Noch einmal lockt Oberons Horn heim ins Reich, ins Reich der Feen und Elfen, der Zauberkräuter und blutenden Blumen, der erwiderten und unerwiderten, ausbrechenden und eingefangenen Liebe, in das Reich der Musik. Carl Maria von Webers Ouvertüre zu seiner letzten Oper „Oberon or The Elf King’s Oath“ und Mendelssohn Bartholdys Schauspielmusik zu Shakespeares „Sommernachtstraum“ beschließen versöhnlich eine thematische Reihe des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin (DSO), die alles andere als versöhnlich begonnen hatte. Mit seiner Ankündigung, in sechs Konzerten der Beziehung des Deutschen zur Musik nachzugehen und die Reihe obendrein mit Hans Pfitzners Kantate „Von deutscher Seele“ zu eröffnen, war Ingo Metzmacher, der neue Generalmusikdirektor des DSO, ins Zentrum deutscher Befindlichkeiten vorgestoßen, was ihm mit den Konzerten selbst dann weniger gelingen sollte. Trotz der durch einschlägiges Feuilleton und eine kuriose Presseerklärung von Dieter Graumann, dem Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, aufgeladenen Atmosphäre ging Pfitzners Kantate am Tag der Einheit störungsfrei über die Bühne (JF 42/07) und löste keine meßbare Zunahme rechtsextremistischer und nationalistischer Aktivitäten aus, wie Graumann befürchtet hatte. Die weiteren Konzerte mit Werken von Weill, Schumann, Liszt, Eisler und Beethoven, Mozart und Walter Braunfels wurden bereits als normale Daten im ganz normalen Musikbetrieb einer Weltstadt verbucht. Business as usual: Die deutsche Seele geht ihren Gang. Spätestens mit dem Konzert vom letzten Freitag, dessen Wiederholung einen Tag später die 18. Brandenburgischen Sommerkonzerte in der Marienkirche Prenzlau eröffnete, wurde auch die postmoderne Ironie des Projekttitels, die ja der romantischen nicht ganz unverwandt ist, offenbar. Weit spannte die deutsche Seele ihre Flügel aus, flog von Webers Londoner Feenreich über Hans Werner Henzes Albaner Berge bis zu Shakespeares Athen, um in Mendelssohns Preußen anzukommen, wenn auch nicht zu Haus. Zwischen den leichtgenommenen Außenstücken nahm sich die 8. Symphonie des sehnsuchtssüchtigen Hans Werner Henze von 1993 selten harmlos aus, die doch auch das dunkle Tier beschwören wollte, den gliederlösenden Eros, der bei Henze auch immer ein Glied erlösender ist. Und hätte nicht gerade ihre Aufführung Pfitzners dunkle Kantate in Erinnerung rufen sollen, deren Echo in den einkomponierten Peitschenschlägen widerhallt? Von Rudolf Virchow ist der Ausspruch überliefert, er habe Tausende von Leichen seziert, aber keine Seele darin gefunden. Es spricht nicht gegen die Seele, wenn Leichen keine haben. Aber wo liegt die Seele in der Musik begraben? Wenn wir sie in dem Spiel nach Noten zu vernehmen meinen – wie kam sie da hinein, um überhaupt ausgelesen werden zu können? Ließe sie sich technisch lokalisieren? Oder kämen wir ihr näher, gleichsam von außen, wenn wir dem Vorschlag des Komponisten Sandeep Bhagwati folgten, vorgebracht zur Eröffnung der Heidelberger Biennale für Neue Musik 2006, unsere in der „Musique savante“, der gelehrten Musik, ehemals führende Musikkultur der Welt als Gegenstand musikethnologischer Forschungen zu nehmen? Metzmacher und das DSO haben das Thema als lose Klammer für eine Programmfolge verstanden, die eher in Begleitbuch und Programmheften aus der Rezeptionsgeschichte der einzelnen Werke begründet wurde denn in den Aufführungen, gleichsam von innen, aus dem Notentext selbst, und die sich zu heiterem mittsommernächtlichen Ausklang in Wohlgefallen auflöste. Dazu trug nicht nur eine vom Publikum frenetisch bejubelte Salome Kammer bei, die ihre selbsterstellte Textfassung fürchterlich chargierend darbot – man erinnerte sich wehmütig des gestisch so ungemein genauen Thomas Thieme als Olim in der „Silbersee“-Aufführung! -, dazu trug überhaupt Metzmachers hemdsärmeliger, Handwerklichkeit ausstellender Zugriff bei, als liefe alles Dirigieren auf Problemlösen und nur darauf hinaus. So ward ihm das Panische lärmend und das Idyllische flach. Metzmacher fordert sein Orchester und überfordert es hörbar dort, wo es sich seinen Forderungen noch verweigert. Aber mochten sich Orchester und Chefdirigent während der sechs Konzerte noch so unsicher gegenüberstehen: In jedem Künstler steckt ein Anarchist, der will nur spielen! Spätestens mit „Hochzeitsmarsch“ und „Tanz von Rüpeln“ kam Stimmung auf wie bei den „promenade concerts“, den Proms, und ein wenig auch wie auf den Fanmeilen zu Welt- und Europameisterschaft. Wobei wir wieder bei der deutschen Seele wären. In Rückblick auf die Reihe erklärt Metzmacher sie zum Austauschprodukt europäischer Kulturtraditionen und beschwört die Integrationskraft der deutschen Kultur angesichts der Globalisierung, freilich ohne auszuführen, was er unter Globalisierung verstanden wissen will. Den deutschen Klang gebe es doch gar nicht, hat Metzmacher einmal verlauten lassen. Den ureigenen Klang des vor sechzig Jahren gegründeten Deutschen Symphonie-Orchesters, der seine Orchesterseele ist – vielleicht gibt es ja den. Foto: Chefdirigent Ingo Metzmacher: Es spricht nicht gegen die Seele, wenn Leichen keine haben
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