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Gesang im Sperrbezirk

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Es gibt also doch noch Mittel und Wege für die Komische Oper in Berlin, vor ausverkauftem Haus zu spielen. Daß man dazu Señor Calixto Bieito benötigt, ist zwar vielleicht weniger erfreulich, aber da in Mozarts Serail ohnehin schon genug getobt worden ist, ist wohl auch das zu verschmerzen. Zumal ein subventioniertes Haus nicht nur von Steuergeldern, sondern wenigstens zu einem geringen Teil auch von Eintrittskarten leben darf. Nachdem schon von der letztjährigen Salzburger Festspiel-Inszenierung der Mozart-Oper nicht einmal der englische Thronfolger amused war, zeigt nun der fröhliche Spanier Bieito, wie lustig es im Serail zugeht. Geschrieben und gezetert wurde genug in der für vermeintliche Skandale stets anfälligen Hauptstadt-Presse. Halten wir uns also nicht mit weiteren Interpretationen auf, sondern geben eine Zustandsbeschreibung, bei der es sich – Obacht! – nicht um Satire handelt.
Das Serail ist ein Freudenhaus, Bassa Selim ein ziemlich gereizter Mensch, der schlägt, tritt, böse Sätze von sich gibt und mit dem alten Haudegen Guntbert Warns vom einstigen Schiller-Theater bestens besetzt ist. Die beiden Damen Konstanze und Blonde sind Zwangshuren in diesem gewalttätigen Haus, in dem die Frauen in Glaskästen sich anpreisen dürfen. Das ist auch schon das gesamte Bühnenbild (Alfons Flores), und man kann nur hoffen, daß die Kosmetikfirmen, deren Werbung mannshoch in den Kabinen aufgestellt wird, auch viel an die Komische Oper bezahlt haben. Den Damen geht’s übel, sie werden eifrig mißhandelt und singen trotzdem prächtig. Osmin ist ein Lude vor dem Herrn, zeitweilig auch mal nackt, singt aber trotzdem – immerhin. Schließlich die Retter Belmonte und Pedrillo. Ersterer muß zum Transvestiten werden, um überhaupt Einlaß zu bekommen. Letzterer ist schon als männliche Putzfrau im Etablissement angestellt. Es wird viel gewütet und Dinge verrichtet, über die des Kritikers Höflichkeit schweigt. Aber immerhin merkt man nach über zwei pausenlosen Stunden, wie langweilig imitierter Sex auf die Dauer sein kann. Einige im Publikum, wenigstens einige, scheint denn doch einiges zu beunruhigen. Zumal wenn Bassa Selim der schon sichtlich angeschlagenen Konstanze von Handlungen erzählt, die sie mit einem eigentlich als Schlachtvieh bekannten Tier ausrichten soll, sind einige Herren aus dem Zuschauerraum mit Hüsteln oder auch mit ziemlich unverständlichen Rufen zu hören. Ansonsten gibt man sich abgeklärt. Für die vorzeitig davoneilenden Zuschauer sind eigens Schließerinnen an den Ausgängen postiert, um diesen einen möglichst lautlosen Abgang zu gewähren. Wo so viel Gewalt herrscht, gibt’s natürlich keine selige Versöhnung, sondern nur wieder Gewalt. Konstanze erschießt am Ende den Bassa und richtet sich selbst. Wer den luxuriösen Vergnügungstempel fortführen soll, wird am Ende der Aufführung nicht bekanntgegeben. Bieito gilt als Provokateur, wobei denn doch die Reaktionen im Publikum sehr betrüblich, gar überwiegend von begeisterter und kaum von protestierender Art, sind. Wegen seiner jesuitischen Ausbildung leidet er offensichtlich unter einem libidinösen Überdruck, weshalb seine Arbeiten psychologisch gesehen durchaus entschuldbar sind. Die Zwischenrufe halten sich so in Grenzen, daß gar so etwas wie Interesse für die Musik aufkommt. Auch wenn manche die Oper offensichtlich nicht gewohnt, aber als Adabeis schnell zu Karten gekommene Zuschauer bei Koloraturen ins Lachen kommen, wenn unter anderem ins Höschen gefaßt wird, glückt die musikalische Seite trotzdem zum größten Teil. Kirill Petrenko behält im Gefühlschaos mit seinem Orchester kühl die Oberhand, gewinnt merklich an Tempo, trumpft an vielen Stellen auf, kammermusikalische Töne gehen dabei mitunter verloren. Unter allzu viel Aktionismus haben die Stimmen der Sänger mitunter zu leiden. Dennoch sind es angemessene Leistungen, die selbst der Regisseur nicht hat verhindern können. Vor allem Maria Bengtsson als sorgfältig und stets dezent intonierende Konstanze und Finnur Bjarnason als ausgeglichener Belmonte lassen einiges zu hören übrig. Von dem, was es zu sehen gab, haben nicht alle viel gehalten. So waren etwa die Sponsoren der Sindelfinger Automobil-Firma nicht erfreut und haben die Streichung ihres Geld-Zuflusses an die Komische Oper angekündigt. Aber Intendant Andreas Homoki kann, wie er auf einer Pressekonferenz sagte, auch damit leben. Was braucht ein Opernintendant schon Sponsoren, wenn er es mit so großzügigen Steuerzahlern zu tun hat. Die nächsten Aufführungen in der Komischen Oper Berlin, Behrenstr. 55-57, finden statt am 1., 12., 16. und 27. Oktober, jeweils um 19 Uhr. Info: 030 / 202 60-0 Foto: Bassa Selim und Konstanze

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