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Am Anfang war die Nacherzählung

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Am Anfang war die Nacherzählung

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Daß die klassische Bildung an Bedeutung verliert und aus den Unterrichtsplänen der Schulen  verschwindet, ist eine Binsenweisheit. Anderseits ist schulische Darbietung ohnehin wenig geeignet, lebendiges Feuer in den Zuhörern zu entfachen. Alles, was die Jugend wahrhaft inspiriert(e), wurde nicht durch sie vermittelt (man erinnere nur an frühe Herman Hesse-Lektüren, zu der man mittels Mundpropaganda fand, die einem der Lehrer nicht servierte und zerlegte!)

Insofern ist das Verbleichen klassischer Mythologie kein Versagen heutiger Lehrpläne, sondern auf den Mangel an brauchbarer Nacherzählung zurückzuführen. Denn eine Überlieferung überlebt nur, wenn man sie ununterbrochen neu erfindet. Nehmen wir die „Odyssee“ des Homer, deren Original-Text heute kaum mehr zumutbar erscheint. Tatsächlich wurde die Dichtung vor 2.700 Jahren völlig anders präsentiert: Man las sie nicht, man trug sie mit Musikbegleitung vor, ähnlich den späteren Minnesängern.

Übersetzt man aber die lang- und kurzsilbigen Verse ins Hebungs- und Senkungs-Pendant, streicht Rezitator und Begleitmusik, dann schmeckt Homer nur noch den härtesten Bildungsmasochisten. Aber selbst die „Spoken-word-Performance“ mit Musikbegleitung reichte den antiken Griechen bald nicht mehr. Sie suchten neue Ausdrucksmittel für das mythologische Erbe und erfanden das Theater. Als Tragödie erlebte der Mythos  populäre Neubearbeitung.

Nicht auf vergangenen Ausdrucksformen beharren

Wenn im 19. Jahrhundert die antiken Stoffe durch Dichter wie Gustav Schwab, Richard Wagner oder Felix Dahn nötige Auffrischung fanden, so ist heute der Film gefragt. Natürlich brachte und bringt jede neue Möglichkeit an Transformation zahlreiche Puristen auf den Plan. Nicht vergessen ist der Seufzer eines Intellektuellen der Endfünfziger über das zeitgenössische Publikum, das die Geschichte des Moses nicht mehr aus der Bibel, sondern nur noch durch den Film „The ten Comandments“ (Die zehn Gebote, 1957) kenne.

Wer aber auf vergangene Ausdrucksformen beharrt, steht auf dem berühmten verlorenen Posten. Freilich ist es schwer, das Niveau antiker Vorbilder in der Zelluloid-Adaptionen zu halten. Pier Paolo Pasolinis „Edipo Re“ (1967), „Medea“ (1969), die „Notizen zu einer afrikanischen Orestie“ (1969) und Fritz Langs „Nibelungen“ (1924) sind rühmliche Ausnahmen. In den letzten Jahren hat Zac Snyders „300“ (2006) zwar seinen Dienst getan, aber Wolfgang Petersens ehrgeiziges „Troja“ (2004, frei nach „Illias“ und „Aeneas“) versagte radikal: Drehbuch und Regie waren dem Stoff nicht gewachsen.

Es wäre jedoch falsch, die Notwendigkeit von Nacherzählung ausschließlich beim „antiken“ Erbe zu verorten. Auch zeitlich näherliegendes wie Fontanes „Effi Briest“-Roman (1894) bedarf belebender Adaption: Sein müder Plätscherton ist allzusehr der Salon-Kultur des 19. Jahrhunderts verbunden und steht dem heutigen Lebensrhythmus allzu radikal entgegen. Immerhin haben Rainer W. Faßbinders‘ „Fontane Effi Briest“ (1974) und Hermine Huntgeburths’ „Effi Briest“ (2009) den Stoff für Zeitgenossen kongenial aufbereitet.

Bildung ist niemals das Auswendiggelernte

Aber selbst Filme verlangen regelmäßig ihr Remake. So erkannte der neuseeländische Regisseur Peter Jackson, daß sein persönlicher Lieblingsfilm, „King Kong“ (1933), von der heutigen Jugend kaum noch gesehen wird. Ergo drehte er eine große Neuauflage (2004), in der Hoffnung, dadurch das junge Publikum zum Klassiker zurück zu (ver-)führen. Selbst wenn das fehlgeschlagen sein sollte, hat Jackson die alte Edgar Wallace-Geschichte vom verliebten Riesenaffen, längst Bestandteil westlicher Kultur, für seine Generation lebendig gehalten.

Seit Joseph Campbell weiß man, daß westliche Mythen, Dichtungen und Filme derselben Struktur unterliegen, denselben „Bildungsroman“ erzählen: Die Berufung des unerfahrenen Helden > dessen anfängliche Weigerung > der Aufbruch > die härter werdenden Phasen der Initiation > die Rückkehr. Auch wenn Hollywood keine antiken Stoffe, sondern „Star Wars“ (1977-2008) oder „Matrix“ (1999-2003) produziert, enthalten sie doch die immer gleiche archaische Heldenerzählung, die schon in „Gilgamesch“ und der „Odyssee“ zu finden war. Damit aber können sie gleichsam einen „Bildungseffekt“ auslösen.

Um es klarzustellen: „Bildung“ ist niemals das Auswendiggelernte, Reingestopfte und Hinuntergewürgte, sondern was sich bei der Ausformung, Aus-Bildung der Persönlichkeit als hilfreich erweist. Wer sämtliche Schulballaden auswendig kann, hat deshalb keine „Bildung“. Wer Interpretationsarbeit am Klassiker vollzieht, aber wie ein beengter Spießer lebt, hat keine „Bildung“, sondern ist bestenfalls ein biokybernetischer Datenspeicher. Nur existentiell Be- und Ergriffenes „bildet“ und kann nacherzählt und weitergereicht werden. 

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