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Buchrezension: Mit Dávila aus dem Zeitgeist treten

Buchrezension: Mit Dávila aus dem Zeitgeist treten

Buchrezension: Mit Dávila aus dem Zeitgeist treten

Nicolás Gómez Dávila sitzt in seiner Bibliothek in Bogota, umringt von Büchern
Nicolás Gómez Dávila sitzt in seiner Bibliothek in Bogota, umringt von Büchern
Nicolás Gómez Dávila in seiner Bibliothek in Bogotá: Der Denker hat eine kräftige Dosis Skepsis für all jene parat, die denken, alles verstanden zu haben. Foto: Screenshot / Montage: JF
Buchrezension
 

Mit Dávila aus dem Zeitgeist treten

Er war ein „Reaktionär“ im besten Sinne – Nicolás Gómez Dávila, der kolumbianische Denker, dessen Aphorismen der Schriftsteller Michael Klonovsky einst in einer ausgewählten Edition sammelte. Diese ist nun endlich wieder erhältlich, und lädt zum Entdecken ein.
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Jemand mußte Michael Klonovsky verleumdet haben. Denn von einem Tag auf den anderen nahm der altehrwürdige Reclam-Verlag eine von ihm herausgegebene Anthologie mit Aussprüchen Nicolás Gómez Dávilas aus dem Programm. Wie könne der Verlag nur einem Redenschreiber Alexander Gaulands ein solches Buch gestatten, so ein empörter Denunziant.

Zum Glück haben Denunzianten nicht immer das letzte Wort. Und weil es dennoch eine Nachfrage gab, nämlich von seiten des israelischen Schriftstellers Chaim Noll, hat das Buch nun, mit einem neuen Nachwort versehen, etwas Besseres als den vorzeitigen Tod gefunden: ein Exil – in Susanne Dagens kleinem, aber feinen Dresdner Verlag, der inzwischen mehr als ein Geheimtip ist, wenn man in der heutigen geistigen Ödnis nach anregenden und belebenden Büchern sucht.

Was gäbe es Belebenderes als eben die scharfzüngigen Aphorismen – er selbst nannte sie Glossen – des kolumbianischen Denkers, den seine Freunde Don Nicolás nannten! Dieser wurde 1913 in Bogotá geboren, weit weg von Europa – und doch repräsentierte Gómez Dávila wie wenige andere die alteuropäische Bildung. Denn er studierte in seiner mehrere zehntausend Bände fassenden Bibliothek die Werke der großen Schriftsteller und Denker in ihren jeweiligen Originalsprachen. Schließlich kondensierte er ihre Einsichten nach langem Feilen in messerscharfe Sätze, die es in sich haben. Immer aber kam es ihm auf die Schönheit und den Stil als Werte an – ohne die Wahrheiten eben nur halb so schön sind.

Dávila ist ein Passagier, der mit Würde Schiffbruch erleidet

Obwohl Gómez Dávila nun schon seit über dreißig Jahren tot ist, bleiben seine Aussprüche frisch und klingen, als seien sie für unsere Lage geschrieben: „Die Mediokren krönen nennt man ‘Kulturförderung’“, lesen wir. Oder: „Wer die intellektuelle Beschränktheit des Politikers anprangert, vergißt, daß er ihr seine Erfolge verdankt.“

Klonovsky, ein ungläubiger Geistesverwandter des katholischen Autors, hat aus dem riesigen Textmeer von mehr als 10.000 Glossen eine pointierte, kluge Auswahl getroffen, die Appetit auf mehr macht. Grob nach Themen sortiert, präsentiert er uns die Quintessenz eines Denkens, das furchtlos nach allen Seiten schaut und keine verschont. Eines Denkens, das sich den Anforderungen der Moderne radikal entzog, weil es nicht auf Wirkung schielte, ja sogar als Wesenskern echter Bildung nur das akzeptierte, was keinen unmittelbaren Nutzen abwirft.

Nicolás Gómez Dávila: Der Skeptizismus ist die asketische Nachtwache vor dem Kreuzzug. 172 Seiten, Edition BuchHaus Loschwitz, Jetzt beim JF-Buchdienst bestellen
Nicolás Gómez Dávila: Der Skeptizismus ist die asketische Nachtwache vor dem Kreuzzug. 172 Seiten, Edition BuchHaus Loschwitz, Jetzt beim JF-Buchdienst bestellen

Kein Wunder also, wenn er sich selbst als „Reaktionär“ bezeichnete, auf den auch Klonovskys Anthologie gleichsam zuläuft: Das letzte Kapitel stellt ihn uns näher vor als einen „Passagier, der mit Würde Schiffbruch erleidet“, aber dieser Reaktionär sehnt sich nicht in ein Paradies zurück, sondern in die Friedenszeiten des Alten Europa. Denn hier fanden sich auch „die drei großen reaktionären Unternehmungen der modernen Geschichte“, also der italienische Humanismus, der französische Klassizismus und die deutsche Romantik.

„Was nicht kompliziert ist, ist falsch“

Er machte sich mit keiner Ideologie gemein – von der Linken hielt er sich ohnehin fern, aber auch die Rechte des 20. Jahrhunderts erschien ihm bloß als ein gegen die Linke aufmarschierter Zynismus. Verständnis hatte er für denjenigen Kommunisten, der gegen eine korrupte Gesellschaft protestierte, aber nicht für den Kommunismus als Hoffnung. Denn das Desaster der Linken offenbarte sich für ihn gerade dann, wenn diese hielt, was sie versprach. Von der geistigen Ödnis des Marxismus ganz zu schweigen.

Gegen die überall immer wieder mit Penetranz auftretenden großen Vereinfacher, wie sie sein Idol Jacob Burckhardt nannte, vertrat Gómez Dávila das radikale Gegenbild: Es kam ihm darauf an, die Dinge als komplizierter erscheinen zu lassen: „Was nicht kompliziert ist, ist falsch.“ Und so bietet er eine kräftige Dosis Skepsis für all jene, die denken, alles verstanden zu haben: „Wir bilden uns ein, die Geschichte zu erklären, und wir scheitern am Geheimnis dessen, den wir am besten kennen.“

Dávila ist ein Anreger des Lesens

Erst nach und nach wurden Gómez Dávilas nur in kleiner Auflage erschienene Werke bekannt, aber rasch wuchs die Zahl seiner Bewunderer, so daß es zu Übersetzungen in die verschiedensten Sprachen kam, selbst ins Russische und Ungarische. Andere mochten Anstoß daran nehmen, daß hier jemand sich nicht scheute, sämtliche heiligen Kühe der modernen Massengesellschaft zu schlachten. Denn kaum jemand nahm wie Gómez Dávila die Selbstverständlichkeiten unserer Zeit aufs Korn.

Aber, und auch das zeigt Klonovskys Lesebuch sehr schön, Gómez Dávila bleibt nicht im Negativen und im kulturkritischen Lamento stecken, sondern erweist sich als eminenter Lehrer und Anreger des Lesens, an das man mit Leidenschaft herangehen müsse: „Wir sollten nur lesen, um zu entdecken, was wir ewig wiederlesen sollten.“ Das muß ernst genommen werden: Denn so wird uns jede Literatur zu einer zeitgenössischen.

Wir müssen alles tun, um das Vertrocknen unserer Seele zu verhindern, indem wir uns anspruchsvollen sprachlichen Kunstwerken widmen: „In dem Maße, wie die Seele vertrocknet, wächst die Zahl der Wörter, die ungenutzt in den Wörterbüchern vor sich hin dösen.“

Für den Dauergebrauch ist die Karolinger-Ausgabe unentbehrlich

Klonovsky empfiehlt denen, die nach mehr dürsten, die große Gesamtausgabe, die 2020 bei Karolinger erschienen ist. Sie ist für den Dauergebrauch ebenso unentbehrlich wie das Loschwitzer Brevier. Nach der Corona-Zeit und inmitten immer neuer geistiger Pandemien sind diese Bücher Desinfektionsmittel, analog zu Gómez Dávilas Satz: „Eine gewisse Zeit lang nichts als Latein und Griechisch zu lesen, ist das einzige, was eine Seele ein wenig desinfiziert.“ Das dämmt die Gefahr ein, seinen Kopf zu verlieren.

Von Gómez Dávila kann man in Zeiten wie diesen, in denen das Unterste zuoberst gekehrt wird, nicht genug zu Hause haben. Und eine Zeitlang nichts als ihn lesen, um in der erstickenden Atmosphäre der Gegenwartskultur wieder Frischluftzufuhr zu bekommen.

Aus der JF-Ausgabe 46/25.

Nicolás Gómez Dávila in seiner Bibliothek in Bogotá: Der Denker hat eine kräftige Dosis Skepsis für all jene parat, die denken, alles verstanden zu haben. Foto: Screenshot / Montage: JF
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