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Die Entpudelung des Kerns

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Weihnachts-Abo, Weihnachtsbaum, Zeitungen

In den vergangenen Monaten läutete für die letzten noch verbliebenen konservativen Zeitschriften das Sterbeglöcklein. Den Spätling Gegengift (in der Pfaffenhofener Version) traf es genauso wie das seit 1969 erscheinende Deutschlandmagazin, nach dem kurzlebigen student das älteste Glied in der Zeitschriftenkette. Was machte ein Dutzend unterschiedliche Organe zu einer Gruppe? Jede Zeitschrift stand für sich, doch die Mitarbeiter waren oft die gleichen, und der Versuch, dem herrschenden geistigen Klima in der Bundesrepublik etwas entgegenzusetzen, war allen gemeinsam. Die Studentenrevolte um 1968, ein Sieg der transatlantischen Pop- und Medienkultur über die nicht mehr taufrische abendländische Hochkultur, hatte einen do-it-yourself-Reflex ausgelöst. Einzelne wollten nicht mehr warten, bis die weit besser gerüsteten Verlage, Universitäten und Parteien sich rührten. Mit gutem Grund, doch auf dem organisatorischen Felde nicht eben förderlich. So mußten die Herausgeber selbst für den Vertrieb ihrer Blätter sorgen. Die Decke blieb zu kurz, finanziell, organisatorisch und personell. Nur die „Herderbücherei Initiative“ (1974-1988) hatte einen etablierten Verlag gefunden, der so etabliert war, daß er eines Tages die Taschenbuchzeitschrift einstellte und dem 49jährigen Herausgeber Gerd-Klaus Kaltenbrunner die Plattform entzog. Seit den Tagen der „Tendenzwende“ (1973 ff.) – die Helmut Kohl zur „Wende“ (1982) verhunzen sollte, als er die versprochene „geistig-moralische Erneuerung“ mit den Geschäftsinteressen von Leo Kirch verwechselte – war Kaltenbrunner der Kopf der Konservativen gewesen. Nun zog er sich zurück. Was den Konservativen am meisten fehlte, war der öffentliche Rückenwind, die fortune. Doch war ein solcher Rückenwind unter dem Kräfteverhältnis der „Asymmetrie“, das in Deutschland seit der Zäsur von 1960 (vgl. C. Albrecht, Hg.: Die intellektuelle Gründung der Bundesrepublik) die Publizistik beherrschte, überhaupt denkbar? Nun liegt die erste Nummer der Vierteljahresschrift Sezession auf dem Tisch. Ein neuer publizistischer Anlauf hat begonnen. Jährlich sind zwei Themenhefte und zwei thematisch nicht gebundene Hefte der vom Institut für Staatspolitik (siehe Infokasten) herausgegebenen Publikation geplant. Der Name der Zeitschrift enthält schon ihr Programm (lat. secessio: Absonderung, Beiseitegehen, Trennung). Die Herausgeber wollen nicht ins allgemeine, verunsicherte Reden einstimmen, nicht noch eine Meinung zum Besten geben, sondern schnurstracks zur Sache kommen. Im Nachlaß von Carl Schmitt, so liest man im Aufsatz „Freund oder Feind. Zur Aktualität von Carl Schmitt“ von Erich Vad, findet sich ein Programmheft der Evangelischen Akademie Berlin mit einer spöttischen Randbemerkung des Staatslehrers und großen Stilisten: „Entkernung des Pudels durch Verpudelung des Kerns“. Die selbstgestellte Aufgabe der Sezession läßt sich auch als Entpudelung des Kerns definieren. Die äußere Form korrespondiert mit dem Ziel: ein besonders handliches Format, ein übersichtliches Layout, ausgewählte Literaturangaben auf dem breiten Rand der einspaltigen Artikel, der zweispaltige Berichtteil und der dreispaltige Buchbesprechungsteil pointiert und nicht überladen. Nur die Illustration ist nicht optimal, wirkt teilweise plump, ja propagandistisch. Das Thema der ersten Nummer heißt „Krieg“. Das Editorial des Historikers und Inspirators der Sezession, Karlheinz Weißmann, beginnt mit den Worten: „Der Ernstfall hat den Vorzug, die Tatsachen deutlicher hervortreten zu lassen.“ Im Mittelpunkt steht ein Interview mit dem inzwischen auch in Deutschland recht bekannten israelischen Militärhistoriker Martin van Crefeld über die Themen Irak, Low intensity war, Bundeswehr, Freiheit und Krieg. Eine faszinierende Lektüre, weil Crefeld nicht nur ein Spezialist für die neuen Kriegsformen ist, sondern auch für Verdeutlichung durch überfallartige Zuspitzungen, statt durch pedantische Erklärungen, eine Stilform die gut zur Sezession paßt. Dem Interview vorangestellt ist Klaus Hammels Einführung in das Werk Martin van Crefelds, vor allem in seine Bücher „Die Zukunft des Krieges“ und „Aufstieg und Untergang des Staates“. Der Hauptartikel „Krieg – nur eine Erfindung“ stammt von Karlheinz Weißmann. Wer mit Margaret Mead glaubt, der Krieg sei „nur eine Erfindung“, das Ergebnis von Vorurteilen, ökonomischen und anderen Interessen, hofft, daß sich diese Ursachen durch Information und Diskurs auflösen lassen. Van Crefeld sagt jedoch in seinem Interview: „Den Krieg zu überwinden bleibt ein menschlicher Traum, und im Gegensatz zu Moltke sage ich, sogar ein schöner Traum. Aber ich erkenne, der Krieg gehört nun einmal zu unserem Wesen und kann deshalb nicht herausgeschnitten werden.“ In die Zukunft des Krieges, die schon Gegenwart ist, führt Gebhard Geiger, Verfasser eines Buches über „Sicherheit der Informationsgesellschaft“. Im Oktober 1998 erließ der US-amerikanische Generalstab eine „Joint Doctrine for Information Operations“, die festlegt, daß die amerikanischen Streitkräfte informationstechnische Angriffe gegen fremde, zivil oder militärisch genutzte Informations- und Kommunikationssysteme sowie elektronisch gespeicherte oder übermittelte Daten führen werden, wo und wann immer dies zur Durchsetzung der US-Interessen opportun erscheint. Die globale offensive Informationskriegsführung wurde inzwischen durch eine Weisung von US-Präsident Bush ergänzt, die dem Unternehmen den Namen „total information awareness“ verleiht. Verfasser von Totalitarismusaufsätzen sollten sich das Wort „total“ zur allfälligen Verwendung notieren. Auch der Carl-Schmitt-Beitrag führt in die Gegenwart des neuen Krieges. Erich Vad zitiert Schmitt mit den Worten: „Wir wissen, daß heute der schrecklichste Krieg nur im Namen des Friedens, die furchtbarste Unterdrückung nur im Namen der Freiheit und die schrecklichste Unmenschlichkeit nur im Namen der Menschheit vollzogen wird.“ Die neue Zeitschrift hat sich eine schwierige Aufgabe gestellt, mit der – so ist zu hoffen – auch ihre Kräfte wachsen. Ob darüber hinaus der nötige Rückenwind sich einstellt, liegt nicht in ihrer Macht. Auf jeden Fall wird der Leser, der sich auf sie einläßt, an selbständigem Denken gewinnen. Bild: „Die Zeitung“, Lithographie nach Johann Peter Hasenclever (1810-1853): Faszinierende Lektüre Caspar Frhr. von Schrenck-Notzing , Jahrgang 1927, gründete 1970 die Zeitschrift „Criticón“, deren Herausgeber er bis 1998 war. Er ist Autor mehrerer Bücher, darunter „Charakterwäsche – Zur Politik der amerikanischen Umerziehung“. Zuletzt gab er das „Lexikon des Konservatismus“ (Leopold Stocker Verlag, 1996) heraus.

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