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Ein neues Plädoyer: Einmal so männlich wie Borges sein

Ein neues Plädoyer: Einmal so männlich wie Borges sein

Ein neues Plädoyer: Einmal so männlich wie Borges sein

Das Bild zeigt ein 3D-Modell eines spartanischen Kriegers. Das neue Buch von Matthias Politycki orientiert sich an den Ideen des Autors Jorge Luis Borges und fordert eine neue westliche Männlichkeit: zivilisiert, aber wehrhaft.
Das Bild zeigt ein 3D-Modell eines spartanischen Kriegers. Das neue Buch von Matthias Politycki orientiert sich an den Ideen des Autors Jorge Luis Borges und fordert eine neue westliche Männlichkeit: zivilisiert, aber wehrhaft.
3D-Modell eines spartanischen Kriegers: In seinem neuen Buch orientiert sich Matthias Politycki an Jorge Luis Borges und fordert eine neue westliche Männlichkeit. Foto: IMAGO / Depositphotos
Ein neues Plädoyer
 

Einmal so männlich wie Borges sein

Modern, aber nicht verweichlicht: In seinem neuen Buch orientiert sich Matthias Politycki an den Ideen des Autors Jorge Luis Borges und fordert eine neue westliche Männlichkeit: zivilisiert, aber wehrhaft.
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Gewalt gehört seit jeher zum Bestand menschlicher Erfahrungen. Allerdings ist ihre Präsenz im Lebensalltag der Menschen je nach Zeitalter und Ort sehr verschieden gewesen. In den letzten Jahren wurden die westlichen Wohlstandsgesellschaften von Gewaltphänomenen heimgesucht, mit denen die meisten ihrer Bürger kaum noch gerechnet hatten. So hält als Folge unkontrollierter Migration in Kombination mit gegenläufigen demographischen Entwicklungen innerhalb und außerhalb Europas ein Typus juveniler, gewaltaffiner und archaischer Männlichkeit Einzug in unsere Vor- und Innenstädte. Die Auswirkungen sind vielerorts spürbar, etwa in Parks, in Fußgängerzonen und beim Benutzen des öffentlichen Nahverkehrs.

Vor diesem Hintergrund befragt der Schriftsteller Matthias Politycki in seinem neuen Buch „Mann gegen Mann. Von alten und neuen Tugenden“ unsere aktuellen Männerbilder nach ihrer Zeitgemäßheit und Brauchbarkeit. Politycki ist vor allem durch seine Romane und Essays bekannt geworden, die sich häufig mit dem Aufeinanderprallen unterschiedlicher kultureller Werte befassen. 2021 verlegte er seinen Wohnsitz von Hamburg nach Wien, weil ihm durch die Verengung hiesiger Debattenräume die Lust am intellektuellen Streit vergangen war. Mit seinem neuesten Buch wendet er sich nun einem vieldiskutierten Thema zu, das bereits von Autoren wie Monika Maron („Artur Lanz“) und Norbert Bolz („Der alte weiße Mann“) aufgegriffen wurde.

Matthias Politycki: Mann gegen Mann. Von alten und neuen Tugenden. Jetzt im JF-Buchdienst bestellen.

Borges’ Bücher sind kaum noch erhältlich

Im ersten Kapitel liefert Politycki eine Gegenwartsanalyse, in der er den Fokus auf unsere Männlichkeitskonzepte legt. Nachdem „wir immer mehr Grenzen durchlässig gemacht“ hätten, „weltanschauliche wie real existierende“, würden wir plötzlich feststellen, „daß man sie unter gewissen Umständen doch aufrechterhalten und verteidigen“ können müsse. Doch dafür würden ideell wie materiell die Mittel fehlen angesichts eines „immer kleinteiliger ausdifferenzierten Freiheitsbegriffs“ sowie einer Gesellschaft, die allem Normativen abgeschworen habe und sich aus „Singularitäten und identitären Minderheiten“ zusammensetze. Gebraucht würden hingegen Männer, „die sich klassischer Rollenmuster erinnern und dennoch die neuen Interpretationen ihrer Geschlechterrolle nicht preisgeben“ würden. 

Politycki wählt eine ebenso ungewöhnliche wie gewagte Vorgehensweise, um seine Thesen zu untermauern. Ungewöhnlich, weil er sein Anschauungsmaterial nicht der Realität, sondern den fiktiven Welten der Dichtung und erzählenden Literatur entnimmt. Gewagt, weil er damit das Risiko eingeht, die Erwartungen eines Teils seiner Leser zu enttäuschen, die vielleicht geglaubt haben, einen Ratgeber mit Praxisbezug in den Händen zu halten. Hinzu kommt, daß Politycki mit dem Argentinier Jorge Luis Borges als Hauptgewährsmann einen Autor präsentiert, dessen Werk im deutschsprachigen Raum selbst unter Kennern als schwere Kost gilt und zudem nur noch antiquarisch erhältlich ist. 

In der Geschichte der modernen Literatur zählt Borges zusammen mit Joyce und Kafka zu den großen Erbauern imaginärer Labyrinthe. Neben phantastischen, sich um erfundene Bücher und Autoren rankenden Erzählungen wie „Die Bibliothek von Babel“ ist er jedoch auch ein Meister der schnörkellos erzählten Kurzgeschichte. Borges wurde 1899 geboren und verbrachte einen Teil seiner Kindheit wohlbehütet in der väterlichen Bibliothek in Buenos Aires. Gleich hinter dem Gartenzaun befand sich Palermo, heute ein schickes Ausgehviertel, damals ein verrufener Bezirk mit vielen kleinen Läden und Hinterhofkneipen, in denen sich örtliche Bandenmitglieder und Kleinkriminelle trafen. Es sind die „Männer an der rosa Straßenecke“, deren rötliche Farbe mit der Zeit „vorteilhaft gedämpft“ wurde, wie Borges in einem Essay schreibt.

Politycki wirbt überzeugend für ein zeitgemäßes Männlichkeitskonzept

In diesem Milieu spielt die Handlung einer bestimmten Form von Kurzgeschichte, die Politycki als Southern bezeichnet. Wo im Western der Revolverheld seinen Colt schwingt, da zückt im Southern der Gaucho sein Messer, um „ohne jedwede Vorbereitung, ohne Zögern und erst recht ohne Versuch, den Lauf der Dinge durch Argumentation oder Flucht abzuwehren, eine Aufforderung zum Zweikampf (…) anzunehmen“. „Ich war baff“, schreibt Politycki, „mit welcher Sehnsucht Borges dies Messer bedichtet, mit welcher Intensität er einem Verlangen zu töten Ausdruck verleiht, die man von ihm als vergeistigtem Intellektuellen am allerwenigsten erwartet hätte.“ 

Matthias Politycki hat mit „Mann gegen Mann“ ein Buch vorgelegt, das in erster Linie Literaturfans interessieren dürfte. Darüber hinaus wirbt es überzeugend für ein zeitgemäßes Männlichkeitskonzept, das den Willen, sich im Ernstfall auch physisch zu verteidigen, mit einschließt. Als Handlungsleitfaden taugt es jedoch ebensowenig wie Borges’ fiktive Messerstecher als Vorbild. Aber es ermutigt nach Jahren feministischer Diskursherrschaft dazu, sich selbst und anderen bei der Interpretation von Geschlechterrollen wieder größere Freiheit zuzugestehen.

Aus der JF-Ausgabe 27/25.

3D-Modell eines spartanischen Kriegers: In seinem neuen Buch orientiert sich Matthias Politycki an Jorge Luis Borges und fordert eine neue westliche Männlichkeit. Foto: IMAGO / Depositphotos
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