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Bernd Zimniok, Demografie, Massenmigration

„Der heutigen Generation fremd“

„Der heutigen Generation fremd“

„Der heutigen Generation fremd“

 

„Der heutigen Generation fremd“

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Als Komponist, Geiger, Dirigent und Musikpädagoge galt Louis Spohr zeitlebens als Autorität, wurde nach Beethovens Tod von den Zeitgenossen als größter lebender Komponist angesehen und war zweifellos der berühmteste Violinist im frühen 19. Jahrhundert nach Paganini – vielleicht der bedeutendste deutsche Geiger überhaupt. Er förderte junge Komponisten und setzte sich noch vor 1850 stark für Richard Wagner ein.

Spohr schuf gut zweihundert Kompositionen in allen Gattungen, von denen zwar ein Großteil auf Tonträger erhältlich ist, aber im heutigen Musikbetrieb überwiegend eine untergeordnete Rolle spielen. Allein zehn Symphonien, achtzehn Violinkonzerte, vier bedeutende Klarinettenkonzerte, gut achtzig Kammermusikwerke und zehn Opern hat der Komponist hinterlassen.

Spohrs frühe und mittlere Schöpfungen galten bei den Zeitgenossen als musikalische Meilensteine. Doch noch zu Lebzeiten, etwa um 1840, mußte Spohr schmerzlich feststellen, daß seine jeweils neuesten Werke nur noch geringen Anklang fanden. Grund ist nach heutiger Meinung ein Nachlassen der Inspiration, doch war der Komponist aus familiär-pekuniären Gründen gezwungen, auch im Alter weiterhin produktiv zu sein. Die nach Meinung der orthodoxen Musikologen substantiell unergiebigen Spätwerke haben noch im 19. Jahrhundert die wahre musikgeschichtliche Bedeutung des Komponisten fast ausgelöscht. Hermann Kretzschmar bescheinigte 1887 dem Komponisten in seinem bedeutenden „Führer durch den Concertsaal“, daß „seine Symphonien (…) der heutigen Generation fremd geworden sind“.

Doch sind wohl eher einige ungewöhnliche Konstellationen und Widersprüche daran schuld, daß Spohr nicht die Wertschätzung genießt, die ihm zustünde. Spohr hatte beispielsweise gleich große Bedeutung für die Entwicklung des Violinspiels (seine Violinschule ist heute noch unübertroffen) wie für die Oper. Seine zugegeben recht undramatische „Jessonda“ (1823), zeitgleich zu Webers „Euryanthe“ entstanden, ist zusammen mit dieser die erste durchkomponierte deutsche romantische Oper. Und Wagner wäre ohne diese „Jessonda“ ebensowenig denkbar wie ohne Webers Werk.

Ohne Spohrs „Jessonda“ wäre Wagner undenkbar

Lebenslang war Mozart das Vorbild Spohrs. Bereits Beethoven lehnte er ab. Doch gleichzeitig zeigt Spohr eine fast erschreckende Progressivität. Sein wahrscheinlich heute meistgespieltes Werk, das Violinkonzert a-moll „In Form einer Gesangsszene“ (1816), ersetzt die alte Sonatenform durch ein thematisches Konzept, ähnlich Webers fünf Jahre jüngerem (Klavier-)Konzertstück f-moll. Als Symphoniker schließt Spohr auf teilweise völlig ungewöhnliche Weise die Lücke zwischen Beethoven und der Hochromantik Schumanns und Mendelssohns, teils mit absoluter Musik, teils mit Programmsymphonien. Die Sechste ist übertitelt als „Historische Symphonie im Stil und Geschmack vier verschiedener Zeitalter“. Der erste Satz zitiert die Barockzeit, der zweite Mozart, der dritte karikiert Beethoven, und das Finale versucht sich in der „Allerneuesten Periode“, wie man sie sich um 1840 vorstellte, und ist eine greuliche Mischung, die man gerne als berliozsaures Meyerbeeroxid bezeichnen will.

Spohrs Siebente ist ebenso unkonventionell gehalten. Sie nennt sich „Irdisches und Göttliches im Menschenleben“, verwendet in ihrer programmatischen Ästhetik zwei unterschiedliche Orchester, das eine das irdische Element, das andere das „Göttliche“ darstellend. Im hymnischen Finale „Sieg des Göttlichen“ vereinigen sich beide Ensembles.

Auch in der Kammermusik schuf er Neuartiges. So wurde die Gattung des sogenannten Doppelquartetts von ihm erfunden. Spohr experimentiert dabei mit räumlich differenzierten Klangeffekten zweier konzertierender Quartettensembles. Die vier Doppelquartette erleben vielleicht daher seit einigen Jahren eine Renaissance. Auch die Harfenvirtuosen schätzen Spohrs Werke für dieses Instrument mehr und mehr (seine erste Ehefrau war Harfenistin), da ihre Spezialliteratur nicht allzu reichhaltig ist.

Die Musikwelt macht einen Bogen um ihn

Wenn Alfred Einstein meint, daß
Spohr „niemals das geheimnisvolle Reich echter Romantik“ betreten habe, so trifft das trotz der Tatsache zu, daß er für viele romantische Meister nach ihm Vorbild war und sich seine Einflüsse selbst bei Tschaikowsky oder Richard Strauss finden lassen. Aber der Musiksprache des Klassizisten Spohr fehlt zugegeben Webers Theatertemperament, es fehlt die große Leidenschaft, es fehlt beispielsweise Schuberts abgrundtiefe Melancholie, es fehlt Schumanns nervöse Sensibilität, und man vermißt die ausgeprägte Fähigkeit zur prägnanten melodischen Erfindung. Auch bei Mendelssohn fehlen die erstgenannten Faktoren, doch besitzt dieser eine überreiche melodische Kraft.

Bei Spohr dagegen kommt es nur selten zu großen melodischen Bögen, und selbst die sind dann als direkte Nachahmung Mozarts zu erkennen, wie es besonders in den Adagios der Violinkonzerte auffällt. Der Komponist verharrt auch in schnellen Sätzen, selbst bei Dur-Tonarten, fast immer in einem ausgeprägt elegischen Ton und versteht es fast nie, einen wirklichen Jubel anzustimmen.

Dazu kommt eine schon von seinen Zeitgenossen bemäkelte Neigung zu stark chromatisch geführten Mittelstimmen, wodurch zwar eine höchst interessante Harmonik entsteht, die die Klangwelt des „Tristan“ vorwegnimmt, ja vielleicht sogar die Moderne vorbereitet, doch meistens eine gespannt-gequälte Grundstimmung walten läßt. Und dieses Fehlen einer letzten Einfachheit und Unmittelbarkeit, wie sie aus ähnlichen harmonischen Gründen auch bei Max Reger besteht, verhindert bis heute wie bei diesem die andauernde Breitenwirkung.

Seit 1822 Hofkapellmeister in Kassel, wurde Spohr wegen „republikanischer Tendenzen“ 1857 gegen seinen Willen 73jährig pensioniert und starb, verbittert darüber, zwei Jahre später. Er mußte sich eingestehen, als Virtuose und Komponist sich seit langem überlebt zu haben. In jeder Hinsicht von individuellem Rang, wurde er ein Sonderfall, der seit über hundertfünfzig Jahren nicht recht eingeordnet werden kann und um den die Musikwelt daher einen Bogen zu machen scheint. Gerade deshalb lohnt die Beschäftigung mit ihm.

Öl auf Leinwand, 1824: Lebenslang war Mozart sein Vorbild, Beethoven lehnte er ab

Weitere Informationen: Förderverein Louis-Spohr-Stiftung e. V., Nordshäuser Straße 6, 34132 Kassel, Internet: www.louisspohr.de

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