So konnte es nicht weitergehen in Europa. Dieser Eindruck war verbreitet, als vor siebzig Jahren das Frühjahr 1943 heraufdämmerte und man auf zwei vernichtende deutsche Niederlagen zurückblickte. In Stalingrad und in Nordafrika hatten vor kurzer Zeit zwei deutsche Armeen kapitulieren müssen. Die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion standen demnach vor dem Einmarsch in Europa. Unter diesen Umständen hatte es sich endgültig herumgesprochen, daß Deutschland Unterstützung brauchte.
Der frühere rumänische Außenminister Gafencu, mittlerweile im sicheren Schweizer Exil ein gefragter Analytiker der europäischen Szene, sah die kommenden Dinge schon seit längerer Zeit festgelegt und legte im Mai 1943 publizistisch mit Blick auf die letzten Monate nach:
Unabhängigkeit des Kontinents gegenüber den Weltmächten
„Deutschland fühlte, daß es bald zur Verteidigung übergehen müsse. Es fühlte auch, daß es sich nicht allein verteidigen könne. Der Name Europas tauchte aus der Vergessenheit auf. Er wurde mit immer mehr Nachdruck ausgesprochen. Dies ist das entscheidende Ereignis der letzten Zeiten. Noch ehe das Schicksal des Krieges endgültig geregelt ist, bestimmt es im vorhinein den Sinn des Friedens.“
In diesen Worten steckte die Erwartung, durch eine europäische Zusammenarbeit könnte in einer Friedensregelung die Unabhängigkeit des Kontinents gegenüber den Weltmächten sichergestellt werden. In der Tat dachte man wenigstens im deutschen Außenministerium in die gleiche Richtung und legte just zu dieser Zeit einen Europaplan vor, der in erster Linie einmal Sicherheitsgarantien für die Unabhängigkeit der europäischen Staatenwelt vorsah.
Irgendwelche Ängste, „daß sofort nach Kriegsende ein Gauleiter bei ihnen eingesetzt wird“, müßten beseitigt werden, ließ Außenminister Ribbentrop den Staats- und Parteichef wissen. Dann sei vielleicht eine europäische Einheitsfront gegen die außereuropäischen Mächte möglich.
Momentaufnahme ohne unmittelbare politische Folgen
Daraus wurde schon deshalb nichts, weil Hitler jeden Schritt dieser Art ablehnte und fast gleichzeitig in einer wüsten Rede vor den Reichs- und Gauleitern die Rückkehr zu „alten antisemitischen Parolen“ und zum Schutz Europas „einen großgermanischen Staat“ forderte. Den Krieg wollte er von Deutschen geführt wissen, die Siegesbeute sollte ebenfalls eine deutsche sein.
So blieben die Europapläne des Auswärtigen Amts eine Momentaufnahme ohne unmittelbare politische Folgen. Die Angst vor deutschen Gauleitern – oder in abgeschwächter Form neuerdings vor deutschen Spardiktaten – beschäftigt Europa aber noch heute. Der „Sinn des Friedens“ und aller Europapläne, so könnte man schlußfolgern, kann eben tatsächlich nur in der verbindlichen Anerkennung gegenseitiger Souveränität liegen.