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Die alte Geschichte von der heiligen Hure

Die alte Geschichte von der heiligen Hure

Die alte Geschichte von der heiligen Hure

 

Die alte Geschichte von der heiligen Hure

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Cato, Palmer, Exklusiv

Sage niemand, dieses Land küre nur noch, Jahr um Jahr, zombiemäßig geklonte Vergoldkehlchen. Denn während Bohlen & Co. den nächsten Quartals-Superstar suchen, ging just ein anderer Wettstreit zu Ende – ultimativ. Seit Samstag weiß die Welt, welch Werk am wonnigsten währt, und wir haben’s erwählt auf ewig: „Die schönste Oper aller Zeiten“ ist „La Traviata“, Giuseppe Verdis melodramma über jene schwindsüchtige Edel-Prostituierte, die sich nach anfänglichem Widerstand der Liebe schenkt und Schiffbruch erleidet. Aber deren letzter Atemzug, immerhin, noch einen freudesatten Orgasmus des Lebens heraufbeschwört: „Oh, gioia!“ … und weg sind alle Lebensgeister.

Das Ergebnis war denkbar knapp: Auf „La Traviata“ entfielen bei der Abstimmung 14,5 Prozent, für die zweitplazierte Oper, „Mozarts „Zauberflöte“, entschieden sich 13,9 Prozent. Auf dem dritten Platz landete mit 13,2 Prozent überraschend „Fidelio“, Beethovens einzige Oper, noch vor Puccinis „La Bohème“ (12,5 Prozent) und Richard Wagners „Lohengrin“ (9,4 Prozent)

Eines scheint der Wettbewerb, der in den vergangenen Monaten dem Publikum via 3sat, ZDF-Theaterkanal und Classica gehäuft Opernmitschnitte auf den Bildschirm lieferte, jedenfalls einzugestehen: daß kaum einer glaubt, es möchte in naher oder ferner Zukunft noch ein Werk reüssieren, welches es mit der „Traviata“ aller Zeiten aufnehmen könnte.

Dies wiederum erinnert an eine schmerzliches Faktum jüngerer Zeit, welches dem Deutschen Bühnenverein auffiel: In der Spielzeit 2007/2008 habe es kein zeitgenössisches Werk unter die „Top Ten“ der inszenierten Stücke geschafft: wie immer eben. So zeigen nicht nur Statistiken, sekundiert vom gesunden Menschenverstand, sondern auch der Wettbewerb, daß der deutsche Theater- und Kulturbetrieb zu Recht dem neuen Musiktheater ebensowenig traut wie dem Interesse des Publikums daran. Und eines zeigt der Wettbewerb überdies: Die „Super-Oper“ (Der Standard) ist nicht nur superalt („La Traviata“ erlebte ihre Uraufführung im März 1853 in Venedig), sondern ist auch langlebiger als jeder Superstar, dessen Weg in die Charts (und wieder raus) über brüchige Bohlen führt, Ohrwürmer hin oder her.

Der Kulturbetrieb mißtraut dem neuen Musiktheater

Immerhin: Auch eine Oper kommt kaum ohne die eine oder andere Melodie aus, die den Hörer so rasch nicht mehr losläßt. Dazu gehört in der „Traviata“ etwa die ausgreifende Kantilene, die im zweiten Akt Violettas Liebe, Leid und Abschiedsschmerz vereint und bereits im Vorspiel auftaucht. Dazu gehört selbstverständlich das Trinklied vom Anfang der Oper. Dazu gehört die (erfolglose) Beschwörung blühender Landschaften durch den provenzalischen Landadel, eine innige Preghiera kurz vor dem Ende, von den musikalischen Rendezvous zwischen Violetta und ihrem Verehrer Alfredo einmal ganz zu schweigen.

Und eine andere Sache: Oscar Wilde traf ins Schwarze, als er eines Tages anmerkte, Heilige und Sünder seien stets spannender als „ehrbare Persönlichkeiten“. Eine Spielart bietet „La Traviata“: die Sünderin, die zur Heiligen mutiert, die heilige Hure. Daß dies auf der Opernbühne sehr gut funktionieren kann, wußte später auch Jules Massenet, ohnehin mit einem Näschen für Stoffe gesegnet, die Geld in die Kasse spülen: Massenets Violetta heißt „Thaïs“ und sorgte für einen kleinen Skandal bei der Uraufführung, als die Sängerin der Titelpartie dem Publikum ihren blanken Busen entgegenstreckte – total versehentlich, versteht sich.

Daß weder Thaïs noch Violetta den letzten Takt überleben, hat in der Oper noch nie geschadet. Nur stirbt Violetta weitaus erfolgreicher, heute jedenfalls, womöglich obendrein befördert durch große Künstlerinnen: Deren eine, Maria Callas, hat das Werk aus der Tretmühle des Opernbetriebs befreit und interpretatorische Maßstäbe gesetzt, denen bis heute jede Sopranistin nach Verstand und Möglichkeit nacheifert. Die letzte Sängerin, der es noch erlaubt war, sich hemmungslos durch das koloratursatte Finale des ersten Akts zu nudeln, war Renata Tebaldi. Der Callas-Konkurrentin hat man nachgesehen, wofür heute jede Nachgeborene gesteinigt würde. Die andere, Anna Netrebko, hat erst jüngst durch einen „Traviata“-Medienrummel mit Video und Gesamtaufnahme (und einer Best-of-Platte für sonst opernferne Zielgruppen) dafür gesorgt, daß „La Traviata“ wieder richtig sexy ist. Nicht von ungefähr präsentierte 3sat die Oper im Rahmen der Wahlmarathons in der Salzburger Netrebko-Version.

Die Uraufführung verlief katastrophal

Bei ihrer venezianischen Premiere ist „La Traviata“ allerdings durchgerasselt, aus mehreren Gründen: Er sehne sich „nach neuen, großartigen, schönen, abwechslungsreichen, kühnen Stoffen“, ließ Verdi Anfang 1853 verlauten, um sich bald darauf einer Opernfassung der „Kameliendame“ zuzuwenden, einem in Paris sehr erfolgreichen Schauspiel von Alexandre Dumas d.J. Was aber auf der Pariser Sprechbühne funktionierte, mußte noch lange nicht auf der Bühne des Fenice funktionieren.

Zumindest war das an schicksalsverstrickte Damen, echte Helden und echte Schurken gewohnte Publikum kaum darauf vorbereitet, eine Art Zeitstück geboten zu bekommen, in dem die Halbwelt im Alltagstrott mit Fest und Fasnacht die Zeit totschlägt, der Edelmann ein Vertreter tumben Provinzadels und die vom Schicksal gebeutelte Diva eine Kurtisane ist, die sich für den Geliebten nicht einmal richtig opfert, sondern vordergründig einer banalen Schwindsucht zum Opfer fällt – eine Krankheit, die sie sich schon vor dem ersten wimmernden Geigentakt des Vorspiels irgendwo geholt haben mag.

Aber selbst diesen Tod mochte man bei der Premiere nicht recht glauben, denn die Sängerin der Violetta sah nach allem allzu wohlgenährt aus. Obendrein war der Abend schlecht vorbereitet, und wer die heutigen Zustände in italienischen Opernhäusern kennt, in denen bei Nichtgefallen schon mal das Mobiliar zerlegt wird, kann sich ausmalen, in welches Fiasko „La Traviata“, Verdis „Gefallene“, tatsächlich gefallen ist: Sie dürfte irgendwo zwischen Gelächter, Schockstarre und Randale gelandet sein.

Giuseppe Verdi aber glaubte an sein Werk, prophezeite noch am Premierenabend einen künftigen Erfolg, erzielte ihn mit einer zweiten venezianischen Premiere ein Jahr später im Teatro San Benedetto und behielt weitaus mehr recht, als er sich bei der katastrophalen Uraufführung gedacht haben wird: Und so ist „La Traviata“ die schönste Oper aller Zeiten.

Foto: Anna Netrebko als Violetta Valery und Rolando Villazón in Verdis Oper „La Traviata“ 2005 bei den Salzburger Festspielen: Schiffbruch in der Liebe abschütteln.Wettbewerbs aus 9,80 Euro.

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