Gerhart Hauptmann äußerte zum „Käthchen von Heilbronn“: „Ein wahres Wunder an Kraft, Anmut und farbiger Volkstümlichkeit.“ Heinrich von Kleist schuf mit dem „historischen Ritterspiel“ das Gegenstück zu seiner „Penthesilea“. Er selbst nannte es „die Kehrseite der Amazonenkönigin, ihren anderen Pol, ein Wesen, das ebenso mächtig ist durch Eingebung als jene durch Handeln“. Stellt die „Penthesilea“ den letalen Geschlechterkampf in den Vordergrund, agiert Käthchen unter Hingabezwang dem geliebten Mann gegenüber. Allerdings weiß sie kraft eines Schicksaltraumes, daß sie mit ihm vereint wird. Das Schauspiel ist im Mittelalter angesiedelt, bietet in seiner Thematik aber modernes Psychodrama. Liebe ist immer Bann, Verzauberung, und nicht nur in vergangenen Zeiten glaubte der Mensch an Geister, Schutzengel, an den Satan. Intendant Manfred Beilharz liefert eine textlich stark geraffte Inszenierung, die sich als glücklich erweist. Kleist ließ in seinem Schauspiel durchaus ironisch-spöttische Gags zu; Beilharz verzichtet nicht darauf. Aus der geschlossenen Ensemble-Leistung stachen natürlich das Käthchen (Anna Maria Kuricova) und Graf Wetter vom Strahl (Sebastian Münster) hervor. Allen gemeinsam ist eine heute so selten zu hörende Sprachkultur. Das karge Bühnenbild (Bernd Holzapfel) zeigt zwei Türen, in der Mitte ein Tor, das sich öffnet und den Blick in undeutbare Landschaft freigibt. Das Femegericht tagt. Waffenschmied Friedeborn aus Heilbronn (Hans Jörg Krumpholz) klagt Wetter vom Strahl an, seine Tochter Käthchen verzaubert, verführt zu haben, wie eine „Hure“ folge sie ihm, wohin er ziehe, ein Satan sei er. Krumpholz gelingt es, Friedeborns Empörung, Verzweiflung und eigener Verstrickung in den Aberglauben eindringlich Ausdruck zu verleihen. Nicht weniger eindringlich weist Strahl die Beschuldigung zurück. Er fordert vom Femerichter (Volker K. Bauer), Käthchen als Zeugin zu rufen. In einem gnadenlosen Verhör bezeugt sie, daß ihr nichts geschehen sei. Strahl wird freigesprochen. Später, allein mit sich, dämmert ihm, daß er Käthchen liebt, aber heiraten kann er sie aus Standesgründen nicht. In der folgenden turbulenten Handlung treten unter anderen auf: die schöne Kunigunde von Thurneck (Hanna Jürgens), ihr rachsüchtiger verschmähter Verlobter Rheingraf vom Stein (Volker Braun), Gräfin Helena, die Mutter Strahls (Ulrike Gubisch). Strahls Knecht Gottschalk (Benjamin Krämer-Jenster) wird Szenenapplaus zuteil. Ein Racheakt des abgewiesenen Verlobten Kunigundes läßt ihre Burg Thurneck in Flammen aufgehen. Die aus dem Gemäuer entflohene Kunigunde vermißt ein ihr wertvolles Futteral. Käthchen hastet in die brennende Burg, um das Wertstück für Strahls Braut zu retten. Glücklich soll er werden, es ist ihre Form unselbstsüchtiger Liebe. Strahl will ihr nach. Kunigunde hält ihn zurück. Was liegt ihm an dem Mädchen? Sie wird sterben. Die Burg stürzt ein. Aus den schwelenden Trümmern steigt Käthchen herab, hinter ihr, nur schemenhaft wahrnehmbar, ihr Schutzengel. Er bleibt zurück, vergeht in den Rauchschwaden. Stille! Wer jetzt nicht an Schutzengel glaubt, verdient keinen. Und der Schutzengel greift noch einmal ein. Er vereitelt einen Giftanschlag Kunigundes, die Käthchen als Rivalin aus dem Wege räumen will. Käthchen hat Kunigunde in der Grotte baden sehen. Die Schönheit Kunigundes ist bloßes Kunstprodukt aus Kosmetika, Perücke, Ersatz- und Stützteilen. Die Entdeckte kreischt, ihre sonst schmeichelnde Stimme gleicht klirrenden Eiswürfeln. Beilharz flicht eine dem Publikum kaum zugängliche Szene ein: Vor Kunigunde schleicht eine ins Badetuch gehüllte, kahlköpfige, schiefe Frauengestalt – zu deuten wohl als ihr Alter ego. Finale: In Anwesenheit des Hofes gibt der Kaiser (Uwe Kraus) dem Grafen Strahl Käthchen zur Frau. Er hat sie zur Prinzessin von Schwaben erhoben. In der vorher stattfindenden nächtlichen Szene bekannte sich der Kaiser zu Vaterschaft. Als Beweis diente ihm ein Amulett, das er in seliger Nacht einer kurzen Liebe schenkte, des Heilbronner Waffenschmiedes Ehefrau. Es weist Käthchen als Eigentümerin aus. Diese Szene ist eine Solo-Szene. Der Kaiser führt ein bekennendes Selbstgespräch. Leider deklamiert Uwe Kraus ins Publikum. Ein Selbstgespräch stellt man sich leiser, verhaltener vor. Alles in allem: eine eindrucksvolle Inszenierung deutscher Dichtung. Langer Applaus, viele Bravo-Rufe. Die nächsten Aufführungen im Hessischen Staatstheater Wiesbaden, Christian-Zais-Str. 3, finden statt am 12., 19. und 27. Oktober. Tel: 06 11 / 132-1
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