Es gibt Krawatten, mit denen fliegen Sie beim Vorstellungsgespräch schlicht und einfach sofort raus. Und im Restaurant werden sie bestenfalls mit mitleidigem Lächeln des Kellners bedient, haben Sie so ein Teil am Hals. Die aktuellen WM-Krawatten kosten lediglich fünf Euro, wurden eigens für die kommenden Brasilien-Tage „geschaffen“. Der Peinlichkeitsfaktor liegt auf einer Skala von 0 bis 10 bei 9,999. Garantiert.
Billigproduzenten, die in China und Taiwan herstellen lassen, versprechen sich von der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien das große Geschäft. So verhökert die Kitschindustrie allen möglichen Mist mit vorgeblich patriotischem Anstrich.
Deutschland im Farbentaumel
Es gibt aber neben Klopapier in Schwarz-Rot-Gold, Zahnbürsten und sogar Senfbechern die Klassiker, die 2006 zum unvergessenen „Sommermärchen“ werden ließen: Fahnen an Autofenstern, Spiegelbezüge in den Nationalfarben und nicht zu vergessen die kleinen Vierkantstifte, mit denen sich Kinder wie Erwachsene die Wangen bemalen, um zu zeigen, daß ihre Herzen für Deutschland und seinen damals völlig neuen Zauberfußball brennen. Das wird wohl auch ab dieser Woche wieder so sein. Deutschland im Farbentaumel des eigenen Landes.
Alle vier Jahre darf jeder den „Patrioten“ mimen. Die Fußball-Weltmeisterschaft schaffe „ein Zusammengehörigkeitsgefühl, das die Menschen in anderen Lebenssituationen kaum noch erleben können“, sagt Markus Voeth, Inhaber des Lehrstuhls für Marketing an der Universität Hohenheim und verantwortlich für eine WM-Studie. Anders ausgedrückt: Ich kann mich patriotisch geben, weil Fußball gespielt wird.
WM vorbei, Deutschlands Farben wieder weg.
Theodor Körner oder Ernst Moritz Arndt rotieren im Grab! War es doch einst das Lützowsche Freikorps (schwarze Jacken, rote Schöße, goldene Knöpfe) während der napoleonischen Befreiungskriege vor 200 Jahren, das uns diese als Nationalfarben vererbte. Heute schmiert sich jede Tussi und jeder Plastebecherbiertrinker mit Wampe und von allem Geschichtswissen befreit diese Farben ins Gesicht oder sonstwohin und fühlt sich als Rasenball-Patriot für Jogi, Boateng, Özil & Co. WM vorbei, Deutschlands Farben wieder weg. Aus „Schland“ wird wieder Merkels Bundesrepublik, die kuscht, wenn sich in Brüssel jemand räuspert.
Auch 2006 war der plötzliche „Nationaltaumel“ für manche Berufspolitiker noch ein regelrechter Graus. So wollten Mitglieder der Linkspartei/PDS, zum Beispiel Julia Bonk, damals Abgeordnete im Sächsischen Landtag, Prämien in Form von T-Shirts, mit dem Aufdruck: „Nazis raus aus den Köpfen“, plus CDs mit linker Musik, ausgeben, wenn Deutschlandfahnen von Autos gefetzt würden. 283 Fahnen kassierte die PDS nach diesem Aufruf immerhin ein.
Flagge darf man nur beim Fußball zeigen
Wie verkrampft heute noch Politiker, auch der vorgeblich konservativen CDU, mit der deutschen Fahne umgehen, belegt eine Szene am Abend der vorigen Bundestagswahl. Als der damalige CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe, der jetzt Gesundheitsminister ist, bei der Wahlparty im Konrad-Adenauer-Haus vor Journalisten und Parteifreunden ein Deutschlandfähnchen auf der Bühne schwenkte, nahm ihm Angela Merkel es wie einem dummen Schuljungen mit mißbilligendem Kopfschütteln aus der Hand und entfernte Schwarz-Rot-Gold angewidert, wie einen verfaulten Fisch aus der Kühltruhe. Flagge darf man eben nur beim Fußball zeigen.
Ähnlich gelagert ist der Fall bei Bundespräsident Joachim Gauck. Der durfte jüngst in einer Bild-Sonderausgabe, einer kostenlosen, nach Verlagsangaben 42millionenmal verteilten, über die kommende WM fabulieren. Allerdings verlor der Präsident der Deutschen kein Wort über die Fahne seines Volkes, über die Hymne oder gar einen deutschen Sieg. Dafür schwadronierte er über den „Kampf gegen Intoleranz, gegen Vorurteile und Diskriminierung“. Sogar die „sexuelle Identität“ scheint ihm beim Fußball wichtiger zu sein als Schwarz-Rot-Gold, die Farben, die er mit keinem Wort erwähnte.
Ob die Fahnen in diesem Jahr erneut massenhaft geschwenkt werden? Das liegt wohl zuerst an den Ergebnissen der deutschen Elf. Denn wehe, es geht schief, am Rande des Regenwaldes. Dann wird es heißen: „Gurkentruppe“ und „Jogi, du Versager“.
„Kollektives Gucken“ wie 2006 wird es nicht geben
Fakt ist: Viele Fußballfans werden sich die Spiele um Mitternacht (Live-Übertragung) nicht anschauen können. Meisten schellt frühmorgens unbarmherzig der Wecker. Daß ein ganzes Volk Urlaub nimmt, geht auch nicht. Also: „Kollektives Gucken“ wie 2006 gibt es nur für die, die länger schlafen können. Zudem werden die Nachrichten in der Halbzeitpause wohl leider darüber berichten, wie brasilianische Kriminelle Jagd auf Fußball-Touristen machen werden. Die dortigen Behörden warnen bereits: „Wenig Bargeld einstecken, keinen Schmuck tragen, bei Überfall sofort alles freiwillig übergeben.“
Ob die 150.000 eigens für die WM abgestellten Polizisten die Drogenhändler der Armensiedlungen, die direkt im und am Stadtzentrum sind, beherrschen können, wird sich herausstellen. Genauso, ob die Absprachen, die es angeblich zwischen Drogenbossen und Regierung gab, helfen werden, wenigstens während der WM Frieden zu halten, Bestand haben. In Deutschland war 2006 jeder Fan aus jedem Land willkommen, alle feierten gemeinsam, das „Tätervolk“ zeigte der Welt, daß es keines ist.
Laut ZDF-Politbarometer glauben 22 Prozent der Deutschen, daß wir ins Halbfinale kommen; genauso viele glauben an den WM-Titel. Gleichviel, freuen wir uns einfach auf spannende Wochen in Schwarz-Rot-Gold. Sollten wir erfolgreich sein, darf in ein paar Jahren vielleicht auch ein CDU-Generalsekretär die Fahne öffentlich zeigen. Deutschland, Glück auf!
JF 25/14