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Pankraz, Martin Walser und die Sprache im Nichts

Pankraz, Martin Walser und die Sprache im Nichts

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Pankraz, Martin Walser und die Sprache im Nichts

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Einen ansehnlichen Stein hat Martin Walser in den Froschteich der Sprachphilosophie geworfen, als er – in einem Vortrag an der Uni Heidelberg – scharf zwischen lebendiger "Sprache" und totem, festgeronnenem "Vokabular" unterschied. Er wollte sich damit gegen gewisse, in führenden Medien untergebrachte Sprachfeldwebel wehren, die über die "Political Correctness" wachen und dem Schriftsteller ideologische Abweichungen vorgeworfen hatten, "Neuheidentum", Hinneigung zu den alten Germanen, "Polytheismus", gar "Antisemitismus".

Walser zeigt in brillanter Weise, daß die Sprachfeldwebel gewissermaßen sprachlos sind. Sie denken nicht mehr in Sprache, sondern fuchteln nur noch mit vorgefertigten Worthülsen, eben mit Vokabular, herum, und zwar in unedler, denunziatorischer Absicht. Der von ihnen Attackierte wird nicht etwa zum Dialog aufgefordert, er soll im Gegenteil mittels Vokabular aus jeglichem Dialog ausgeschlossen werden. Vokabular ist hier pures Herrschaftsinstrument, mit dem man unbequeme Dialogpartner symbolisch totschlägt.

So überzeugend Walsers Philippika gegen diese Art von "Diskurs" gerät, die scharfe, allzu scharfe Trennung zwischen Sprache einerseits, Vokabular andererseits bereitet Pankraz Unbehagen. Zwar räumt Walser selbst ein, daß es neben purem Herrschafts-Vokabular noch andere, "dienende" Vokabulare gebe und daß diese hochwillkommen seien, in der Medizin zum Beispiel, in der Pädagogik, aber das Unbehagen wächst dadurch nur. Wo hört die Dienstbarkeit auf, wo fängt die Herrschaft an?

Ein Lehrer, der seine Studenten mit traditionellen und unbezweifelbar nützlichen Vokabularen bekannt macht, gewinnt, wenn er seine Sache einigermaßen versteht, auch Herrschaft über sie. Mitgelieferte Warnungen, dem angebotenen Vokabular nicht zu trauen, es mit eigenen Sprachspielen zu konfrontieren, stören da nur. Die jugendliche Lernbegeisterung will zunächst mal klare Tatsachen, mit denen sich operieren und üben läßt. Das eigene Sprachspiel tritt in der Regel sehr viel später hinzu, gilt dann erst einmal der vorsichtigen Erweiterung des Meistervokabulars. Zunächst ist man Adept, "Anhänger", und der Lehrer freut sich darüber. Ist das schon Deformation, Feldwebelei?

Adepten, Anhänger, hochentflammte Meisterschüler gibt es nicht nur in der Medizin, sondern auch in jenen Bereichen, die Walser von der Dienstbarkeit abhebt und in denen er Herrschaft ausmacht, in der Religion, in der Philosophie, in den Morallehren. Wunderbare, die Zeiten verbindende Meister-Schüler-Verhältnisse stellen sich dort ziemlich oft ein, es ist ein Staffettenlauf, der Stab wird von einer Generation zur anderen weitergegeben, und nur so entsteht Kultur.

Natürlich kann man die Meisterlehren Vokabular nennen, doch der leise verächtliche Ton, der dabei mitschwingt, ist gänzlich unangebracht. Auch das ur-eigendste, scheinbar gänzlich der persönlichen Erfahrung verdankte Poeten-Sprachspiel ist von überkommenen, Ordnung stiftenden und Glanz verbreitenden Vokabularen abhängig, auch wenn die Dichter das nicht gern wahrhaben wollen. Was bleibt, stiften keineswegs nur die Dichter, auch die Forscher und die Grammatiker, die Sophisten und Methodiker sind daran beteiligt, ganz zu schweigen von der prägenden Kraft der Volkssprache, die sich spontan durchsetzt und deren Vokabular das originellste und dauerhafteste ist.

"Die Sprache selbst spricht", hat Heidegger den Prozeß der Herausbildung von Vokabularen genannt. Dichter dürfen schon stolz sein, wenn dies und das aus ihrem Werk in diesem Prozeß mitmischt oder gar – höchstes der Gefühle – für einen merkbaren Zeitraum in das allgemeine kulturelle Vokabular Eingang findet. Leider sind die meisten Dichter (oder jene, die sich dafür halten) nur semantische Augenblicksknaller, die zudem noch regelmäßig danebenschießen, d. h. ihre Privatsprache und ihre Privaterfahrung lassen die Leute vollkommen kalt, ihre Formulierungen verpuffen im Nichts.

Mit einer geradezu existentialistischen Wendung bekennt sich Walser am Ende seines Heidelberger Vortrags zu diesem Nichts, obwohl er es für sein Teil doch gar nicht nötig hat. "Sprache ist erfahrbar", sagt er, "Vokabular verstehbar. Sprache spricht Existierende an, Vokabular ist adressiert an Wissende … Wenn ich mit Sprache zu tun habe, bin ich beschäftigt mit der Verwaltung des Nichts. Meine Arbeit: etwas so schön sagen, wie es nicht ist."

Hier macht sich einer nun wirklich kleiner, als er ist; die Feldwebel werden kichern. Sie überziehen Walser doch gerade mit ihrem Zensur-Vokabular, weil sie gemerkt haben, daß er nicht schönredet, daß er weder ins Nichts hineinstarrt noch hineinruft, sondern über gegenwärtige Vokabulare eine Menge zu sagen hat und von seinen Lesern durchaus verstanden wird. Diese sind gerade dabei, gewisse, für Herrschende unbequeme Schlußfolgerungen daraus zu ziehen. Was sollen da die defensiven Töne?

Soll etwa signalisiert werden, daß er, Walser, harmloser ist, als er seinen Aufpassern vorkommt? Daß er nicht im Traum daran denkt, ihr repressives Vokabular auch nur von ferne in Frage zu stellen? Daß er ihnen klaglos das Feld des Wissens überläßt, wenn sie ihn nur weiter ungestört seine Erfahrungen machen lassen?

Das wäre schon deshalb bekümmerlich, weil sich Wissen und Erfahrung gar nicht säuberlich voneinander trennen lassen, sowenig wie Sprache und Vokabular. Wer etwas erfährt, der weiß auch etwas. Mehr weiß er als jene, die immer nur mit vorgefertigten Vokabularen herumhantieren und sich dabei herrscherlich aufplustern. Keine Sprache taugt so zur Bildung von kulturellen Vokabularen wie die, die mit Erfahrung gesättigt ist. Und kein Vokabular taugt etwas, das sich nicht von Anfang an mit konkreter Erfahrung auflädt und sich von ihr immer wieder Rat holt.

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