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Nachruf Königin Elisabeth II.: Lebt wohl, Majestät

Nachruf Königin Elisabeth II.: Lebt wohl, Majestät

Nachruf Königin Elisabeth II.: Lebt wohl, Majestät

Ihre Majestät Königin Elisabeth II. bei ihrem letzten Besuch in Deutschland 2015 (Archivbild) Foto: picture alliance / Sven Simon | Annegret Hilse / SVEN SIMON
Ihre Majestät Königin Elisabeth II. bei ihrem letzten Besuch in Deutschland 2015 (Archivbild) Foto: picture alliance / Sven Simon | Annegret Hilse / SVEN SIMON
Ihre Majestät Königin Elisabeth II. bei ihrem letzten Besuch in Deutschland 2015 (Archivbild) Foto: picture alliance / Sven Simon | Annegret Hilse / SVEN SIMON
Nachruf Königin Elisabeth II.
 

Lebt wohl, Majestät

Mit dem Tod von Königin Elisabeth II. endet nicht nur in Großbritannien eine Epoche. Ihre Majestät waren 70 Jahre lang ein globales Staatsoberhaupt und ein Vorbild an Haltung und Disziplin. Doch die Monarchie ist mehr als die Person auf dem Thron. Ein Nachruf von Christian Vollradt.
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Mit historischen Superlativen sollte man geizen, doch hier ist einer geboten: Königin Elisabeth II. war schon zu Lebzeiten eine Jahrhundert-Gestalt – und sie wird es über ihren Tod hinaus bleiben. Von ihr in der Vergangenheit zu schreiben, läßt einen stocken. Denn gefühlt war sie immer da. Nur wer selbst schon ein hohes Alter erreicht hat, wird sich noch an eine Zeit vor ihrer Thronbesteigung erinnern.

Die zierliche Dame mit dem gewellten Haar, mit dem stets feinen, etwas dienstlichen Lächeln, mit ihren Handtaschen, bunten Kostümen und passenden Hüten gehörte zu Großbritannien wie Gurkensandwich und Pimm’s oder schaumloses Bier, wie die Bärenfellmützen vor dem Buckingham-Palast oder die Schrulligkeit, das Lenkrad in den Autos auf die falsche Seite zu montieren. Krisen, Kriege, Katastrophen – all’ das konnte über die Insel oder die Welt herum fegen, Ma’am war stets auf Posten.

Es gebe „viele Königinnen aber nur eine Queen“, hob der langjährige deutsche London-Korrespondent Thomas Kielinger in seiner Biographie über Elisabeth II. ihre Rolle als einziges globales – und am längsten amtierendes – Staatsoberhaupt hervor. Außer im eigenen war sie es auch in 14 weiteren. Und wie in ihrer Heimat, so auch in diesen Staaten des Commonwealth vollkommen macht- aber beileibe nicht einflußlos. Die britische konstitutionelle Monarchie, so spottete schon im 19. Jahrhundert ein Journalist, habe die Funktion, den eigentlichen Machthabern ein unauffälliges Kommen und Gehen zu ermöglichen. 16 Premiers waren es im Falle der nun verstorbenen Monarchin. An wen von denen mag man sich erinnern, vielleicht von Winston Churchill, Margret Thatcher, Tony Blair und Boris Johnson abgesehen?

Bald endete die unbeschwerte Zeit als Kronprinzessin

Kaum daß gestern Abend die Nachricht, Königin Elisabeth habe auf Schloß Balmoral die Augen für immer geschlossen, über die Ticker gelaufen war und Menschen weltweit innehalten ließ, da erschien auf der offiziellen Seite des Palastes bereits ein „Statement from His Majesty the King“. Ein Ausdruck dessen, was diese Staatsform ausmacht und am deutlichsten von allen Republiken unterscheidet: Kontinuität. „Die Königin ist tot, es lebe der König!“

Das war, das ist die Regel. Die Sukzession ist dynastisch festgelegt, der Nachfolger steht bereit. Nahtlos geht es weiter, der Thron kippelt nicht. Bezeichnenderweise verdankte ausgerechnet Elisabeth II. die Krone einer Ausnahme von dieser Regel, einem Verstoß gegen ehernes Gesetz, der die britische Monarchie und das Haus Windsor – oder besser: Sachsen-Coburg und Gotha – in eine tiefe Krise gestürzt hatte, die bis in die Gegenwart traumatisierend nachwirkte: der Abdankung ihres Onkels König Edward VIII. im Jahr 1936, der einer Ehe mit der geschiedenen Amerikanerin Wallis Simpson den Vorzug vor Amt und Dienst gab. So wurde die nicht als Königstochter geborene Elisabeth erst im Alter von zehn Jahren Thronfolgerin. Mit dem frühen Tod ihres Vaters, König Georges VI., endete dann für sie im Alter von 25 Jahren die unbeschwerte Zeit als Kronprinzessin.

Fast könnte man es einen schlechten Scherz des Schicksals nennen, daß nun am Ende der Regentschaft der Queen wiederum ausgerechnet eine Amerikanerin für Ärger bei Hofe und in der königlichen Familie sorgte, nämlich Schwiegerenkeltochter Meghan Markle mit ihrem identitätspolitisch aufgeladenen Narzißmus.

Fortbestand der Monarchie stand über Selbstverwirklichung

Beobachter haben die Wirren des Jahres 1936 als einen der Gründe dafür identifiziert, warum Elisabeth II. eine Ikone der Stabilität wurde. Ihr ganzes Leben, „ob es nun lang oder kurz währt“, wolle sie dem Königreich und dem Commonwealth of Nations weihen, hatte die damals 21jährige Kronprinzessin versprochen. Mit bewundernswerter Disziplin und Pflichtbewußtsein löste sie dieses Versprechen sieben Jahrzehnte lang ein. Bis zum Ende, bis zum sprichwörtlich letzten Atemzug erfüllte sie ihren Dienst. Den Rücktritt des scheidenden Premiers Boris Johnson nahm sie vergangene Woche noch entgegen, genauso wie sie seine Nachfolgerin Liz Truss ernannte.

Ein Historiker beschrieb sie einmal als „einfach, warmherzig, hart arbeitend, akkurat, wohlerzogen, humorvoll und vor allem freundlich.“ Der mittlerweile allzu inflationär ge-, eigentlich mißbrauchte Begriff „Haltung“ paßt auf ihr Leben und Wirken haargenau. Stets zeigte sie auch in Krisen und bei den nicht seltenen familiären Schicksalsschlägen die „stiff upper lip“. Sich nicht gehenlassen, keine emotionalen Ausbrüche zeigen. Das stoische Ideal mißdeuteten Kritiker als emotionale Kälte. Vor allem beim Tod ihrer Ex-Schwiegertocher Prinzessin Diana vor 25 Jahren. Die hatte als „Königin der Herzen“ mit Glanz und Glamour, sowie die Tränendrüsen stimulierender Caritas ein populistisches Moment in die Monarchie gebracht, dem schließlich auch Königin Elisabeth einen gewissen Tribut zu zollen hatte.

Persönlich verkörperte sie das genaue Gegenteil. Der Fortbestand der über tausendjährigen Institution Monarchie war ihr stets wichtiger als individuelle Selbstverwirklichung. Eigene Befindlichkeiten hatten zurückzustehen, auf dem Thron sitzt der erste Diener, die erste Dienerin des Staates. Preußisch könnte man diese Pflichtauffassung nennen.

In Deutschland fehlen Glanz und Glorie

Apropos. Fünfmal war die Königin zum Staatsbesuch in Deutschland, zählt man ihren Abstecher zur Einweihung der neuen Botschaft in Berlin 2000 dazu, sogar sechsmal. Einer der herausragendsten für die im 20. Jahrhundert recht wechselvollen deutsch-britischen Beziehungen war ihre Visite 1965. Elf Tage weilte sie im Land der germanischen Vettern, für kein anderes europäisches Land hat sie sich jemals wieder soviel Zeit genommen. Den zuweilen pathologischen antideutschen Furor ihrer Mutter, den Haß auf das Land ihrer Vorfahren übernahm Elisabeth nicht.

Im Gegenzug flogen der Besucherin die Herzen der (West-)Deutschen entgegen. Mit ihrer Verehrung für Elisabeth II. offenbarten sie, daß die Bundesrepublik zwar nicht laut Verfassung, aber in dem einen oder anderen Seelenkämmerlein eben doch eine Monarchie geblieben ist. Obwohl in vielerlei Hinsicht die Verhältnisse im rheinischen Kapitalismus wesentlich besser waren als auf der Insel, schielt man hierzulande doch immer mit einer Mischung aus Faszination und einer Prise Neid über den Kanal. Mochten die Klassenunterschiede, Deindustrialisierung, die „multikulturellen“ Spannungen und sonstigen gesellschaftlichen Fliehkräfte noch so groß sein: in der Monarchie hatten und haben die Briten ihren überzeitlichen Anker. In ihr fokussieren sich nationales Selbstbewußtsein, Stolz und Tradition. Das ungebrochene Interesse der Deutschen an der x-ten Sondersendung über Hochzeiten, Geburten oder eben Begräbnisse unter der britischen Königsstandarte verdeutlicht unser Leiden am Phantomschmerz.

Ein weitgehend machtloses, doch teures Staatsoberhaupt hat Berlin auch; was fehlt ist Glanz und historische Glorie. Wäre es im Ernst denkbar, daß Tausende nächtens bei Wind und Wetter vor dem Zaun von Schloß Bellevue lagern, nur um tags darauf einen besseren Blick auf eine Amtseinführung zu erhaschen?

Charles ist noch einen Tick „deutscher“

Unter Elisabeths Sohn und Nachfolger, dem neuen, wenn auch nicht mehr ganz jungen König Karl III., wird der britische Thron sogar noch einen Tick „deutscher“. Nicht nur abstammungsmäßig, weil der 73jährige noch zusätzlich von väterlicher Seite hierzulande familiäre Wurzeln hat (Battenberg), sondern auch weil er recht passabel Deutsch spricht, als Junge ein gemäß (badischer) Reformpädagogik lehrendes Internat besuchte und zudem privat und außerhalb des Protokolls gelegentlich hierher reiste, um die Verwandtschaft des Hauses Hohenlohe-Langenburg zu besuchen.

Darüber hinaus pflegt Charles Mountbatten-Windsor eine Neigung zur Ökologie – als Bauer ebenso wie als Publizist –, die stark von „grünen“ Einflüssen aus Deutschland geprägt ist, etwa aus der Anthroposophie. Seine zuweilen kulturkritischen Statements, seine Mahnungen, dem Klimawandel Einhalt zu gebieten, tun ihr übriges.

Politische Äußerungen wird er als zur Neutralität verpflichteter Monarch stark reduzieren müssen. Und bei aller Kontinuität – seit 2018 steht beispielsweise schon fest, daß er seiner Mutter automatisch auch als Kopf des Commonwealth folgt – erwarten ihn neue Herausforderungen. Bleiben die Völker Großbritanniens beisammen oder streben vielleicht als erstes die Schotten aus der Union heraus? Bleibt dann die Monarchie als letztes einigendes Band übrig?

Alternative zur Krone ist nicht in Sicht

Einst prägten englische Kronjuristen die Lehre von „The King’s two Bodies“ (Ernst Kantorowicz), den zwei Körpern des Königs: zum einen der natürliche, sterbliche und zum anderen der politische, nicht-faßbare Körper. Dieser bleibt, auch wenn der andere, der irdisch-individuelle Körper gehen muß. So zu verstehen ist die Devise: „Le Roi ne meurt jamais“, der König stirbt niemals.

Auf unsere Tage übertragen, verstarb am 8. September 2022 nur einer der „Queen’s Two Bodies“. Der andere, der institutionelle lebt fort. Eine Alternative zur Krone, deren vierzigste Trägerin gestern für immer die Augen geschlossen hat, ist in Großbritannien nicht erkennbar. Zuende ging nun das lange, das zweite elisabethanische Zeitalter. Die Queen hat ihr Haus bestellt. Man muß kein Untertan der britischen Krone sein, um sich vor dieser Lebensleistung zu verneigen.

Farewell, your Majesty!

Ihre Majestät Königin Elisabeth II. bei ihrem letzten Besuch in Deutschland 2015 (Archivbild) Foto: picture alliance / Sven Simon | Annegret Hilse / SVEN SIMON
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