Im Juni endete nach gut 20 Jahren sang- und klanglos der offizielle deutsche Afghanistan-Einsatz. Die letzten 264 Soldaten waren über Georgien ausgeflogen worden. Kein Bundestagsabgeordneter, kein Politiker und auch kein Bundespräsident war nach Wunstorf gekommen, um die Rückkehrer in Empfang zu nehmen oder ihnen gar zu danken. Der 59 Soldaten, die im Zusammenhang mit dem Einsatz ihr Leben verloren, von den Stabsfeldwebeln Kochert und Rubel im März 2002 bis zum Hauptfeldwebel Wirth im Mai 2013, gedachte im offiziellen Berlin niemand.
Genausowenig wie den Hunderten Verwundeten und Traumatisierten, die von der Bundeswehrverwaltung mit ausgesuchter Schäbigkeit behandelt werden. Das ist Anlaß für harte Kritik vom Bundeswehrverband: „Ich habe großes Verständnis für jeden Soldaten, der enttäuscht ist von der totalen Abwesenheit von Repräsentanten von Staat und Parlament“, kommentierte bitter dessen Bundesvorsitzender André Wüstner, der selbst Infanterieoffizier mit Afghanistan-Erfahrung ist. Achtung und Respekt „einfach durch Anwesenheit“ zu erweisen, hätte er „für eine Selbstverständlichkeit gehalten“.
Rot-Grün hat ein Milliardengrab geschaufelt
Insgesamt waren Jahr für Jahr zwischen 3.600 und 5.000 Deutsche im Kampf- und Ausbildungseinsatz, nach Amerikanern und Briten das drittgrößte Kontingent von ISAF, der Afghanistan-Schutztruppe der Nato bis 2014. Der übliche Undank des Vaterlandes ist allen gewiß. Sie waren zumeist im früher angeblich „ruhigen“ Norden um Masar-e-Sharif eingesetzt und in einem Lager von spartanischer Ungemütlichkeit und grausamer Langeweile einquartiert, zu dem Verteidigungsminister nur für viertelstündige Fototermine einflogen. Der deutsche Einsatz hat insgesamt über 12 Milliarden Euro gekostet. Die fehlen heute bei der Materialbeschaffung.
Begonnen hatte alles nach den Al-Quaida-Anschlägen vom 11. September 2001, nach denen George Bush junior den Krieg gegen den Terror ausrief und das grausame Taliban-Regime in Afghanistan stürzen wollte, das der winzigen Terrortruppe um Osama bin Laden Unterschlupf und Trainingslager ermöglicht hatte. Die rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder stimmte einem Bundeswehreinsatz begeistert zu. Es sollte ein kurzer, siegreicher Krieg werden. Das fehlende Uno-Mandat und der Nato-Einsatz außerhalb des Vertragsgebiets störten nicht.
Es setzte nun eine andauernde Propagandamaschine vom Friedens- und Stabilitätseinsatz für die Demokratie, für Menschenrechte und freie Wahlen, die Befreiung der Frau von der Burka, den Schulbesuch von Mädchen und den Kampf gegen Drogen und Terror ein. Lügen und Beschwichtigungen sollten über die Risiken des Kriegseinsatzes am Hindukusch systematisch hinwegtäuschen. Es ging in der Regierungs- und Medienpropaganda vorrangig um den Bau von Schulen, Kliniken und das Brunnenbohren, so als seien Soldaten bewaffnete Sozialarbeiter und Ziviltechniker.
Der Westen wollte das Land mit Zwang beglücken
Es gelang den Amerikanern zunächst mit Hilfe der „Nordallianz“ aus wenig zimperlichen usbekischen und tadschikischen Kriegsherren, das ihnen verhaßte Taliban-Regime der Paschtunen in Kabul zu stürzen. Während die Amerikaner sich in ihrem damals wachsenden Einfluß in Zentralasien gegenüber dem Iran, China und Rußland sonnten, glaubten die beamteten Gutmenschen des Westens, man könne hier mit viel Geld von außen eine parlamentarische Demokratie errichten.
300 regierungsfinanzierte Hilfsorganisationen aus 50 Geberländern stürzten sich unter Militärschutz auf das Land, wo sie ein heilloses Wirrwarr anrichteten und mit ihren hohen Gehältern die wenigen kompetenten Beamten, Ärzte und Ingenieure abwarben. Die EU allein setzte sechs Milliarden in ihrem größten Empfängerland in den Sand und kann heute nicht einmal annäherungsweise bilanzieren, welche ihrer Projekte noch lebensfähig sind.
Nach 40 Jahren Krieg, mit 70 Prozent Analphabeten, ohne Elektrizität auf dem Land und seiner Stammesorganisation mit jahrhundertealten Fehden war Afghanistan mit der Zwangsbeglückung der Modernität heillos überfordert. Ohne eine effektive Rechtsordnung funktionierte die staatliche Verwaltung trotz aller teuren ausländischen Berater vom Präsidenten bis hinunter zum Dorfpolizisten nur nach dem Bakschisch-Prinzip.
Afghanistans Stammesgesetze gelten wieder
War und ist die Regierung durch und durch korrupt, so ist die Justiz der Taliban klar, brutal und gnadenlos. Polizisten und Soldaten, die nicht rechtzeitig überlaufen, werden geköpft, Frauen öffentlich ausgepeitscht, Schulen gesprengt. Es herrscht die Scharia nach den archaischen Gesetzen des Paschtunwali der paschtunischen Kriegerstämme.
Je länger die mittlerweile 20jährige Besetzung Afghanistans herrscht, desto unerträglicher wurde sie den Mehrheitsstämmen der Paschtunen, denen der Kleinkrieg aus dem Hinterhalt mit Sprengfallen, der Opium- und Waffenschmuggel und der Terror auf dem Land nicht mehr reichte. Als die Abzugspläne klar wurden, wollten die Paschtunen keinen gesichtswahrenden Waffenstillstand für die Amerikaner und den Westen. Sie traten zur Offensive an, denn zu ihrer Grundethik zählt die gnadenlose Rache.
Die afghanische Art der Kriegsführung war und ist ziemlich einfach. Die Stämme verbünden sich rechtzeitig mit dem wahrscheinlichen Sieger: um sich vor seiner Rache zu schützen und um sich einen Teil der Kriegsbeute zu sichern. Mit dem schon von Donald Trump angekündigten und von Joe Biden bestätigten finalen Abzug der letzten amerikanischen, britischen und türkischen Truppen Ende August stehen die Taliban als Sieger fest. So fällt allem Friedenspalaver zum Trotz der einstens befriedete Teil Provinz um Provinz wie ein Kartenhaus zusammen. Denn je schneller der fluchtartige Abzug des Westens erfolgt, desto mehr Kriegsgerät und andere nützliche Dinge sind zu erbeuten.
Was bleibt?
Sehr viel Wert hatte die Nato einschließlich Deutschlands auf Ausbildung und Ausrüstung von Armee und Polizei gelegt. Das Ziel waren 300.000 afghanische Soldaten und 82.000 Polizisten, die aber allesamt stets als nur „begrenzt verwendungsfähig“ galten. Heute sind die allermeisten statt zu kämpfen desertiert. Deutschland will 3.500 Afghanen „evakuieren“. Natürlich zu uns.
Nur zwei Länder dürften dem Nato-Abzug nachtrauern: Rußland und China haben jetzt ein großes Sicherheits- und Drogenproblem in ihrem zentralasiatischen Hinterhof, das ihnen Nato-Soldaten und westliche Steuerzahler bislang unbedankt abgenommen hatten.
JF 29/21