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Ich bin stolz, ein Neandertaler zu sein

Ich bin stolz, ein Neandertaler zu sein

Ich bin stolz, ein Neandertaler zu sein

 

Ich bin stolz, ein Neandertaler zu sein

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Für die Paläoanthropologie war sie eine Sensation, aber in den Massenmedien ging die Anfang Mai in der Zeitschrift Science veröffentliche Meldung beinahe unter: Die lange umstrittene Frage, ob sich Neandertaler und moderne Menschen „vermischt“ haben, ist grundsätzlich entschieden.

Immerhin ein bis vier Prozent des Genoms moderner europäischer oder asiatischer Menschen stammt vom Neandertaler. Damit dürfte auch die strikte Unterscheidung zwischen (kreuzungsfähigen) Rassen und (nicht kreuzbaren) Arten hinfällig geworden sein; man wird statt von starren Grenzen eher von allmählichen Übergängen auszugehen haben.

Für die noch verbliebenen Freunde einer „klassischen Rassentheorie“ dürfte die Nachricht verwunderlich oder ärgerlich sein, daß ausgerechnet wir Eurasier und nicht etwa die Afrikaner „ein bißchen Neandertaler sind“ – aber wir brauchen uns dieses Erbgutes nicht allzu sehr zu schämen, denn die vulgärdarwinistische Vorstellung vom primitiven, zotteligen Halbmenschen, der so gebückt ging, daß seine Hände beinahe auf dem Boden schleiften, hat die Forschung längst ad acta gelegt.

Neandertaler war homo sapiens geistig ebenbürtig

Sowohl das große Gehirnvolumen als auch die erhaltenen Artefakte sprechen eher für die geistige Ebenbürtigkeit unseres entfernten Verwandten mit unseren Hauptvorfahren. Wahrscheinlich wurde der Neandertaler vom homo sapiens weder aufgrund dessen intellektueller Überlegenheit verdrängt noch gar ausgerottet, sondern – so wird vermutet – seine Reproduktionsrate war etwas geringer, und seine Kinder reiften ein wenig langsamer heran.

Wahrscheinlich hatte der verhältnismäßig leichte, zierlichere homo sapiens gegenüber dem untersetzten, kräftigen Neandertaler unter eiszeitlichen Bedingungen auch körperliche Vorteile, da er aufgrund seiner geringeren Muskelmasse mit weniger Kalorien auskam und ein besser Läufer war – sowohl als ausdauernder Langstreckenläufer als auch als schneller Sprinter, was bei der langen, mühseligen Suche nach Nahrung beziehungsweise bei der Verfolgung von Tieren (oder auch bei der Flucht vor ihnen) lebenswichtig war.

Zu diesen physiologischen Befunden paßt die Tatsache, daß die letzten, rund 30.000 Jahre alten oder noch jüngeren Skelettfunde von Neandertalern aus dem unvereisten Spanien stammen, was für eine Kälteflucht spricht. Zu dieser Zeit lebten nur etwa 10.000 Neandertaler in Europa, und Begegnungen mit modernen Menschen dürften in den endlosen Weiten selten gewesen sein.

Die Spanier stammen übrigens keinesfalls in größerem Umfang vom Neandertaler ab als andere Europäer, denn die Mischungen haben sich kaum oder gar nicht mehr während der relativ kurzen Koexistenz beider Menschengruppen in Europa, nachdem der homo sapiens vor etwa 40.000 Jahren unseren Kontinent besiedelte, vollzogen, sondern schon früher im Nahen Osten, wo beide rund 30.000 Jahre lang zusammengelebt hatten.

Existenzielle Kategorien

Vor einigen Jahren habe ich auf Abstammungsfragen – allerdings eher auf historische Zeiträume bezogen – großen Wert gelegt; natürlich war mir bewußt, daß man kulturelle Identitäten, um die es mir vor allem ging, weder aus Gensequenzen noch aus Haut- oder Haarfarben ableiten kann; und doch freut man sich, wenn man meint, daß alles schön zusammenpaßt, denn man möchte ja Ordnung in sein Herkunfts- und Identitätsgewusel bringen. Heute würde es mich noch nicht einmal stören, wenn meine Neandertalergene bei den oberen vier Prozent lägen (Größe und Statur würden ganz gut hinkommen).

Und überhaupt teile ich die Menschen, zumindest auf „existenzieller Ebene“, nicht in Arten oder Rassen und auch nicht in Völker und Nationen ein, sondern in folgende fünf Gruppen: kräftige Männer, schwächliche Männer (also potentiell gefährliche und eher harmlose), „in Frage kommende“ Frauen und „nicht in Frage kommende“ Frauen – und die fünfte Kategorie ist immer derjenige, der von seinem Blickwinkel aus die Taxierung vornimmt.

Das mag etwas archaisch klingen (und vielleicht sogar auf fünf Prozent Neandertalergene verweisen), aber wer ein wenig in sich hineinhorcht, wird sich vielleicht zu einer ähnlichen Unterteilung bekennen müssen. Mit solchen Kategorien im Kopf durchstreiften wir viele Jahrtausende lang die eisige Tundra Europas.

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