Alain de Benoist gilt als „Meisterdenker“ der Nouvelle Droite, aber eigentlich hat er sich nie wirklich in dem Begriff „Neue Rechte“ erkannt, auch wäre er wohl nie auf die Idee gekommen, ihn für sein Denken zu reklamieren — die Frage, wo es sich politisch-ideologisch verortet, hat ihn nie interessiert. Dennoch führt sein Lebensweg über typische Etappen eines Vertreters der französischen Rechten: Als Student zu Beginn der 1960er Jahre wendet er sich gegen die Politik von Charles de Gaulle, der Algerien in die Unabhängigkeit entlassen will, und er tritt dem Studentenverband Fédération des Étudiants Nationalistes bei. Nach dem Algerienkrieg sinniert er mit anderen ehemaligen Algérie-française-Partisanen über die Perspektiven eines europäischen Nationalismus, er unterstützt 1965 in einer Wahlkampagne die nationalen Präsidentschaftskandidatur von Jean-Louis Tixier-Vignancour und engagiert sich 1967 anläßlich der Parlamentswahlen im Mouvement nationaliste du progrés. Im Januar 1968 gründete er zusammen mit Gesinnungsfreunden den Groupement de recherche et détudes pour la civilisation européenne (GRECE) — die „Studiengruppe für die europäische Zivilisation“. Es ist der erste Diskussionsklub der politischen Rechten in Frankreich nach 1945 — und es ist der Versuch, ihr nach den Niederlagen, die sie seit dem Ende des Algerienkrieges erlitt, mit einer „neuen Kultur“ wieder politischen Einfluß zu verschaffen. Aber auch in seinen Schriften läßt er während der sechziger Jahre den homme de droite erkennen: In ihnen finden sich Bezüge auf Monarchisten wie Joseph de Maistre und Charles Maurras oder auf Pierre Drieu la Rochelle, den Exponenten des französischen Faschismus — Alain de Benoist operiert in dieser Zeit sogar mit rassebiologischen Argumentationen. In den siebziger Jahren beschäftigt er sich mit dem Werk des deutschen Staatsrechtlers Carl Schmitt, er feiert den Elitegedanken und entdeckt im indoeuropäischen Heidentum eine ideologische Alternative zu den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen. In Frankreich wird er einem breiteren Publikum bekannt, als er 1977 für sein Buch „Vu de Droite“ („Von rechts gesehen“) den Grand Prix de lEssai der Académie Française erhält. Und zwei Jahre später sorgt sein Name auch außerhalb Frankreichs für Aufsehen: Im Zuge einer Pressekampagne gegen den GRECE fällt erstmals der Begriff der Nouvelle Droite. Die harschen Angriffe auf Benoist und seine Freunde aus dem Groupement unterstreichen dabei die interessanten Ansätze einer neuen Kultur der Rechten in Frankreich — und sie illustrieren die Reflexe einer verwirrten Linken, die ihre Ambitionen auf die französische Präsidentschaft gefährdet sieht. Vor allem aus dieser Zeit rühren die undifferenzierten Urteile, die man über den Philosophen bis zum heutigen Tage fällt — auch hierzulande gilt er vielen als Apologet des Faschismus. Ebenso zeigt sein Denken aber von jeher Spuren, wie sie gewöhnlich auch Linksintellektuelle hinterlassen: Schon in seinen frühen Texten aus den beginnenden 1960er Jahren kritisiert er den Materialismus der modernen Gesellschaft, er beschwört den Reichtum der verschiedensten Kulturen der Welt und mahnt deren friedvolles Zusammenleben an. In den Siebzigern formuliert er den Standpunkt eines „differentialistischen Antirassismus“, er verwahrt sich in den achtziger Jahren gegen jede Form kolonialer Bestrebungen und kritisiert die Menschenrechte als Ausdruck einer solchen. Heute spricht er von einer „Bundesrepublik der Völker Frankreichs“, um das Immigrationsproblem zu lösen, er wendet sich gegen die Übermacht der USA und fordert ein „negatives Wachstum“, um den Raubbau an den natürlichen Ressourcen zu verhindern — überhaupt plädiert er für eine wirklich ökologische Lebensweise. Alain de Benoist, so könnte man sagen, hat wohl schon immer Gegensätzliches zu vereinen versucht, und auch heute noch steht bei ihm vieles nicht gegen-, sondern miteinander: die Abstraktionsfreude des Progressiven mit dem konservativen Hang zum Konkreten, das optimistische Menschenbild des Idealisten mit der entsprechenden Vorsicht des Realisten — das linke Prinzip mit dem rechten. Diese Einheit der Gegensätze ist indessen nicht zufällig, sie legt die geistige Verwurzelung des Franzosen Benoist in der deutschen Romantik bloß. Auch romantische Intellektuelle wie Novalis, Adam Heinrich Müller oder auch Friedrich Schlegel suchten zu Anfang des 19. Jahrhunderts angesichts der durch Aufklärung und Französische Revolution bewirkten Entfremdungs- und Auflösungsprozesse nach einer neuen Synthese zwischen Glauben und Vernunft, Tradition und Modernität, Individuum und Kollektiv. Um die farbenfrohe Vielfalt des traditionellen Lebens mit dem verflachenden Egalitarismus der hereinbrechenden Moderne auszusöhnen, sahen ihre Vorstellungen dabei einen Dritten Weg zwischen Ancien régime und bürgerlicher Gesellschaft vor. Auch die Konservative Revolution steht in dieser Tradition, und bis heute fühlt sich Benoist dieser geistigen Strömung wohl am meisten verbunden. Aber auch anderweitig lassen sich bei Benoist Analogien zu seinen geistigen Vorgängern ziehen: Denn ähnlich wie die romantischen Intellektuellen oder später die konservativen Revolutionäre wächst Benoist in eine Zeit tiefer innergesellschaftlicher Spannungen hinein: 1943 in Tours geboren, ist er ein Kind der Trentes Glorieuses — jener „dreißig glorreichen“ Jahre forcierter Modernisierung, in denen seit 1945 aus dem Bauernland Frankreich eine Industrienation werden sollte: In ihnen gerät das gesamte soziale und kulturelle Gefüge Frankreichs in Bewegung, in ihnen bilden sich in den Städten völlig neue Lebensformen heraus, es verschwinden viele bäuerliche Traditionen; die moderne Massenkultur entsteht, und das einst stolze Bürgertum geht in einer „neuen Mitte“ auf. Es ist jenes Zeitalter der „Nivellierung“, das für Frankreich hereinbricht und unter dem die Philosophen der Romantik bereit gelitten hatten. Alain de Benoist, mütterlicherseits aus einer alten Bauernfamilie stammend und väterlicherseits aus altem Adel, setzt sich schon früh gedanklich dazu in Opposition: Als Kind liest er nicht Alexandre Dumas oder Jules Verne, sondern die Märchen der Gebrüder Grimm und die „Ilias“ von Homer. Es ist die Vielfalt, die ihn magisch anzieht, das spirituelle Universum der Mythen und Legenden — bis heute ist das sein Lebensthema geblieben. Aber vor allem ist es Friedrich Nietzsche, der sein Denken bis heute prägt: Mit 13 Jahren entdeckt er die Schriften des deutschen Philosophen, und fortan begleitet ihn die Idee, daß es das Christentum gewesen war, das den Gedanken der Gleichheit in die Welt brachte — und damit die Unmöglichkeit einer wahren und tiefen Kultur. Sein Paganismus hat darin seinen Ursprung, oft ist er damit mißverstanden worden. Von 1961 bis 1964 studiert Alain de Benoist an der Sorbonne in Paris und arbeitet als Journalist, zuerst bei den Anhängern des Algérie française und später bei den „europäischen Nationalisten“. In den siebziger Jahren ist er Redakteur bei angesehenen französischen Zeitungen wie Valeurs Actuelles, Le Spectacle du monde und Figaro-Magazine. Zugleich entstehen unter seiner Ägide unabhängige Journale, um eine Ideenarbeit frei von allen Zensurvorgaben betreiben zu können: Éléments, Nouvelle École oder Krisis bereichern noch heute die französische Presselandschaft durch ihre unkonventionellen Sichtweisen. Aber vor allem hat er über fünfzig Bücher geschrieben, die in 15 Sprachen übersetzt wurden. Bei aller thematischen Vielfalt vereint sie ein Gedanke: ein alternatives Bild von Mensch und Gesellschaft zu entwerfen und dabei gewohnte Denkansätze hinter sich zu lassen — etwa den Egalitarismus oder die Unterscheidung zwischen Links und Rechts. Alain de Benoist hat dies immer auf besondere Weise getan: Ungeachtet aller Anfeindungen war er stets kompromißlos, neugierig, streitbar und auch bereit, doktrinäre Positionen aufzugeben. „Vom moralischen Standpunkt betrachtet“, sagte er einmal, „liebe ich vor allem den Sinn für Nuancen, die Hingabe des Selbst und die Großzügigkeit. Ich verabscheue nichts so sehr wie geistige Enge, das Ressentiment, das Streben nach dem eigenen Interesse. Die Armut, gemessen an den Nöten unserer Epoche, ist ein großer Reichtum, sagte Epikur. Ich glaube — auf jeden Fall hoffe ich das —, immer einen freien Geist, eine tragische Seele und ein rebellisches Herz bewahrt zu haben.“ Alain de Benoist, der „linke Mann von rechts“ und seit vielen Jahren dieser Zeitung verbunden, begeht am 11. Dezember seinen 65. Geburtstag. Dr. Michael Böhm studierte Politikwissenschaften in Berlin und Lille und promovierte mit einer Arbeit über Alain de Benoist. In der Edition Antaios ist von ihm soeben ein Buch mit einer Einführung in das Werk des französischen Philosophen erschienen (Alain de Benoist. Denker der Nouvelle Droite, Band 10 der Reihe Perspektiven, 160 Seiten, broschiert, 12 Euro)
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