In Finnland nennt man die Deutschen „Saksalaiset“ und Deutschland heißt „Saksa“. Diese Bezeichnung wird auf die ersten Kontakte der Finnen mit den in Norddeutschland sowie im Nord- und Ostseeraum ansässigen Sachsen zurückgeführt. Es sind jene Sachsen und deutschsprachige Händler, Seefahrer und auch Ritter, die das Bild der Finnen über die Deutschen ab dem 13. Jahrhundert prägten. Die weitreichenden Handelsrouten der deutschen Hanse machten Deutsch vor allem im Ostseeraum zu einer Lingua franca, einer allgemeinen Verkehrssprache. Tüchtig, organisiert, streng sind Attribute, die man bis heute mit den Deutschen dort in Verbindung bringt.
Während Finnland viele Jahrhunderte eine sehr untergeordnete und kaum beachtete Rolle in der Geschichte Europas einnahm, kam mit Anfang des 18. Jahrhunderts langsam Bewegung in das Siedlungsgebiet der finnougrischen Völker im Norden Europas. Nach jahrhundertelangem schwedischem Einfluß, der nicht frei von seinen deutschen Akzenten war, kam Finnland unter die Herrschaft des aufstrebenden Zarenreichs. 1809 leisteten die ständischen Lehnsherren Finnlands dem russischen Zaren einen Eid auf Treue und Gefolgschaft, blieben aber bis zum Ende des 19. Jahrhunderts weitestgehend autonom und wurden weder kulturell noch imperial bedrängt. Erst mit den Russifizierungsversuchen unter Zar Nikolaus II. begann ab 1899 das langsame Erwachen einer finnischen Nationalbewegung, die Unabhängigkeit und Identität der Finnen gegen Russland zu behaupten suchte.
Finnland wurde 1919 Republik
Die Februarrevolution in Rußland sorgte auch in Finnland für große Umwälzungen, als das neue Sowjetrussland am 18. Dezember 1917 die finnische Unabhängigkeit anerkannte. Jedoch mündete diese Anerkennung nicht in eine friedliche Transition, sondern gipfelte in einem blutigen, dreimonatigen Bürgerkrieg, an dem sich auch die Deutschen beteiligten. In den Kriegswirren starben Zehntausende auf Seiten von „Weißen“ und „Roten“, aber vor allem Zivilisten litten unter den Kämpfen. Letztlich gewann die finnischen Monarchisten und Nationalisten, die „Weißen“. Sie schafften es mit deutscher Waffenhilfe, die restlichen russischen Truppen und viele Anführer der Sozialisten aus dem Land zu jagen oder zu töten.
Die verübten Gräuel beider Seiten wirken bis heute nach und haben für tiefe Wunden im kollektiven Gedächtnis der Finnen gesorgt. Mit dem Zusammenbruch des Deutschen Kaiserreiches kam es jedoch nicht mehr zur geplanten Krönung des gewählten Königs Friedrich Ludwig Konstantin, Schwager von Kaiser Wilhelm II. Die deutschenfreundliche Haltung des finnischen Parlaments vermochte nicht die Eingliederung Finnlands in den Einflußbereich Deutschlands zu verwirklichen. Stattdessen wurde 1919 die Republik ausgerufen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg und zwei Winterkriegen mit der Sowjetunion, in denen Finnland letztlich unterlag und weite Teile des für die Finnen heiligen Kareliens abgeben mußte, unterhielt das Land pragmatische Beziehungen sowohl in den Osten als auch in den Westen. Es versuchte, sich aus der Blockkonfrontation rauszuhalten, suchte jedoch ökonomisch vor allem den Anschluß an die Europäische Union und die Staaten West- und Mitteleuropas. Dabei nahm Deutschland erneut eine zentrale Rolle ein. Helsinki zeigte sich erfreut über die deutsche Wiedervereinigung und gewann problemlos den Zuspruch der Regierung im wiedervereinigten Deutschland, als es 1994 um den Beitritt zur EU ging. Bundesaußenminister Klaus Kinkel(FDP) war einer der größten Befürworter dieser Annäherung, die schließlich auch gelang und den Beziehungen Finnlands zu Rußland zunächst keinen Abbruch tat.
Finnlands Beitrag zur Nato ist groß
Es ist durchaus bedenklich, daß zwischen Helsinki und Moskau kein Kompromiß mehr gefunden werden kann. Denn trotz der Kriege des 20. Jahrhunderts ist das Verhältnis der beiden Länder zumindest bis 2014 keinesfalls schlecht gewesen. Daß Rußland überhaupt einigermaßen normale Beziehungen zu Staaten westlich der eigenen Grenzen unterhält, ist seit dem Februar diesen Jahres nahezu undenkbar geworden. Doch die russische Diplomatie vermag den Finnen außer Drohungen derzeit nichts anzubieten. Auf jede rhetorische Annäherung gen Westen folgte in den vergangenen Jahren stets die Antwort Moskaus, die sich irgendwo zwischen Beleidigung und Vernichtungsfantasie bewegte. Wenngleich die finnische Wirtschaft sehr viele Verbindungen nach Russland hat, treibt die Diplomatie des Holzhammers und des Atomknopfes, die immer wieder von russischer Seite angewandt wird, die Finnen jetzt schlußendlich doch zur Nato.
Zur Freude des atlantischen Bündnisses bringen die Finnen eine modern ausgerüstete und schlagkräftige Streitmacht mit, die sich darauf spezialisiert hat, das finnische Territorium durch Verteidigung in der Tiefe gegen Angriffe aus dem Osten zu schützen. Hier wirkt die Erfahrung der Winterkriege nach, wo die unwegsamen Sümpfe und Wälder Finnlands als natürliche Barrieren gegen die sowjetischen Truppen wirkten. Bis zu 280.000 Mann und 900.000 Reservisten können im Verteidigungsfall dort mobilisiert und vollständig ausgerüstet werden. Bei nur knapp 5,5 Millionen Einwohnern würde dies bedeuten, daß jeder fünfte Finne im Ernstfall sein Land verteidigen würde. Umfragen legen nahe, daß die Bereitschaft zur Landesverteidigung – anders als in Deutschland und anderswo im Westen – mit annähernd 75 Prozent besonders hoch ist.
Das Dilemma der Suwalki-Lücke könnte gelöst werden
Mit der Aufnahme Finnlands in die Nato wären Rußlands Enklave in Kaliningrad und die dortige baltische Flotte vollständig eingekreist. In Warschau und Tallin wird die Nachricht des schwedischen und finnischen Beitritts besonders wohlwollend zur Kenntnis genommen. Dort erhofft man sich nicht nur eine Stärkung der Verteidigung, sondern auch eine Auflösung des strategischen Dilemmas der Suwalki-Lücke. Ehrlicherweise muß man davon ausgehen, daß einigen Militärs in Warschau eine Beendigung der russischen Militärpräsenz in Kaliningrad nicht weit genug geht. Daß Russland angesichts der finnischen Einkehr bei der Nato mit Vergeltungsmaßnahmen und kaum verhohlenen nuklearen Drohungen reagiert, ist bezeichnend. Denn konventionell wäre ein Krieg für Rußland aus dieser Position heraus kaum noch zu gewinnen.
Statt rhetorisch zu eskalieren, sollten russische Diplomaten nach Helsinki reisen und unter Beschwörung einer bewegten, aber keinesfalls nur negativen gemeinsamen Geschichte Sonderklauseln für die Nichtstationierung von US-amerikanischen Truppen in Finnland verhandeln und zeitgleich den Finnen mehr anbieten als plumpe Drohungen. Gute Konditionen für russische Energieträger wären ein Anfang.