Es war einer der ersten, langersehnten Frühlingstage; Till vom Kupferglöckchen, ein munterer Berner Sennenhund, tobte fröhlich durch den Garten, und auch sein Herrchen Thomas Edathy hätte eigentlich allen Grund, sich zu freuen.
Immerhin war er jetzt Chef der Stadtwerke von Celle, und seine Besetzung hatte für großes Hallo und Bravo bei der Politik und sämtlichen unabhängigen Medien gesorgt, die vor lauter gleichgearteter Freude anonymisiertem Bewerbungsverfahren besetzt.“
Celle sei nun ein „Vorbild für alle Kommunen in Deutschland“, lobte die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes Christine Lüders, und der Oberbürgermeister der niedersächsischen Provinzstadt Dirk-Ulrich Mende (SPD) war angesichts einer solchen Auszeichnung durch die hohe Gesinnungswächterin ganz aus dem Häuschen: Die Vergabe der Stelle sei ein „klares Zeichen für eine unabhängige und diskriminierungsfreie Personalauswahl“; und ganz besonders erfreulich sei auch, daß durch dieses Pilotprojekt einer modernen, innovativen Personalpolitik der parteipolitischen Kungelei, die ansonsten vielleicht zur Einstellung eines CDU-Kandidaten geführt hätte, ein Riegel vorgeschoben wurde, schließlich habe der Bruder des SPD-Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy selbst kein Parteibuch – so der SPD-Kommunalpolitiker.
Solche Verwechslungen waren ihm immer außerordentlich peinlich
Thomas Edathy – eigentlich Edathibarambil – weiß aus eigener, leidvoller Erfahrung, wie bitter es sich anfühlt, diskriminiert zu werden: Wenn man „Thomas“ heißt, gilt man überall sofort als Deutscher, da helfen auch die zur Hälfte indische Abstammung und der klangvolle Nachnahme nicht viel. Früher, als er noch Student war, hatte ihm der exotische Name noch manchmal Sympathie eingebracht – manche Frauen sagten „ach, Sie sind Inder? Ich habe einige Zeit Yoga gemacht“, aber seit sein Bruder als Politiker bekannt geworden ist, zog dieser Bonus nicht mehr, und manches Mal wurde er sogar mit Sebastian verwechselt.
Wer möchte schon mit einem lupenreinen, in seiner ideologischen Konsequenz so allzudeutschen Sozialdemokraten befreundet sein? Thomas Edathy waren solche Verwechslungen immer außerordentlich peinlich. Manche Leute duckten sich, wenn sie den Namen Edathy hörten, und warfen angstvolle, schräge Blicke über die Schultern, ob jemand zuhöre; andere erstarrten, hoben abwehrend die Hände und sagten: „Schlimm, was in Deutschland vor sich geht – die Nazihorden ziehen wieder mordend und plündernd durchs Land – wir müssen alle Gesicht zeigen!“ Und dann verabschiedeten sie sich schnell.
Gut, daß es das anonyme Auswahlverfahren gibt! Wer Edathy heißt, ist fast so schlimm dran, als wenn er Wulff hieße. Immerhin hätte er, anders als Christian Wulff, noch Politiker werden können, aber Thomas Edathy wollte lieber seine Ruhe haben und Rassehunde züchten.
„Mit diesem Rassismus ist jetzt Schluß!“
Die geliebte Hundezucht! Aber damit wurde es jetzt leider schwierig. Auch daran war sein kleiner Bruder schuld. Selbst bei dem festlichen Empfang mit Champagner und Kaviar, den es anläßlich Thomas’ Ernennung zum Leiter der Stadtwerke gab, hat Sebastian es nicht lassen können, giftig an ihn heranzutreten und ihm zuzuzischen: „Mit diesem Rassismus ist jetzt Schluß!“
„Was für ein Rassismus?“ wollte er noch entgegnen, aber sein Bruder fuhr ihn an: „Du weißt ganz genau, was ich meine! Deine verfluchte, unselige Rassenzucht! Du verbreitest den völkischen, rassistischen Wahn sogar auf Deiner Homepage: Die ‘Rasse’ des Berner Sennenhundes ist ‘sehr alt und wohl auch ganz auf dem hiesigen Boden gewachsen’, schreibst Du da. Oder: ‘Im Gebiet von Schwarzenburg […] konnte sich der alteingesessene, dreifarbige Bauernhund mit all seinen Qualitäten erhalten.’ Sogar von ‘Reinzucht der Rasse’ ist die Rede – das ist unerträglich in einem Land, in dem ich Tag und Nacht um die Aufklärung der Untaten des Nationalsozialistischen Untergrundes ringe!“
„Aber es geht doch nur um Hunde …“
„Heute züchten sie Hunde, morgen wollen sie wieder Menschen züchten! – Und nebenbei bemerkt, wenn man Deine Vorstellungen von rassischer Reinheit auf uns anwendet …“
„Alle Hunde sind gleich“
Jetzt fängt er wieder mit seinen Komplexen an, dachte Thomas Edathy. Wenn er gute Laune hätte, würde er jetzt sagen: „Sebastian, wir sind doch trotzdem Indogermanen oder Arier, wie man früher sagte – ob indisch, deutsch oder beides –, das weißt Du doch als Sprachwissenschaftler“, aber angesichts der Frau Lüders und der ganzen Politiker und Journalisten, die überall herumstanden und Champagner schlürften, unterließ er dies besser.
Noch am selben Abend setzte er sich an den Computer und überarbeitete seine Homepage. Der Hinweis, daß Tills Hundepapa „registrierten Bernerdamen gerne zum Decken bereitsteht“, wurde gestrichen. Thomas Edathy überlegte lange hin und her und schrieb schließlich: „Demokratische Hundebesitzer werden gebeten, sich mit ihren Hündinnen in anonymisierter Form zu bewerben. Die Bewerbungsunterlagen sollten lediglich den Namen der Hundedame enthalten. Bewerbungen, die Hinweise zur Abstammung des Hundes oder Fotos enthalten, werden nicht berücksichtigt. Alle Hunde sind schließlich gleich.“
Die Hundezucht wollte Thomas Edathy in den folgenden Monaten aber nicht mehr so recht Freude bereiten. Und als dann schließlich eine Dame von einer „Bürgerrechtsbewegung zur Gleichstellung der Zoophilie“ bei ihm anrief und ihn wegen seines sogenannten Speziesismus beschimpfte, gab er die Hundezucht ganz auf.