Das Gezerre um das Berliner Zentrum gegen Vertreibungen nimmt kein Ende. Stand vom Mittwoch: Der Bund der Vertriebenen hält an Erika Steinbach als einem seiner möglichen Mitglieder im Stiftungsrat fest, vertagt aber die Entscheidung. Außenminister Westerwelle bleibt beim Veto dagegen und fordert den Verzicht von Steinbach, die Kanzlerin schweigt, die polnische Regierung auch. In Deutschland blasen zugleich die Leitmedien die Affäre auf, als gehe es um alles oder nichts. Die FAZ bemüht Willy Brandt: „Verzicht ist Verrat“.
Nun, Brandt hat bekanntlich am Ende verzichtet. Auch der BdV und Erika Steinbach haben bereits in großem Stil verzichtet, auf Rechte, auf Werte und auf Wahrheiten. So dürfte es an der Zeit sein, eines deutlich auszusprechen: Es geht in der Causa Steinbach um fast gar nichts mehr. Wer im Stiftungsrat einer Organisation sitzt, die irgendwo eine inhaltlich glattgespülte, politisch korrekte Dauerausstellung zur Vertreibung mit europäischer Perspektive betreibt, ist bei Licht betrachtet recht gleichgültig. Im Grunde wäre es deshalb eine denkbar schlechte Entwicklung, wenn schließlich Steinbach doch ihren Sitz einnehmen könnte und sich hierzulande etwa das Gefühl einstellen würde, man habe einen Erfolg erzielt.
Deutschlands territoriale Substanz treffen
Das Konzept sowohl der Stiftung wie der Ausstellung sind der treffliche Ausdruck eines Fiaskos im Umgang mit der deutschen Geschichte. Wissenschaft, Kultur und Politik ist es in sechzig Jahren Bundesrepublik nicht einmal gelungen, einen Begriff für die nationale Katastrophe zu prägen, die der Ausgang des Krieges 1945 für Deutschland darstellte. Der sogenannte „Zweite Weltkrieg“ beendete die Existenz Deutschlands in den historisch gewachsenen Grenzen. Nachkriegsmaßnahmen sollten Deutschland nach dem Willen der Sieger unter anderem in der territorialen Substanz treffen.
Zu diesem Zweck wurde die Vertreibung vereinbart, und bereits darum muß eine angemessene Aufarbeitung dieser Geschichte in Deutschland den Focus auch auf Deutschland legen. Es gibt viele Gründe, warum dies nicht geschehen ist, aber keine stichhaltigen. Manche aus den Widerstandskreisen des 20. Juli haben erst nach dem Krieg begriffen, daß er nicht nur gegen den Nationalsozialismus geführt wurde, sondern den Charakter eines Vernichtungskriegs gegen ganz Deutschland angenommen hatte. Die bundesdeutsche Geschichtspolitik hat es bis heute nicht verstanden oder verdrängt.
Alle Bevölkerungsveränderungen in einen Topf werfen
Die Herausforderung lautet weiter, diesen Krieg bis 1945, seine Vorgeschichte und seine Folgen, in einem Institut des Nationalen Gedenkens unter einer deutschen Perspektive zu dokumentieren und in diesem Rahmen auch ein Mahnmal zu errichten, an dem der Ausmordung der deutschen Existenz an so vielen Orten jenseits der Grenzen der heutigen Bundesrepublik als eines besonderen Ereignisses der eigenen Nationalgeschichte gedacht werden kann. Das muß und wird kein Ort sein, an dem gegenüber den Schulklassen die Rache gepredigt wird, wie oft polemisiert wurde.
Jede europäische Perspektive, wie sie das Zentrum gegen Vertreibungen einnimmt, vernebelt die Dimension dieser Ereignisse nur, verwischt die politischen Verantwortlichkeiten und trägt zudem die Tendenz zur Verharmlosung in sich. Das zeigt beispielsweise die um sich greifende Marotte, die ethnische Vernichtung Ostdeutschlands mittels des Begriffs „Zwangsmigration“ in die Nähe von Wanderungsbewegungen arbeitssuchender Handwerker zu rücken und dann in einer europäischen Migrationsgeschichte aufgehen zu lassen, die bis hin zur türkischen Zuwanderung alle Bevölkerungsveränderungen als „modernes Schicksal“ in einen Topf wirft.
Das Konzept der Stiftung gegen Vertreibungen akzeptierte diesen Trend von Anfang an, es beschleunigte ihn genaugenommen sogar. Man kann nur hoffen, daß es bald von der Zeit überholt sein wird, ganz gleich, wer bis dahin im Stiftungsrat sitzt.