder fünf Kinder haben.
Die weitere Entwicklung bei uns hängt davon ab, ob die Potentiale zum Zug kommen, die in dem nicht realisierten Wunsch vieler Frauen nach (mehr) Kindern liegen, ohne dadurch sozial minderbemittelt oder unemanzipiert zu sein.