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Thilo Sarrazin, Deutschland auf der schiefen Bahn, Langen Müller Verlag

Parade der Terroristen und Kannibalen

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Die Kritische Theorie der Frankfurter Schule ist das gründlichste Antiaphrodisiacum, das sich denken läßt. Wegen ihrer fraglosen Radikalität als Ideologie der herrschenden Charaktermasken völlig ungeeignet, bringt sie die zwingend aus der Logik der Aufklärungs-Moderne stammenden Propagandatricks von „Freiheit und Gleichheit“ zielgenau auf den Punkt: Der Kern unserer Freiheit ist der, daß wir uns unsere Unfreiheiten selbst aussuchen können. Sich mit der Aufklärungskritik von Horkheimer und vor allem von Adorno auseinanderzusetzen, bedeutet daher sich darüber klar zu sein, daß Vernichtungswahn und Gewaltexzesse keine aus der Urgeschichte des Menschen hervorbrechenden Atavismen sind, sondern genuine Produkte der Moderne, begangen von solch logischen Subjekten der Aufklärung wie Stalin und Hitler oder Bush und Saddam. Denn im Windschatten der Vermüllung bürgerlicher Subjektivität, aus der die Aufklärung und die Geschichtsmetaphysik der Moderne hervorgingen, lauerte immer schon das Dunkelmännertum der sogenannten Humanität mit seinen Werten von Freiheit, Gleichheit und Menschenrechten. Ob also serbische und albanische Killerbanden sich gegenseitig die Bäuche aufschlitzen, islamistische Hobbypiloten ins World Trade Center fliegen, um sich selbst und ein paar tausend ahnungslose Menschen ins Jenseits zu befördern, tschetschenische Terroristen Moskauer Theaterbesucher als Geiseln nehmen, auf Bali harmlose Urlauber in die Luft gesprengt werden oder hochdekorierte Militärs den Befehl zur Bombardierung Belgrads und Bagdads oder zur Zerstörung palästinensischer Häuser geben, immer sitzt die Aufklärung mit am Tisch und verkündet mit stolzgeschwellter Brust: „Ich war, ich bin, und ich werde sein!“ Anders als die proletarische Revolution ist die Aufklärung aber offenbar nicht totzukriegen. Und so führt von den kleinen Scheißerchen solch massenmedial inszenierter Artefakte wie den diversen Love-, Gay- und sonstigen Hit-Paraden auch ein direkter Weg zur augenblicklichen Nummer eins der medienkompetenten Informations- und Kulturarbeiterklasse, dem „Kannibalen von Rotenburg“, jenem alltagsexzentrischen Mitglied der Zivilgesellschaft, das im Gegensatz zu den erstgenannten sozialästhetischen Tabubrechern aber wenigstens in der Öffentlichkeit Contenance beweist und bei der Mahlzeit nicht kleckert. Die Erkenntnis des Zusammenhangs von Aufklärung, Aufklärungskritik und Gegenaufklärung ist spätestens seit Horkheimers und Adornos „Dialektik der Aufklärung“ kein Geheimnis mehr. Daß Terror und Gewalt nur die Kehrseite der aufgeklärten Gesellschaft und ihrer ach so humanen Zivilisation sind, die es fertiggebracht hat, in den letzten dreißig Jahren zehn Millionen ungeborene Kinder zu jener Prüfung, die das Leben darstellt, erst gar nicht zuzulassen, hat sich indes noch nicht überall herumgesprochen. Bis heute ist weder in der radikalen Linken noch in der intellektuellen Neuen Rechten das Aufklärungsdenken auch nur ansatzweise überwunden. Selbst gestandene Konservative erschrecken vor der Erkenntnis, daß der Nationalsozialismus und Auschwitz Resultate der Aufklärung und authentische Produkte der Zivilisation sind – ein Faktum, das für Horkheimer und Adorno völlig selbstverständlich war. Das notwendige Umschlagen von Aufklärung in Barbarei und der Nachweis, daß Aufklärung immer und überall in Herrschaft verstrickt ist, führte zwar zur pessimistischen Wende der Kritischen Theorie, aber auch zu der Überzeugung, daß als letztes Ergebnis dieser Entwicklung nur noch der Positivismus oder als Alternative die Flucht in die Esoterik und damit in die Resignation bleibt. Das bedeutet freilich das Ende jeglicher gesellschaftlichen Ordnung und damit auch jeder Gesellschaftskritik. Dennoch ist es richtig, daß man mit dem Fortschrittsoptimismus der Aufklärung radikal brechen muß, auch wenn sich daraus zwangsläufig ein totaler Pessimismus ergibt, der schließlich irgendwann in die Gegenaufklärung mündet. Um diesem Dilemma zu entgehen, hatten die „Frankfurter“ die Verschränkung von Vernunft und Irrationalismus bewußt nicht zu Ende gedacht und blieben so letztlich im Aufklärungsdenken befangen. Immerhin war man sich darüber klar, daß die Aufklärung an ihrem eigenen totalitären Anspruch scheitern mußte, wie Horkheimer und Adorno am Beispiel de Sades und Nietzsches und der anderen „dunklen Schriftsteller des Bürgertums“ nachwiesen. Das gipfelte schließlich in Kants Anrufung der Natur: „Der Mensch will Eintracht; aber die Natur weiß besser, was für die Gattung gut ist: sie will Zwietracht“, und war der Sieg des konservativen Realitätsprinzips über die Saturiertheit und den Moralismus der Aufklärung, deren zwingende Konsequenz letztlich der Positivismus ist. „Nicht um die Konservierung der Vergangenheit, sondern um die Einlösung der vergangenen Hoffnungen“ war es Horkheimer und Adorno daher bereits in der Vorrede zur „Dialektik der Aufklärung“ zu tun. Hier gilt es anzusetzen, will man nicht in Versuchung geraten, die Spaßgesellschaft mitsamt ihrem kruden Fetischismus und grellen Kommerz, die keine Scham und kein Tabu mehr akzeptiert, als zivilisatorische Errungenschaft gegen böse Islamisten oder andere vom Weltmarkt ausgespuckte Figuren zu verteidigen. Dem realen Dasein als nützlicher Idiot der Aufklärungsmoderne zu entkommen – und sei es mit Hilfe der Kritischen Theorie – gehört damit zu den vornehmsten Pflichten. Zwar ist die KT kein alternatives, umfassendes Wertesystem, das auf festen ethischen Werten beruht, aber ihr theoretisches Niveau ist wirkmächtig genug, um den aufgespreizten Schlendrian der heutigen Medien- und Kulturphilosophie, die inzwischen jeglichen kritischen Akzent eingebüßt hat, in seine Schranken zu weisen. Sie zu rezipieren heißt auch, reflektierendes Denken zu kultivieren, die ökonomische Reduktion von Kultur zum Flachsinn der Kulturindustrie mit ihren popkulturellen Imaginationen zu durchschauen und die gezielte Meinungsmanipulation in den Massenmedien zu erkennen. Horkheimer und Adorno waren weit mehr als bloße Kritiker der angeblich restaurativen Epoche der fünfziger und frühen sechziger Jahre. In der „Negativen Dialektik“ , seinem persönlichsten Werk, hat letzterer sein Leiden an einer geschichtlich nicht erlösten und letztlich auch nicht erlösbaren Welt bekannt. In der Kälte, dem „Grundprinzip bürgerlicher Subjektivität“, sah er jenen Zerstörungsgrad angelegt, der unter Abtötung aller Gefühlsintensitäten per Knopfdruck die Sättigung aller Sinne bis zur äußersten Selbstzerstörung garantiert. Alles, was er an der Aufklärungsmoderne verachtete, wovor ihn schauderte – von der Politik des Spektakels über die Dumpfheit der massendemokratischen Gesellschaft bis zum Spektakel der Politik – gehört zu jenen Dingen, die auch Konservative aus tiefstem Herzen verabscheuen. Darüber lohnt es sich nachzudenken.

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