An gesellschaftlichen Streitthemen mangelt es dieser Tage nicht. Die Corona-Maßnahmen, der Krieg in der Ukraine sowie die allgegenwärtigen Preisschocks sind nur einige Beispiele. Am Samstag ging es in Berlin jedoch um ein anderes explosives Thema. Und das treibt Linken wie kaum ein weiteres die Zornesröte ins Gesicht: Die Würde ungeborener Kinder, für die sich Tausende Menschen beim diesjährigen „Marsch für das Leben“ stark machten.
Zum 18. Mal hat der Bundesverband Lebensrecht dazu eingeladen, ein Zeichen für das Recht auf Leben aller Menschen zu setzen. Mitten im Herzen Berlins, am Brandenburger Tor, versammeln sich zahlreiche Menschen mehrerer christlicher Konfessionen aus verschiedenen Teilen der Welt, darunter auch Afrika. Das Publikum ist ein Querschnitt der Bevölkerung: Mütter, Töchter, Väter und Großväter sind zugegen. Sie alle wollen das ur-konservative Anliegen unterstützen.
US-Demokratin ist „linke Abtreibungsgegnerin“
Manche Teilnehmer sind extra aus dem Ausland angereist. So wie die Rednerin Terrisa Bukovinac aus den USA. Ihre Position fällt aus der Reihe. Sie bezeichnet sich als Atheistin und links-progressiv. Sie ist die Gründerin der Gruppe „Democrats for Life“, eine Interessensgemeinschaft der demokratischen Partei, die sich gegen Abtreibungen einsetzt. Bei den Demokraten vertritt Bukovinac eine Randposition, doch das stört sie nicht. Sie sei gegen Abtreibungen, weil sie Diskriminierung von Schwachen ablehne, auch wenn es um ungeborene Kinder gehe.
„Das Thema ist aktueller denn je. Die Regierung tut ihr Bestes, das Lebensrecht zu beschränken. Doch Menschenwürde gilt vom ersten bis zum letzten Moment“, sagt Alexandra Maria Linder, Vorsitzende des Bundesverbands Lebensrecht. In ihrer Rede appelliert sie an das Publikum, weiter für den Schutz ungeborener Kinder zu kämpfen. Eine Abtreibung dürfe niemals als normal gelten, mahnt sie. Berlin sei innerhalb Deutschlands eine Hochburg für solche Eingriffe. Dies sei schändlich für die Hauptstadt eines reichen Landes.
Auch die AfD-Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch nimmt in diesem Jahr abermals am „Marsch für das Leben“ teil. „Das ungeborene Leben ist in Gefahr. Deshalb ist es heute wichtig, dafür ein Zeichen zu setzen“, sagt sie der JUNGEN FREIHEIT. Der EU-Abgeordnete Joachim Kuhs (AfD) gab gegenüber der JF an, er sei vor zehn Jahren zum ersten bei der Lebensrecht-Demonstration gewesen. Die Veranstaltung habe ihn so beeindruckt, daß er danach in die Politik wollte. Er ist zudem Vater von zehn Kindern. „Nicht nur als Christ, sondern auch als Mensch ist es mir wichtig, daß das Leben vom Anfang bis zum Ende geschützt wird“, führt er aus.
„Gänzliche Selbstbestimmung endet mit Schwangerschaft“
Ähnlich sieht das auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Hubert Hüppe. Er sei stolz darauf, Lebensschützer zu sein. Für ihn gelte das Lebensrecht für jeden Menschen. Auch begleiteten Suizid sieht er deshalb äußerst kritisch. Er wolle den Schwächsten der Gesellschaft helfen. Menschen mit Behinderung sollten Hüppes Ansicht nach ebenso ein Recht auf ein Leben in Würde haben. „Gehen sie raus, kämpfen Sie!“, ermahnt er die Teilnehmer des „Marschs für das Leben“ innbrünstig.
Die Dame in der blauen Jacke begleitet den Demozug und wiederholt unablässig und lauthals: „Ihr marschiert mit Nazis!“ pic.twitter.com/opPlSCjYT8
— Zita Tipold (@ZitaTipold) September 17, 2022
Sylvia Pantel, ebenfalls Christdemokratin im Bundestag, ist noch schärfer in ihrer Kritik am Status Quo. Die gänzliche Selbstbestimmung der Frau ende in dem Moment, in dem sie ein Kind in sich trage. Kinder dürften indes kein Armutsrisiko werden. „Die Würde des Menschen ist unantastbar und das Leben beginnt im Bauch der Mutter. Egal, was andere sagen“, betont Pantel. Sie fürchtet, mit der Aufhebung des Werbeverbots für Abtreibungen, das im Juni beschlossen wurde, ist das Ende der Fahnenstange längst noch nicht erreicht. Es drohe die Streichung des Paragraphen 218, also die vollständige Straffreiheit bei Abtreibungen.
Linksradikale versuchen, „Marsch für das Leben“ zu stören
Linke Gegendemonstranten, die genau das auf Transparenten fordern, geben ihrer Vermutung Recht. Parallel zum „Marsch für das Leben“ gibt es an diesem Tag mehrere kleine Gegendemonstrationen. Auf der gegenüberliegenden Seite des Brandenburger Tors skandieren mehrere hundert Personen: „My body, my choice, raise your voice! (Mein Körper, meine Entscheidung, erheb‘ deine Stimme!)“
Im Anschluß an die Redebeiträge beim „Marsch für das Leben“ setzt sich der Demonstrationszug in Bewegung. Vom Brandenburger Tor geht es am Bundestag vorbei in Richtung Alexanderplatz und wieder zurück zum Ausgangspunkt. Viele Lebensschützer halten Kreuze in den Berliner Wolkenhimmel, andere grüne Schilder. Darauf stehen Botschaften wie: „Babys welcome“ und „No children, no future“. Ein Herr mittleren Alters hat eine Lösung für zwei verschiedene Probleme auf einmal: „Strategie gegen Fachkräftemangel? – Abtreibungen beenden“.
Auch in diesem Jahr gibt es neben den Demonstrationszügen Störversuche von Linksradikalen. „Hätte Maria abgetrieben, wärt ihr uns erspart geblieben!“, schreit eine fünfköpfige Gruppe in Richtung andächtig spazierender Demonstranten. „Kein Gott, kein Staat, kein Patriarchat!“, skandiert ein anderer Pulk. Fast alle von ihnen tragen unter freiem Himmel eine FFP2-Maske.
Die Polizei ist überall zugegen und beobachtet das Geschehen. In diesem Jahr ist die Zahl der Parolenschreier jedoch bedeutend geringer als in den vergangenen Jahren. Kaum mehr als eine Dutzend Kleingruppen aus zumeist nicht mehr als fünf Personen skandieren: „Wir sind die Perversen, wir sind euch auf den Versen!“ und „Wir treiben euch ab!“ Eine Schar Polizisten geben Acht, daß die Gegendemonstranten hinter den Absperrungen bleiben.
Eine Seniorin guckt mit nachdenklichem Blick auf eine junge Frau, die wütend „Kein Gott, kein Staat, kein Patriarchat!“ brüllt und Teilnehmer des Marsches vulgär beschimpft. „Ich bete für diese Menschen mit“, seufzt die alte Dame.