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Nur der Kunst zuliebe

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Unwort, Umfrage, Alternativ

Wo sich tausend Jugendliche bewerben, ein Zehntel in die engere Auswahl kommt, es neun letztlich schaffen und wiederum nur vier davon zu kleinen Stars werden, da liegt assoziativ der Gedanke an ein neues Deutschland sucht den … nahe. Andreas Veiels Dokumentarfilm „Die Spielwütigen“ jedoch bewegt sich auf anderem Niveau. Veiel, den vor vier Jahren der Kinofilm „Blackbox BRD“, ein dokumentarisches Doppelporträt über den Terroristen Wolfgang Grams und das Terrorismus-Opfer Alfred Herrhausen bekannt gemacht hatte, hat über sieben Jahre hinweg Schüler der renommierten Hochschule für Schauspielkunst in Berlin-Schöneweide begleitet. Von deren Bewerbung im Jahre 1996 bis zu ihren ersten Jahren nach Absolvierung des Studiums dokumentiert er den künstlerischen – gespiegelt durch den privaten – Werdegang von Constanze, Karina, Stephanie und Prodromos. Am Anfang steht das Gespräch mit den ambitionierten Hobbyschauspielern, fast Kindern noch, und ihren Eltern im heimischen Wohnzimmer. Da ist noch gar nicht klar, wer die anspruchsvolle Aufnahmeprüfung überhaupt schaffen würde, daher waren es anfangs zwanzig Jugendliche, die Veiel filmte. Knapp 250 Stunden Filmmaterial wurden schließlich auf hundertacht Minuten geschnitten. Man sieht biedere Elternhäuser, proletarische und aufgeklärte, einen Vater, der die Tochter gern in „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ sehen würde und das Augenverdrehen der Kleinen nicht begreift, ein Elternpaar, das einen soliden Bürojob für das angemessenere Berufsziel hält, oder „wenigstens Journalismus oder so was, wenn sie sich schon irgendwie kommunizieren will“. Die Tochter genervt: „Es geht nicht um Kommunikation, das sagte ich doch, mir ging es immer nur um Kunst!“ Die Aufnahmeprüfung, die von den künftigen Schülern einen selbstgewählten dramatischen Monolog und eine Gesangsdarbietung verlangt, zeigt, daß oft weniger ein hehres Kunstideal die Motivation ist denn ein jugendlicher Ausdruckswillen: die Selbstdarstellung. Und so senkt sich der Daumen der Prüfer und Dozenten häufiger, als er nach oben weist. Für Stephanie Stremler, die naive, fast farblose Blonde, ist dies die erste Absage, der noch fünfunddreißig weitere folgen. Ein Sprachfehler, dazu Koordinationsstörungen werden ihr attestiert. „Komisch“ findet sie das, grinst lieb in die Kamera und gibt nicht auf, bis man sich ihrer erbarmt, wie es scheint, und sie aufnimmt. In der Folge der Ausbildung ist sie fast ausnahmslos auf Neben- und „Zuguckrollen“ abonniert – heute, so zeigt es der Film am Ende, werden am Staatstheater Kassel Hauptrollen mit ihr besetzt. Constanze Becker und Prodromos Antoniadis, der bärige Grieche mit Halbglatze, starten selbstbewußter und mit den typischen Floskeln der Selbstbeschau von Einser-Abiturienten. Das harte Studium, in dem Können vor Wollen steht, wo bisweilen ein unerbittlicher Ton und nie zufriedene Schauspiellehrer herrschen, wo ein Dozent mit den Worten „Jetzt mal mit Talent!“ die Probe unterbricht, verändert auch diese „Spielwütigen“, läßt sie alle an den Rand der Selbstaufgabe geraten, gießt ihren zunächst amorphen Ausdruckswillen in Formen. „Inwieweit geht es hier darum, jemanden zu brechen?“ fragt der sture Prodromos den Dozenten, der ihm ein negatives Prüfungsergebnis mitteilt – und dies nur aufgrund mangelnder Selbstkritik statt wegen ungenügender Leistung. Veiel kommentiert nichts, eine Stimme aus dem off gibt es nicht, ausdrucksstarke Bilder und Szenen werden montiert und lassen am Ende eine Art Psychogramm entstehen, das sicher nicht frei von Exhibitionismus ist. Dies bleibt der einzige Kreuzungspunkt mit Big Brother, Superstar und ähnlichen Formaten. Daß dieser Dokumentarfilm mit der Dramaturgie eines Entwicklungsromans auch solche Zuschauer fesseln kann, die nicht ausgewiesene Theaterfreunde sind, hat dem Regisseur auf der diesjährigen Berlinale den Panorama-Publikumspreis beschert – wobei einzelne Kritiker den „Spielwütigen“ gar den Goldenen Bären gegönnt hätten. Foto: Stephanie Stremler probt 1996 im Bodensee das „Gretchen“

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