„Unter den wilden Tieren ist der Tyrann, unter den zahmen der Schmeichler das Gefährlichste.“ An dieses Sprichwort mußte ich denken, als ich am vergangenen Sonntag in der Anne-Will-Sendung („Sarrazin weg – Integrationsproblem“) sah, wie engagiert Wolfgang Bosbach plötzlich Thilo Sarrazin verteidigte.
Die Gefahr dieses zahmen Tiers besteht darin, daß genau dieser Politiker-Typ, zu dem Bosbach gehört, den Bürgern immer wieder Illusionen macht, daß die politische Klasse oder gar die CDU noch zu retten wären. So manche Sätze Bosbachs und seine Verteidigung Sarrazins tragen ihm seit einiger Zeit große Sympathien in einigen Blogs im Internet ein. Doch die Begeisterung ist etwas voreilig, wie wir gleich sehen werden.
Die SPD müsse Sarrazin aushalten, sagte Bosbach, es handele sich um eine „hysterische Debatte“. Und: „Viele Zahlen, Daten und Fakten sind einfach richtig, auch wenn sie der politischen Klasse unbequem sind. Er legt den Finger in die Wunde.“ Als er gefragt wird, ob die CDU Sarrazin ausschließen würde, verneint er natürlich. Wer’s glaubt, wird selig.
Hetzkampagne gegen Martin Hohmann
Aber Moment mal, Bosbach und Parteiausschluß – war da nicht mal was? In der Tat: Als einige CDU-Mitglieder im Zuge der Hetzkampagne gegen Martin Hohmann gegen dessen Rausschmiß aus der CDU eintraten, bezog Bosbach klar Position: „Diesen Kritikern, die nicht erkennen wollen, daß die Rede unerträglich und antisemitisch war, müssen wir jetzt die klare Kante zeigen.“
Nun sagt Bosbach, die SPD müsse Sarrazin aushalten. Auf den Konter von Klaus Wowereit, die Berliner Union sei ja schließlich auch gerade dabei, René Stadtkewitz aus der Fraktion im Abgeordnetenhaus auszuschließen, geht Bosbach denn auch nicht ein. Bei der Frage, ob es richtig war, daß Bundeskanzlerin Angela Merkel die Bundesbank im Fall Sarrazin unter Druck gesetzt hat, eiert er natürlich erst recht herum.
Auch in mehreren anderen Fällen ist Bosbach bereits als heldenhafter Rebell für Meinungsfreiheit und tolerante Streitkultur in Erscheinung getreten. Auf die Frage, was er von der CDU-internen „Aktion Linkstrend stoppen“ halte, sagt Bosbach trocken: „Abstand.“ Das Verbot einer angemeldeten und legalen Kundgebung des „Anti-Islamisierungs-Kongresses“ auf Druck von Extremisten, beklatschte Bosbach 2008 als richtige Entscheidung.
„Gutgebräunte CDU-Hardliner”
Der „immer gutgebräunte CDU-Hardliner“ (Süddeutsche Zeitung) kann nämlich auch ganz anders, wenn die Windrichtung es gerade erfordert.
Im Jahr 2000 schrieb Bosbach in einem Positionspapier, der Satz „Deutschland ist kein Einwanderungsland“ habe eine rationale Debatte erschwert. Man glaubt es heute kaum, aber im selben Jahr erschien in der Welt ein Portrait mit dem Titel: „Wolfgang Bosbach verkörpert die neue CDU“.
Und „neu“ heißt bei der CDU bekanntlich: links und politisch korrekt.
Angesichts dessen ist es regelrecht abstoßend, daß Bosbach sich in der Anne-Will-Sendung darüber empört, daß der Berliner Staatsanwalt Roman Reusch seinen Posten verlor, weil er unbequeme Kriminalitätsstatistiken zitierte.
Opportunisten und Heuchler
Seitdem Bosbach bemerkt hat, daß der Druck im politisch korrekten Kessel und somit auch in der CDU ansteigt, fordert er nun plötzlich Toleranz gegenüber dem Schweizer Volksentscheid für ein Minarett-Verbot, verlangt von der CDU mehr konservatives Profil – und verteidigt eben Sarrazin.
Seitdem er den Posten des Vize-Fraktionsvorsitzenden verlor und der Traum, Innenminister zu werden, platzte, ist ja schließlich nicht mehr viel zu holen. Das alles spricht zwar nicht für seinen Charakter, aber man sollte es positiv sehen: die Opportunisten und Heuchler aller Parteien und Medien werden durch zunehmenden rechten Gegenwind nun mit ihren eigenen Waffen geschlagen.
Bekanntlich versucht auch der ehemalige nordrhein-westfälische Integrationsminister Armin Laschet, der für den Vorsitz der Landes-CDU kandidiert, neuerdings auf Anti-Gutmensch zu machen. Und die Bild-Zeitung („Ist Eva Herman braun oder nur doof?“) fährt plötzlich eine massive Kampagne für die Meinungsfreiheit.
Vor einer geschichtlichen Wende?
Falls dieser Gegenwind sich zu einem wütenden Sturm entwickeln sollte, könnten gerade diese Opportunisten der Schlüssel dafür sein, daß das „Geschichtszeichen“ des Sarrazin-Buchs, das der Medienwissenschaftler Norbert Bolz bei Anne Will sah, tatsächlich zu einer geschichtlichen Wende führt.
Walter Kempowski schrieb vor 20 Jahren:
Nartum/Dienstag, 4.9.1990: „Jetzt stellt sich heraus, daß der Briefträger, der damals wegen seiner DKP-Zugehörigkeit entlassen worden war („Berufsverbot“!), tatsächlich für die Stasi gearbeitet hat. Was sagt unsere Linke dazu, wo sind die Demonstranten, die ihn als lebendes Beispiel für den BRD-Faschismus hätschelten? Jetzt ergäbe sich doch eine Gelegenheit, auch mal über jene Berufsverbote zu sprechen, die die SED-Regierung verhängt hat, über die Söhne und Töchter von Pastoren und Ärzten zum Beispiel.“
Aktuell können wir ebenfalls darauf gespannt sein, inwiefern sich die politische Linke wegen der drohenden Entlassung von Sarrazin als Bundesbank-Vorstand über ein „Berufsverbot“ empören wird.