Tagelang haben zahlreiche Menschen auf der ganzen Welt gebangt und gebetet. Am Ende war alles Flehen erfolgslos. Die kleine Indi Gregory aus Großbritannien ist am Montag mit nur acht Monaten an einer schweren mitochondrialen Krankheit gestorben. Genauer gesagt verschied sie, weil auf richterliche Anordnung die Maschinen abgeschaltet wurden, die sie am Leben hielten.
Es sind die besonderen Umstände in diesem Fall, die die Diskussion auch nach dem Tod des kleinen Mädchens nicht abreißen lassen. Die Entscheidung bestürzt, erzürnt, macht fassungslos, denn eine Alternative hätte es durchaus gegeben.
Doch zunächst zur Geschichte der kleinen Indi Gregory. Das Mädchen kam Ende Februar in Nottingham zur Welt. Leider begleitete eine bittere Erkenntnis den Start in ihr Leben: Sie litt an einer seltenen Erkrankung, bei der die Zellen in ihrem Körper wohl nicht genügend Energie erzeugten. Die Ärzte im Nottinghamer Krankenhaus stuften ihr Leiden als unheilbar ein. Schlimmer noch: Eine Weiterbehandlung sei ihrer Auffassung nach lediglich das Hinauszögern ihres Todes und zudem vermutlich mit Schmerzen verbunden. Aus diesem Grund sollten die lebenserhaltenden Maßnahmen abgestellt werden.
Plötzlich schaltet sich selbst Meloni ein
Heftige Gegenwehr kam von Indis Eltern Claire Staniforth und Dean Gregory. Sie baten darum, ihre Tochter nicht aufzugeben, und führten einen Fall aus den USA an, wo ein Kind mit der gleichen Erkrankung lebe und bereits neun Jahre alt sei. Freilich muß ein Krankenhaus abwägen, welche Patienten es am Leben hält, schließlich gibt es nur so und so viele Maschinen sowie Personal, die für die Behandlung notwendig sind. An dieser Stelle sprang nun beherzt der italienische Staat ein.
Dieser bot an, das Baby auf eigene Kosten in das in Rom befindliche Bambino-Gesù-Krankenhaus zu bringen und das Mädchen dort weiter zu versorgen. Sämtliche Hebel wurden in Bewegung gesetzt. Der italienische Konsul Matteo Corradini wandte sich an den Obersten Gerichtshof in Großbritannien und selbst Ministerpräsidentin Giorgia Meloni schaltete sich couragiert ein. Sogar die italienische Staatsbürgerschaft wurde Indi verliehen, um einen Transport zu ermöglichen.
Die Eltern des kranken Babys reagierten mit Hoffnung und Dankbarkeit, doch das letzte Wort sollten die britischen Richter haben. Um es noch einmal klarzustellen: Es handelte sich hierbei nicht um eine fixe, undurchdachte Idee. Das italienische Krankenhaus gab nicht nur seine Zusicherung zu einem medizinischen Flugtransport, sondern legte auch einen detaillierten Behandlungsplan vor. Aufwand und Kosten für Indis Heimatland: null.
Wie kann die Antwort da anders als „Ja“ lauten, denkt man sich da. Was dann folgte muß für die Eltern der Kleinen ein einziger Schlag in die Magengrube gewesen sein. Die Weiterbehandlung von Indi sei „nicht im Interesse des Kindes“, der Krankentransport nach Italien „zu gefährlich“. Bitte?! Also noch einmal: Die Weiterbehandlung mit (wenn auch zeitlich ungewisser) Lebensperspektive als Alternative zum sofortigen Sterben soll angeblich nicht im Sinne des Babys sein und der Flugtransport gefährlicher als der ansonsten sichere Tod?
Kein Stück Mitgefühl, kein Funken Barmherzigkeit
Wem jetzt schon die Spucke wegbleibt, sollte sich lieber festhalten, denn es kommt noch dicker. Indis Eltern baten darum, ihre Tochter in diesem Fall zumindest nach Hause holen zu dürfen, damit sie in den eigenen vier Wänden im Kreise ihrer Familie sterben kann. Auch „zu gefährlich“, bügelten die Richter den Wunsch ab. Indis Versorgung sei dort nicht gesichert. Sie müsse im Krankenhaus oder einem Hospiz sterben.
Dieses Mädchen wird in 40 Minuten sterben, weil ein englisches Gericht im Namen der „Menschenwürde“ eine Fortsetzung lebenserhaltender Maßnahmen verweigert, aber auch, dass #IndiGregory in einem italienischen Krankenhaus weiterbehandelt wird, das dies kostenlos tun würde. Die… https://t.co/m1dv8J2Ssv
— Birgit Kelle (@Birgit_Kelle) November 9, 2023
Zusammengefaßt: Die Richter nahmen sich nicht nur das Recht heraus, über das Leben des Kindes, sondern auch über seinen Sterbeort zu entscheiden. Stärker entrechten konnten sie die Eltern eigentlich nicht. Jeglichen Funken von Barmherzigkeit oder Mitgefühl sucht man hier vergeblich.
Indi Gregory könnte noch leben
Am Wochenende war Indi schließlich in ein Sterbehospiz verbracht worden. Unter Polizeischutz. Das wahrscheinlich zugrundeliegende rechtliche Protokoll mal beiseitegelassen: Das Bild, das dieses Vorgehen nach außen sendet, ist schlicht grotesk. Es wirkt, als wollte man ganz sicher gehen, daß das Mädchen auch gewiß zum Sterben ins Hospiz und nicht zum Leben nach Italien gebracht werde.
Wenig überraschend dürften die von Schmerz gezeichneten Worte der Eltern nach dem Tod des kleinen Mädchens sein. „Wir sind wütend, am Boden zerstört und beschämt“, teilten sie mit. Die Richter hätten Indi nicht nur die Chance auf ein längeres Leben genommen, sondern auch die Möglichkeit, in Würde in ihrem Zuhause zu sterben.
Das gnadenlose Urteil seitens Großbritannien übertrifft eigentlich nur noch ein Brief des Richters Robert Peel an Konsul Corradini. Darin schreibt der Jurist: „Danke für Ihre Anfrage (…) bezüglich der Verlegung von Indi Gregory.“ Wie er aber sicher mitbekommen habe, sei das Mädchen mittlerweile leider tot. „Ich nehme an, Sie möchten mit Ihrer Anfrage deshalb nicht fortfahren“, schließt Peel. So viel Zynismus muß einem erst einmal über den Füllfederhalter gehen. Was bleibt, ist das Gefühl der völligen Ungerechtigkeit und Unverständlichkeit. Denn klar ist: Indi Gregory könnte noch leben. Wer weiß, ob ihr bei einer Behandlung in Italien nicht noch mehrere Lebensjahre vergönnt gewesen wären. Wir werden es nie erfahren.