Vor langer Zeit hat der englische Ökonom und Philosoph John Stuart Mill (1803-1873) die Konservativen einmal als „stupid party“ bezeichnet. Manchmal fürchtet man, er lag damit nicht so falsch, zumindest was die heutigen und hiesigen, in der CDU organisierten Vertreter der Spezies betrifft. Deren Angst, im scharfen Widerspruch zur bröckelnden linksliberalen Diskurshegemonie eine niveauvolle, radikale Alternative auch nur zu denken – geschweige denn zu formulieren und selbst gegen Widerstände standhaft zu vertreten -, wird ihnen ab September beim Regieren, wenn es denn zum Wechsel kommt, massiv Probleme bereiten. Jens Jessen hat vor einigen Wochen in der Zeit unter der Überschrift „Wer denkt für die CDU?“ eine Suche nach der konservativen, CDU-nahen Intelligenz gestartet – und ist auf ein gähnendes Nichts gestoßen. Über die Scheu der Konservativen vor dem Konservativen wundert sich auch Johann Michael Möller, stellvertretender Chefredakteur der Welt: „Alle diskutieren über Konservatismus. Nur die Union nicht …“ Selten standen die Chancen so gut, dem siechen Zeitgeist der 68er den verdienten Gnadenstoß zu versetzen, meint Möller. Die 68er haben das Land ökonomisch ruiniert; jetzt wäre die Chance gekommen, die von ihnen geschaffene geistige Wüste moralisch wiederaufzuforsten. Zwar scheint es voreilig und überzogen, wenn Möller „zur Zeit eine konservative Hegemonie“ ausruft, doch mit dem Ende des „Projekts“ von Rot-Grün und der bevorstehenden Verrentung der 68er öffnen sich neue Horizonte. Das sieht auch Mariam Lau im Magazin der Süddeutschen Zeitung so. Deutschlands jungen Konservativen könnte die Zeit für „idyllischen Müßiggang“, den sie in der Vorstellungswelt der 1962 in Teheran geborenen früheren taz-Journalistin zwischen Popkultur und Schinkel-Gemälden der Alten Nationalgalerie pflegten, schneller als gedacht abhanden kommen. „Denn mit ihrem Rückzug ins politische Abseits ist es erst einmal vorbei. Die Zeichen stehen auf Sturm, seitdem die rot-grüne Regierung sich und der Welt ihr Scheitern eingestanden hat.“ Doch wer denkt für die Konservativen? Neben und abseits der Linkspartei auf der einen und den zur Bedeutungslosigkeit verurteilten Rechtsparteien gibt es durchaus auch in Deutschland eine konservative Intelligenz, die mit der nötigen Radikalität daran arbeitet, Alternativen zur real existierenden Bundesrepublik zu entwerfen. Der Konservative hängt ja nicht am Gestern, also an einer Bundesrepublik, die auf den Staatsbankrott zusteuert, sondern er will das Immerwährende bewahren. Und daß Deutschland eine Zukunft hat, mögen Fatalisten bestreiten, nicht aber Konservative. Ohne eine publizistische Plattform bleibt jedoch alles Denken folgenlos. Von um so größerer Bedeutung erscheint daher der Erfolg der vom Institut für Staatspolitik (IfS) herausgegebenen Vierteljahreszeitschrift Sezession (JF 33/05), um die sich die rechte Intelligenz zu sammeln beginnt. Früher gab es einmal Criticón als Flaggschiff der deutschen Konservativen. Wie aber schon Konrad Adam in der Welt bemerkt hat, segelt dieses Schiff ziemlich orientierungslos durch postmoderne See, seit sein Gründer Caspar von Schrenck-Notzing das Ruder abgegeben hat. „Das Unbequeme, Querköpfige und Widerständige ist verschwunden; an seine Stelle ist eine Zeitgeistgerechtigkeit getreten, die damit kokettiert, zwischen Links und Rechts nicht mehr unterscheiden zu können oder zu wollen.“ Heute möchte Criticón unter seinem neuen Herausgeber Gunnar Sohn gern als Wirtschaftsmagazin durchgehen. Nichts gegen solide ökonomische Analysen aus liberaler Perspektive (die britischen Konservativen mußten sich das Denken auch erst wieder von Liberal-Konservativen wie F. A. von Hayek beibringen lassen), aber Criticón bietet eine höchst kuriose Mischung aus gehobenen Aufsätzen und billigen PR-Texten, die keinen anderen Abnehmer gefunden haben. Während Criticón krampfhaft um einen lockeren Tonfall bemüht ist, verfällt Sezession zuweilen in düstere Ernstfall-Rhetorik. Aber wer kann ausschließen, daß dem demographisch implodierenden Deutschland und Europa bald ein bzw. der Ernstfall bevorsteht? Dramatische Überalterung und Schrumpfen der autochthonen Bevölkerung sowie Überlagerung und Überfremdung durch nicht integrierbare Zuwanderer – so beschreibt auch Walter Laqueur im aktuellen August-Heft des Merkur die Verfallslinien des alten Kontinents. Auch wenn Laqueur letztlich optimistisch bleibt, durch „Appeasement“ die absolute Katastrophe eines islamistischen Zusammenpralls abzuwenden, ist eine andere mittelfristige Entwicklung wahrscheinlicher. Deren Stichpunkte lauten: Verteilungskämpfe, ethnisch-religiöse Konflikte, schließlich Zerfall der einstigen europäischen Nationen in rivalisierende Parallelgesellschaften und Bürgerkriegsparteien. Vorher aber müssen die Konservativen den Absprung schaffen: Abspaltung, Sezession, ist ein wichtiges Losungswort für die Zukunft des heimlichen Deutschlands. Foto: Sturm am Ostseestrand von Warnemünde: Mit dem Müßiggang ist es für Konservative vorbei
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