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Hexentänze und Elfenchöre

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Hexentänze und Elfenchöre

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Felix, der Glückliche, war sein Vorname. Und so glücklich, wie sein kurzes Leben verlief, war kaum das eines anderen Komponisten. Als umjubeltes und bestauntes klavierspielendes und komponierendes Wunderkind betrat Felix Mendelssohn Bartholdy die musikalischen Podien seiner Zeit. Wirtschaftliche Sorgen blieben dem aus einem vermögenden Elternhaus Stammenden zeitlebens erspart. Mit der genialen Ouvertüre zu Shakespeares „Sommernachtstraum“ gelang ihm 1826  als 17jähriger der Sprung in die erste Reihe der damaligen zeitgenössischen Komponistengarde. Erst 26jährig, gerade zum Leiter des Leipziger Gewandhausorchesters berufen, stand er, bereits einer der erfolgreichsten Komponisten seiner Epoche, an der Spitze des deutschen Musiklebens und war gleichsam der Liebling seiner Epoche. Musikhistorische Bedeutung erwarb er sich durch die Wiederentdeckung der Werke Johann Sebastian Bachs, der im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts vergessen war. Insbesondere in England setzte noch zu seinen Lebzeiten eine ungeheurer Popularität ein. Auf der Höhe seines Ruhms starb er am 4. November 1847 mit nur 38 Jahren unerwartet an einem Gehirnschlag. Doch mit seinem Tod ging schnell ein Verblassen seines Sterns einher, und Mendelssohns Einfluß auf die Musik seiner Zeitgenossen war bereits um 1850 beendet. Mit Carl Maria von Weber und Robert Schumann gehört er zum Dreigestirn der musikalischen deutschen Hochromantik. In seinem Schaffen faßt er in bis dahin „unerhörter“ Weise alle Traditionen der Musikgeschichte zusammen. Die barocke Kunst der Polyphonie  kombiniert er mit den musikalischen Errungenschaften seiner „romantischen“ Epoche. Dieser Rückgriff aufs Alte erzeugt in vielen seiner Werke eigentümlich neobarocke Stilelemente – ähnlich wie sich in der gleichen Epoche in der Architektur beispielsweise durch den Rückgriff auf die Antike ein besonderer Neoklassizismus bildete, der sich etwa  im Werk Schinkels manifestiert. Während Webers Romantik eine effektvolle Theaterromantik ist, die in der Ritter-, Elfen- und Dämonenwelt zu Hause ist, ist die Schumanns in fast kleindeutsch zu nennendem Weltschmerz nach innen gekehrt, lotet unsagbar sacht alle Tiefen der Seele aus, dabei manchmal nahe an den mentalen Abgrund geratend. Mendelssohn mag man dagegen als den Romantiker des Bürgertums bezeichen. Wilhelm Heinrich Riehl nannte Mendelssohn den ersten, „der so recht für die ‘feine Gesellschaft’ im besten Sinne des Wortes musizierte“. Er ist eine gezähmte, eine lyrische Natur, die allzu großen Leidenschaften aus dem Weg geht. Polyphonie und Kontrapunktik dienen daher nicht der Erzeugung monumentaler Wirkungen, sondern zu einer Differenzierung seines hochsubjektiven, empfindsamen Stils, zu dem eine überragende Fähigkeit der melodischen Erfindung zählt. Für die „klassische Ausgewogenheit“ dieses Stils verlieh ihm Schumann das Attribut eines „Mozart des 19. Jahrhunderts“. Aber jene klassizistische Klarheit mutierte bei seinen Gegnern schnell zur „Glätte“, einem Terminus, der Mendelssohns Schaffen seit nun über hundertfünfzig Jahren anhaftet – völlig zu Unrecht. Zwar ist seine Tonsprache durchaus voll Süße und elegischer Sentimentalität, vielleicht darf man darin in der Tat einen „weiblichen“ schwärmerischen Ausdruck (wie in den „Liedern ohne Worte“) sehen, was dem Komponisten den Vorwurf „musikalischen Nazarenertums“ einbrachte – unbestritten ist, daß einige der schönsten Werke der Romantik aus seiner Feder stammen: das nordische Stimmungsbild der „Hebriden-Ouvertüre“ mit ihrer fein differenzierten Koloristik, die wilden Hexentänze der „Ersten Walpurgisnacht“, einer auch heute noch viel zu wenig beachteten grandiosen Kantate, oder das singuläre e-moll-Violinkonzert, dessen Schlußsatz seine Hörer so ungemein beglückt aus dem Konzertsaal entläßt. Dieser Satz weist eine von Mendelssohns auffälligsten Stileigenschaften auf: das sogenannte Elfenscherzo. In vielen Werken sind einzelne Themen, ja ganze Sätze in rasch dahineilender, quirliger, von grazilen Sechzehntelfigurationen geprägter Form gehalten, wobei der phantastische Wirbel stets die Assoziation an einen schwirrenden Elfenchor hervorruft, am schönsten natürlich gelungen bei der Schilderung eines tatsächlichen Elfenschwarms im „Sommernachts­traum“. Mendelssohns Werke sind, wie der Musikwissenschaftlicher Hans Renner ausführt, wegen der „edlen Formschönheit, der duftigen, nie aufdringlichen Instrumentation, … der Ehrlichkeit und Natürlichkeit eine Zierde der Konzertprogramme“. Daß ein solches wohlwollendes Urteil über einen Künstler gerade in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg mit ihrer veränderten musikalischen Ästhetik nicht zu dessen Wertschätzung beitragen konnte, liegt auf der Hand. Dabei ist kaum bekannt, daß Mendelssohn sehr wohl um die Dämonen in sich wußte und auch imstande war, ihnen musikalischen Ausdruck zu geben. Denn zumindest zweimal gab er sich fassungslosem Schmerz und kaum gebändigter Leidenschaft hin, am tiefgründigsten, als er im Mai 1847 nach dem Tod seiner über alles geliebten Schwester Fanny (und vielleicht auch im Bewußtsein um den nahen eigenen) sein abgrundtiefes Streichquartett f-moll op. 80 schrieb. Mit seinem hoffnungslosen Fatalismus ist es einzigartig in Mendelssohns Schaffen. Ihm zur Seite steht der langsame Satz des B-Dur-Streichquintetts (op. 87) von 1845. Dieses „Adagio e lento“ von „requiemhaften Charakter“,  wie Wolfgang Stresemann in seinem sehr lesenswerten Buch „Eine Lanze für Felix Mendelssohn“ ausführt, weist in seiner „gespenstischen Coda“ eine bereits an Schostakowitsch erinnernde Klangwelt auf. Die weitgehende Geringschätzung des Komponisten in der Nachkriegszeit muß deshalb nicht ausschließlich dem rassisch begründeten Aufführungsverbot der NS-Zeit angelastet werden. Natürlich wurde der Jude Mendelssohn damals von allen Seiten verrissen. Von einer „Treibhausblüte der jüdisch versetzten Berliner Romantik“ war in Hans Joachim Mosers „Musik der Nationen“ die Rede. Otto Schumann ging in der „Geschichte der deutschen Musik“ noch einen Schritt weiter: „Hätte Mendelssohn eine Musik geschrieben, die seiner rassenseelischen Beschaffenheit entsprach, dann könnte sich das Judentum eines großen Komponisten rühmen. Da er aber einen solchen echten Stil nicht aufzubringen vermochte, erschöpfte er sich in der Nachbildung deutscher Eigentümlichkeit. Diese wiederum konnte er aus rassischen Ursachen nicht von innen erfassen und war daher triebhaft bemüht, die äußeren Erscheinungsformen um so sorgfältiger nachzuzeichnen. So erklärt sich das bloß Gefällige seiner Musik, ihre fließende Glätte und mangelnde Tiefenwurzelung.“ Dem kongenialen Wurf der „Sommernachtstraum“-Ouvertüre bestätigte man zwar die hohe musikalische Qualität, begründete es aber mit der „typisch jüdischen Gabe des Einfühlungsvermögens in fremdes Seelenleben“. Die Vertreter der Theorie von in der NS-Zeit „gemordeter Musik“, wie sie gerne auf den protestantischen Juden Mendelssohn angewendet wird – von dessen Werk, zugegeben, bis in die achtziger Jahre in der Tat nur noch wenig, wie die Italienische und die Schottische Symphonie, das Violinkonzert und die „Sommernachtstraum“-Ouvertüre lebendig geblieben war – übersehen gerne, daß auch eine Fülle anderer Komponisten aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der Nachkriegszeit mehr und mehr in Vergessenheit geriet. Und gemessen an der Rezeption zu seinen Lebzeiten war Mendelssohn auch schon vor 1933 stark in den Hintergrund getreten. Dem dagegen gern als „deutschesten“ Komponisten apostrophierten Carl Maria von Weber, der während des Dritten Reiches auch in seiner Funktion als musikalischer Vorläufer Richard Wagners nicht öfter gespielt wurde als vor der NS-Epoche, war ein ähnliches Schicksal beschieden. Denn sieht man einmal vom „Freischütz“ ab, blieb Weber bezüglich seines umfangreichen Gesamtwerks bis um 1985 einer der unbekanntesten Komponisten der Romantik. Von seinen großartigen Chorkantaten fehlt immer noch jede Aufnahme auf Tonträger. Bis heute liegt sogar keine Gesamtausgabe seiner Werke vor. Bei Mendelssohn dagegen ist das Gesamtwerk im Druck und auf Tonträger fast vollständig bis auf kleine Ausnahmen (unter anderem das Opernfragment „Loreley“ von 1847) erschlossen. Die Orchesterwerke, die Lieder, die Kammermusik, die geistlichen Werke, und vor allem sein Opus summum, das Oratorium „Elias“, liegen seit Jahren in Einspielungen unterschiedlicher Interpreten vor. Und anders als bei Weber stellt man seit einigen Jahren eine deutliche Mendelssohn-Renaissance auch bei Aufführungen fest. Friedrich Nietzsche nannte Mendelssohn einmal den „schönen Zwischenfall der deutschen Musik“, er bezeichnete ihn als „halkyonischen Meister“, also Seligkeit spendend, „der um seiner leichteren, reineren, beglückteren Seele willen schnell verehrt und ebenso schnell vergessen wurde“. Doch aus der Vergessenheit ist er wieder aufgetaucht. Wie vor über hundertfünfzig Jahren vermag Mendelssohns klassische Ästhetik wieder zu bezaubern. Foto: Felix Mendelssohn Bartholdy: Romantiker des Bürgertums

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