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Soldat - aber wofür?: Von der Dissonanz zur Schizophrenie

Soldat - aber wofür?: Von der Dissonanz zur Schizophrenie

Soldat - aber wofür?: Von der Dissonanz zur Schizophrenie

Bundeswehr
Bundeswehr
Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer beim Besuch des ABC-Abwehrbataillon 750 ‚Baden‘ in Bruchsal. Foto: picture alliance / Flashpic | Jens Krick
Soldat - aber wofür?
 

Von der Dissonanz zur Schizophrenie

Ende des zwanzigjährigen Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan: Angesichts politischer Zumutungen fragen sich Soldaten nach dem Sinn ihres Daseins. Wie viele beschulte afghanische Mädchen wiegen wie viele tote Soldaten aus Deutschland auf?
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Die Heimkehr der Bundeswehrsoldaten aus Afghanistan vollzog sich in aller Stille. Keiner der Politiker, die 20 Jahre lang mit überwältigender Mehrheit für ihren Einsatz am Hindukusch gestimmt hatten, fühlte sich für ihren Empfang zuständig. „All die Guten, die geschwind nun es nicht gewesen sind!“, heißt es im Brecht-Gedicht „Der Anachronistische Zug oder Freiheit und Democracy“. Vielleicht war Restscham der Grund. Wie sollten sie auch Sinn, Zweck und Ergebnis dieses Militäreinsatzes erklären? Was auf die Frage antworten, wofür 59 deutsche Soldaten ihr Leben gelassen haben, was die Hunderten Verwundeten rechtfertigt?

Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) stellte diese Rechnung an: „Wir haben auch ganz sicherlich erreicht durch die Tatsache, daß die Taliban 20 Jahre nicht an der Regierung waren, daß Entwicklungen möglich waren, die so sonst nicht denkbar gewesen wären. Also, wenn man die Frage umgekehrt stellt, angenommen, die Taliban hätten 20 Jahre das Land weiter so regiert, wie sie es vorher getan haben, hätten wir wahrscheinlich bis heute keine Schule für Mädchen, hätten wir bis heute keine Frauen auch in höchsten Ämtern, bei Gerichten oder anderen Funktionen.“

Jetzt muß sich die Politik fragen lassen: Wofür die Opfer?

Der Sound einer Kaffee-Tante. Über die Jahre gab es zahllose wortgetreue Erklärungen aus fast allen Parteien. Die Geschlechtergerechtigkeit in der muslimischen Welt – so muß man sprachlogisch folgern – war Politikerinnen und Politikern der Einsatz deutscher Soldaten allemal wert. Die moralisierende Begründung des Kriegseinsatzes als Umkehrung und Wiedergutmachung der NS-Hybris. Bluten aber müssen die anderen. Wie viele beschulte afghanische Mädchen wiegen wie viele tote junge weiße Männer aus Deutschland auf? Wie viele temporäre Richterinnen und Staatsanwältinnen in Kabul rechtfertigten wie viele abgesprengte Gliedmaßen und verbrannte Hautpartien der eigenen Landsleute?

Die zitierte Äußerung ist die feministische Fußnote zum legendären Satz, mit dem der damalige Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) die Entsendung deutscher Soldaten begründete: „Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt.“ Das war dummes Zeug und schon damals als solches leicht erkennbar.

Man hätte sich nur mit den Erfahrungen, die die Sowjets während der Okkupation Afghanistans in den 1980er Jahren gemacht hatte, vertraut machen müssen. Nun ziehen die Truppen ab, die Taliban kehren zurück und die Chimären von „Nation Building“ und Demokratie-Export, von der politischen, wirtschaftlichen und der militärischen Stabilisierung und natürlich auch von der Frauenemanzipation fallen wie Kartenhäuser in sich zusammen.

Wofür also haben die Toten, Verwundeten und die – zumindest äußerlich – Unversehrten ihre Knochen hingehalten? Die Antwort gibt das Gestammel der Ministerin: Für nichts und wieder nichts. In der Person Annegret Kramp-Karrenbauer, die privatim bestimmt eine nette Frau ist, wird das staatspolitische Elend greifbar. Für das Ministeramt, das wie kein anderes für die Staatsräson, die Sicherheit und Selbstbehauptung des Landes steht, besitzt sie weder politisch, fachlich noch intellektuell auch nur den Hauch einer Befähigung.

Ihre Berufung entsprang – wie schon die ihrer Vorgängerin Ursula von der Leyen, der zu Afghanistan bloß einfiel: „Die Grundbotschaft muß sein: Wir bleiben!“ – absolut sachfremden Motiven. Beide galten als mögliche Merkel-Nachfolgerinnen. Vielleicht wollte die Kanzlerin ihnen die Chance eines Befähigungsnachweises einräumen. Vielleicht erhoffte sie auch das Gegenteil.

Es sind Symptome der Dekadenz

Für Soldaten und Offiziere sind derartige Personalien und Entscheidungen, die aufgrund innerparteilicher Machtspiele und egoistischer Karriereplanungen zustande kommen, eine gravierende Demütigung. Sie stellen überhaupt den Sinn des Soldatseins in Frage. Es sind Symptome der Dekadenz eines Staates, der über keine eigenständigen sicherheits- und geopolitischen Vorstellungen verfügt. Die Deutschen zogen als Vasallen nach Afghanistan, und als solche zogen sie wieder ab.

Verantwortungsvolle Politiker würden über einen strategischen Neustart nachdenken. Soviel hatte sogar Kramp-Karrenbauer verstanden, daß es „einfach von Anfang an so nicht realistisch“ gewesen sei, aus Afghanistan „einen modernen Staat im Sinne des europäischen Levels“ machen zu wollen und man daraus „eine Lehre (…) für die weiteren Einsätze“ ziehen müsse.

Ein paar Tage später, als sie nach dem Tod und der Verwundung mehrerer Bundeswehrsoldaten in Mali gefragt wurde, ob der Einsatz in der Wüste nicht auf den Prüfstand gehöre, erwiderte sie in der ihr eigenen Unbedarftheit: „Nein (…) unsere Arbeit dort ist wichtig für diesen Versöhnungsprozeß“ im Land, für den „Transitionsprozeß hin zu einer demokratisch gewählten Regierung“. Zudem könne es „nicht im europäischen, auch nicht im deutschen Interesse sein, daß wir in der Sahelzone eine Region haben, die komplett instabil wird und die komplett Terroristen und kriminellen Gruppen anheimfällt“.

In Mali ist die Bundeswehr unterlegen

Wiederholt hat der Völkermordforscher Gunnar Heinsohn darauf hingewiesen, daß die religiösen und politischen Motive für die Konflikte und Bürgerkriege in der Dritten Welt bloß vorgeschoben sind und es sich um Positionskämpfe überzähliger Söhne handelt. In Mali ist die Bevölkerungszahl seit 2010 um mehr als 30 Prozent gestiegen. Die Ordnungskriege, die der Westen führt, sind chancenlos, weil westliche Einzelsöhne gegen das demographische Potential der zweiten, dritten, vierten Söhne antreten müssen, ihnen der volle Einsatz der waffentechnischen Möglichkeiten aber aus ethischen Gründen verwehrt ist.

In Mali ist die Bundeswehr auf Drängen Frankreichs präsent, das dort wirtschaftliche Interessen hat. So liegen rund um Nordmali viele der von Frankreich ausgebeuteten Uranminen. Der staatliche französische Atomkonzern Areva fördert Uran im Nachbarland Niger, das die französischen Atomkraftwerke versorgt. Die Bundeswehr hilft mithin, den Franzosen eine Energieform zu sichern, die zu Hause als Teufelszeug gilt. Und während sie offiziell den Terrorimport und Flüchtlingsströme an der Quelle verhindert, sorgen die Politik der offenen Grenzen und die sogenannte Seenotrettung dafür, daß beiden eine riesige Hintertür offensteht.

Die Politik versetzt die Soldaten in eine Situation der zynischen Dissonanz. Von ihnen werden außer fachlich-technischen Fähigkeiten heroisches Verhalten und heldische Tugenden erwartet: Extreme Risikobereitschaft, Tapferkeit, Selbstlosigkeit, die Orientierung auf ein kollektives Gelingen sowie die Fähigkeit, sich unterzuordnen und Disziplin zu halten. Sie sollen äußerstenfalls bereit sein zum Opfer für eine Sache, die ihr Selbst übersteigt. Was kann das noch sein, nachdem Gott tot ist und die eigene Nation zum Unwert erklärt wurde?

Deutsche Kugeln und afghanische Messer

Es sind die „Werte“, die „westlichen“, zum Beispiel „die Menschenrechte“, für die sie bereit sein sollen zu sterben. Diese Werte konkretisieren sich nach Ansicht unserer Politiker eben auch in den muslimischen „Frauen (…) in höchsten Ämtern, bei Gerichten oder anderen Funktionen“. Der Wertekanon erweist sich im Ernstfall als ein Konglomerat aus Hybris, Weltfremdheit, humanitaristischer Verblendung und Unterwürfigkeit gegenüber Fremdinteressen.

Angehörige heroischer Gemeinschaften, die dennoch bereit sind, sich für das Allgemeinwohl in die Schanze zu werfen und – wie es im Fahneneid heißt – „das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer (…) verteidigen“ zu wollen, werden in die perverse Lage versetzt, am Hindukusch und anderswo für eine Politik den Kopf hinzuhalten, die den Hindukusch nach Deutschland verpflanzt und  – Stichwort Messerstecher – potentiell geeignet ist, die eigene Familie zu gefährden.

Die Dissonanz wächst sich zur Schizophrenie aus, wenn die heroische Haltung, die Soldaten abverlangt wird, von der postheroischen Gesellschaft verhöhnt, angefeindet und staatlicherseits zum Verdachtsfall erklärt wird. Im Jahresbericht der neuen – gleichfalls ohne Sachkenntnis, aufgrund einer parteiinternen Rochade ins Amt gelangten – Wehrbeauftragten des Bundestages, Eva Högl (SPD), rangiert das Thema Rechtsextremismus weit vor den Material- und Ausstattungsproblemen der Truppe.

Vor allem steht der „Kampf gegen Rechts“

Der „Kampf gegen Rechts“ hat unter von der Leyen und Kramp-Karrenbauer auch das Kommando Spezialkräfte (KSK) ereilt, eine Eliteeinheit der Bundeswehr, die zur Geiselbefreiung, zur Festsetzung von Kriegsverbrechern oder Terroristen ausgebildet wird. Der Titel „Elite“ steht in dem Fall für nachprüfbare Qualität. Das KSK arbeite nur noch „auf Bewährung“, drohte die Verteidigungsministerin im Sommer 2020 und kündigte nach dem Bekanntwerden einiger rechtsextremistischer Verdachtsfälle an, mit dem „eisernen Besen“ durch den Verband zu kehren.

Nun ist „rechts“ heute das Synonym für Realitätssinn und den gesunden Menschenverstand. Wer als Elitesoldat gegen Terrorismus, Islamismus, Geiselnahmen im Einsatz ist, sammelt Erfahrungen, die das Vokabular multireligiöser, antirassistischer und „woker“ Stuhlkreise als das Gelalle von Anstaltsinsassen erscheinen lassen.

Wer in der Gefahr lebt, in der Wüste auf Minen zu treten oder einem Selbstmordanschlag zum Opfer zu fallen, der kann Diskussionen über Diversity und Gender nicht ernst nehmen und findet die Asylpolitik verantwortungslos. Das führt zu kognitiven Dissonanzen und Frustrationen, die sich im Schutz eines elitären Korpsgeistes und in internen Chatgruppen entladen. Wird dieses Elitebewußtsein auf den Geist der sogenannten Zivilgesellschaft heruntergebrochen, schlachtet Deutschland „seine letzten Idealisten“, wie ein KSK-Angehöriger gegenüber der Welt im Schutz der Anonymität sagte.

„Dieser Staat wird euch nicht mißbrauchen.“

Die postheroische Zivilgesellschaft rühmt sich, vordemokratisches Heldentum durch aufgeklärte Zivilcourage ersetzt zu haben. In der Realität bedeutet Zivilcourage, stets den stärkeren Bataillonen zu folgen, sich dabei lärmend als Avantgarde aufzuspielen und stets auf den eigenen sozialen Profit zu schielen. Kommt es hart auf hart, nehmen die Mitläufer Reißaus.

Idealisten mit der Bereitschaft zum Heroismus aber müssen sich die Frage vorlegen, ob sie sich den Einsatz für einen Staat, der sich selbst verneint und sie bei erstbester Gelegenheit verheizt, noch zumuten wollen. Der greise Altkanzler Helmut Schmidt wandte sich am 20. Juli 2008 an die „(lieben) junge(n) Soldaten“, die zur Rekrutenvereidigung vor dem Reichstagsgebäude angetreten waren, mit der Versicherung: „Ihr müßt wissen: Euer Dienst kann auch Risiken und Gefahren umfassen. Aber ihr könnt euch darauf verlassen: Dieser Staat wird euch nicht mißbrauchen.“ Könnte er diese Worte heute guten Gewissens wiederholen?

Nun sollen die Afghanistan-Veteranen doch noch eine offizielle Würdigung vor dem Reichstag erfahren. Auch der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck findet das gut, denn: „Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Es ist der Bundestag, der über die Einsätze entscheidet, in denen die Soldatinnen und Soldaten ihr Leben riskieren, weil Deutschland seine Verantwortung in der Welt wahrnimmt.“ Läßt man die Leerformel „Verantwortung“ weg, dann hat Habeck recht. Im Reichstagsgebäude hat der Bundestag den sinnlosen Einsatz beschlossen und wieder und wieder bestätigt. Um die Beteiligten angemessen zu würdigen, müßten die Soldaten den Politikern den Rücken zudrehen.

JF 30-31/21

Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer beim Besuch des ABC-Abwehrbataillon 750 ‚Baden‘ in Bruchsal. Foto: picture alliance / Flashpic | Jens Krick
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