Aufgewärmte Suppen schmecken nicht, oder doch? Was für ehemalige Partnerschaften zutreffen mag, wird von der Musikbranche eindrucksvoll widerlegt. Im Gegenteil: Sowohl nationale als auch internationale Künstler bedienen sich immer häufiger an altbekannten Melodien. Herhalten müssen dafür sowohl Hits der siebziger Jahre als auch Lieder des neuen Jahrtausends – kopiert wird alles, was sich zu Geld machen läßt. Und das mit Erfolg: Während die Kreativität der Branche unter den Coverhits leidet, erstürmen diese mit Bravour die Charts und Tanzflächen der Republik.
Ein Remix des 2000er-Indie-Klassikers „Kids“ von MGMT, ein simpler Raptext und fertig ist der Sommerhit: „Ja, ich wache hacke auf und abends geh’ ich Totalschaden. Leben eine Party, nein, ich kann mich nicht beklagen“. Das Erfolgskonzept „Cover“ hat in den letzten Jahren nicht nur die Berliner Combo BHZ mit ihrem Hit „Powerade“ entdeckt. Die Herzen der Jugend eroberten in den letzten Monaten auch Künstler wie Ski Aggu, Miksu oder Macloud. Letztere kreuzten ihre Nummer-1-Single „Nachts wach“ mit dem Marteria-Hit „Lila Wolken“ und etablierten damit gleich zwei Versionen auf den Tanzflächen.
Selbst ein Cover des Covers schreckt nicht ab
August Jean Diederich, wie Ski Aggu mit bürgerlichem Namen heißt, schaffte es mit „Party Sahne“ danach zwar nur auf Platz 32 der Singlecharts, dennoch darf der Song aus dem vergangenen Oktober noch immer in keinem Club fehlen. Als Melodie für die Version des Berliners mußte „Jerk It Out“ von den Caesars herhalten – ebenfalls ein Klassiker vom Beginn des 21. Jahrhunderts. Verfeinert wurde die Komposition durch einen Baß, der den Einzug elektronischer Musik in den Mainstream manifestiert. Noch erfolgreicher ist jedoch Aggus „Friesenjung“, das ursprünglich eine von Otto Waalkes gesungene Interpretation des Sting-Welthits „Englishman in New York“ war: Auch vor doppeltem Diebstahl macht die Musikindustrie keinen Halt.
Produziert wird, was möglichst gut in den sozialen Medien ausspielbar ist. Bereits bekannte Melodien bleiben dort besser im Gedächtnis und wecken ab Sekunde eins die Aufmerksamkeit der Zuschauer. Zudem von Vorteil für die Industrie: Die Songs sind meist keine drei Minuten lang, so daß sie häufiger gestreamt werden. Als weiterer Erfolgshit dieser Machart ist „Alleine“ von dem Berliner DJ-Duo Brualismus 3000 und dem Rapper Yung Hurn zu nennen. Auch hier die üblichen Bestandteile: Eine Abwandlung des legendären „Stan“ von Eminem & Dido und ein fetziger Technobeat. Das Resultat ist Platz sechs der Singlecharts.
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Kreativverlust droht
Auf internationalem Terrain ist es nicht weniger lukrativ, sich auf die Leistungen anderer zu verlassen. Nicht selten wird der gemeine Radiohörer über den Ursprung der erfolgreichsten Pophits hinweggetäuscht. Ava Max etwa hat sich ihren weltweiten Charthit „Kings & Queens“ bei Bon Jovis „You Give Love A Bad Name“ abgeschaut und auch Bruno Mars bedient sich gern an fremden Klängen. Das musikalische Grundgerüst für seinen Song „Uptown Funk“ schaute er sich bei The Gap Band und ihrem Song „Oops Upside Your Head“ ab.
Die ursprünglichen Schöpfer und deren Erben verdienen deshalb seit 2015 als Co-Autoren mit. Die in der Branche üblichen Beteiligungen werden manches Mal erst vor Gericht erzwungen. Auch im Fall von „Uptown Funk“ kam es erneut zu Beginn dieses Jahres zu Streitigkeiten. Die Erben von Robert und Ronnie Wilson, Mitglieder von The Gap Band, verklagten das internationale Musikunternehmen BMG wegen unbezahlter Tantiemen.
Hits zu produzieren verkommt damit vom schöpferischen Akt zur Suche nach der vielversprechendsten Kopie. In einer rasant fortschreitenden Welt ergibt die Sehnsucht der Gesellschaft nach Vertrautheit und damit auch Geborgenheit in Form von alten Liedern durchaus Sinn, aber: Unter der Entwicklung erhöht sich auch der Druck auf die Künstler, die es noch mit Kreativität versuchen.
Warum noch einen eigenen Song komponieren, wenn eine aufgewärmte Altversion auf jeden Fall kommerziell erfolgreich ist? Auf Dauer kann das zu erheblicher Langeweile und Kreativverlust führen. Deswegen gilt in der Musikbranche wie auch in anderen Gesellschaftsbereichen: Der Mensch sollte nicht aufhören zu streben.