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Pankraz, Pfarrer Schmutzler und die leere Kirche

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Skeptisch-Vorweihnachtliches zum auslaufenden Jahr des Mauerfalls: Die Kirchen in Deutschland leeren sich, auch die in den neuen Bundesländern. Gebaut werden nur noch Moscheen. Der Wiederaufbau der Frauenkirche in Dresden war die große Ausnahme, und er war kein christlich-religiöses, sondern ein allgemein-kulturpolitisches Ereignis. Die Wahrheit ist: Gerade im Osten ist der Schwund des christlichen Glaubensbekenntnisses besonders stark. Die christlichen  Kirchen fristen dort nur noch eine gesellschaftliche Randexistenz, vergleichbar mit der SPD im sächsischen Landtag.

Natürlich hängt das mit den vierzig Jahren Kommunistenherrschaft zusammen. Die SED hat während dieser Zeit alles getan, um den jetzt erreichten Zustand vorwegzunehmen und anzubahnen. Es gab – besonders in den ersten Jahren nach Gründung der DDR 1949 – regelrechte Christenverfolgungen nach bolschewikischem Vorbild. Zusammenkünfte von Christen, speziell ihrer Jugendgruppen, der sogenannten „Jungen Gemeinden“, wurden von FDJ-Kommandos im Auftrag der Partei immer wieder gesprengt und auseinandergetrieben.

Wer von den Bischöfen und Synodalen dagegen protestierte oder sonstwie aufmuckte oder auch nur wagte, etwa mit dem langjährigen Vorsitzenden der (noch) gesamtdeutschen Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD), Otto Dibelius, der sein Büro in West-Berlin hatte, derselben Meinung zu sein, hatte keine Amtschancen mehr. Er wurde, wenn er nicht in den Westen ging, administrativ aus der Öffentlichkeit entfernt.

In schlimmer Erinnerung ist der Fall des legendären Studentenpfarrers Schmutzler von der Universität Leipzig, der sich voller Mut auf ausführliche Diskussionen mit den Provokateuren der SED einließ und deshalb auf Nimmerwiedersehen hinter den Mauern von Waldheim verschwand. Von ihm spannt sich der Bogen bis zu Pfarrer Oskar Brüsewitz, der sich aus Protest gegen die regierungsoffizielle Kirchenverfolgung in der DDR 1976 auf dem Marktplatz von Zeitz öffentlich verbrannte und damit ein tragisches Fanal setzte.

Gestalten stiegen zu höchsten kirchlichen Ämtern auf, die sich nicht nur eifrig für eine „besondere Kirche im Sozialismus“ einsetzten und sich im sogenannten „Friedenskampf“ hervortaten, sondern die auch nichts dabei fanden mit der Stasi zusammenzuarbeiten, die eigenen Glaubensbrüder konspirativ zu überwachen, auszuhorchen und staatlichen Zwangsmaßnahmen zuzuführen.

Die unbezweifelbare Tatsache, daß in der Endzeit der DDR bestimmte Kreise der evangelischen Kirche vielen Dissidenten und Ausreisewilligen Schutz boten und entschieden für eine „Reform“ der damals bestehenden Verhältnisse eintraten, änderte daran nichts, fast im Gegenteil. Das Gros dieser innerkirchlich-evangelischen Reformer wollte die DDR ausdrücklich erhalten und versammelte sich mit den Funktionären der SED zu Machtaufteilungs-Gesprächen am „Runden Tisch“, während das Volk schon viel weiter war und die sofortige Wiedervereinigung forderte („Wir sind ein Volk!“). Die Ereignisse von 1989/90 haben die Entfremdung zwischen Kirche und Bevölkerung in den neuen Ländern eindeutig vertieft, was heute noch nachwirkt.

Das Gebiet der DDR war altes Lutherland und altes Pietistenland, es war aber auch das Zentrum der deutschen Klassik/Romantik um 1800 (Weimar/Jena), und es war die Wiege der deutschen Sozialdemokratie, wo deren Funktionäre während des Kaiserreichs und der Weimarer Republik die sichersten Wahlbezirke fanden. Die SPD wurde in Eisenach gegründet und hielt in Gotha ihren entscheidenden Programm-Parteitag ab. Alle diese Konstellationen waren einer Befestigung des christlichen Glaubens in Zeiten allgemeiner Entchristlichung und Glaubensferne ebenfalls nicht günstig.

Die deutsche Klassik um Goethe und Schiller hatte wesentliche Teile der christlich-protestantischen Botschaft in einen wenn nicht glaubenslosen, so doch glaubens-indifferenten, „modern-humanistischen“ Geisteskanon überführt, und in den Bildungszirkeln der Sozialdemokratie waltete eine entschieden atheistische, „streng wissenschaftliche“ Weltanschauungslehre, wie sie der in Jena lehrende einflußreiche Darwinist und „Monist“ Ernst Haeckel vertrat. Die Aussichten für traditionell christlich orientiertes Denken und Alltagsleben standen schlecht.

Man kann die Feststellung wagen: Seit etwa 1880 war der weitaus größte Teil der Bevölkerung auf dem Gebiet der späteren DDR, also die (im Vergleich zu anderen Ländern) gut gebildeten Arbeiter- und Kleinunternehmermassen in Berlin, Leipzig, Halle, Magdeburg, Merseburg, Bitterfeld, im Erzgebirge und im Thüringer Wald, bereits weitgehend entchristlicht. Man ging hier und da zu Weihnachten noch in die Kirche, hörte sich die Predigten an, blieb aber im Inneren gleichgültig.

So bedurfte es im Grunde gar nicht der Dazwischenkunft diktatorischer, streng atheistisch ausgerichteter Regimes wie des Kommunismus, um die heutigen Menschen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR gründlich von der christlichen Kirche und ihrer Botschaft wegzurücken. Ihre Kirchenferne ist zur Zeit zweifellos noch prononcierter als im übrigen Deutschland, sie ist jedoch habituell dieselbe wie dort und wie in anderen Ländern Westeuropas. Die christliche Kirche, speziell die protestantische, steckt in einer tiefen Krise, und das betrifft keineswegs nur die neuen Länder der Bundesrepublik Deutschland.

Doch wo Gefahr ist, wächst bekanntlich auch das Rettende. Und es wächst zuerst dort, wo die Gefahr am größten ist. Es fällt auf, daß sich neuerdings gerade in den neuen Ländern im Raum der evangelischen Kirche spontan „christliche Bruderschaften“ zusammenfinden, die energisch ein von Grund auf erneuertes Christentum anstreben, eine leidenschaftliche, aus tiefer Lebenserfahrung gespeiste Neubefestigung des Glaubens, eine planvolle Wiederaufrichtung von Luthers „fester Burg“, Eine solche Burg bedarf natürlich nicht nur tapferer Ritter, sie muß auch neuartig feste Mauern haben.

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